Keine Peanuts

Eindrucksvolle Leistungsschau beim Foto-Festival in Hannover

Der achtjährige Hiroya blickt mit drei Geschwistern von vielen Litfaßsäulen und Transparenten auf die Straßen von Hannover. Der dänische Fotograf Steven Achiam hat den jungen Japaner fotografiert, der nur einen verschlungenen Kampfgürtel trägt. In Achiams Reportage „Sumo Boys“ trifft der Lebenstraum vieler japanischer Kinder auf die harte Realität der strengen Sumo-Schulen. Die Fachhochschule Hannover und die deutsche Fotojournalisten-Vereinigung FreeLens wählten dieses Bild als Plakatmotiv für das Lumix-Fotofestival – einer großen Leistungsschau junger Fotojournalisten aus aller Welt.

Rund 1.300 Bilder waren vom 18. bis zum 22. Juni auf dem Expo-Gelände in verschiedenen Pavillons und im sogenannten Sky Walk zu sehen – einer langen gläsernen Fußgängerröhre, in der allein rund 500 Bilder hingen. Eine Jury hat die Bilder von 60 jungen Journalisten aus 21 Ländern von 437 Bewerberinnen und Bewerbern ausgewählt. Die Fotografen im Alter von 22 bis 35 Jahren arbeiten bereits als Profis und wurden mit Preisen bedacht, bis hin zum World Press Award, dem Oscar der Fotografie. „Die 60 Fotografen sind die internationale Spitze im jungen Fotojournalismus“, ist Rolf Nobel überzeugt, Fotografieprofessor an der Fachhochschule Hannover. Das Festival bildete im Gegensatz zu vergleichbaren Veranstaltungen im Ausland das Leben in seiner ganzen Breite ab. Dazu gehören nicht nur Konflikte und Krieg, sondern auch Sozialreportagen über Glück, Freude und Alltagsgeschichten. So hingen Reportagen aus dem Irak-Krieg neben Bildern vom Leben im Bayrischen Wald. Den Alltag von Farmern und Cowboys im US-Bundesstaat Montana konnte man neben Kindersklaven auf Bali beobachten. Die beste Arbeit wurde mit dem „FreeLens Award“ prämiert.

Honorare auf Talfahrt

Die Mammutschau zeigte, welche Qualität professioneller Fotojournalismus auch im Zeitalter von Handykameras entfalten kann. Das Festival sollte auch helfen, Netzwerke aufzubauen. „Selbst innerhalb von Deutschland haben die Hochschulen kaum Beziehungen untereinander“, betont Rolf Nobel. „Einen Austausch mit ausländischen Hochschulen, die im Fotojournalismus tätig sind, gab es bisher fast überhaupt nicht.“ Das hat sich mit dem Fotofestival deutlich geändert. Unter den mehr als 12.000 Besucherinnen und Besuchern waren viele Fachleute wie Bildredakteure von Magazinen und Zeitungen. „Man hat eine sehr gute Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen“, sagte Julia Schrader, Studentin an der Fachhochschule. Und diese Kontakte sind wichtig, denn der Arbeitsmarkt für Fotografen sieht alles andere als rosig aus. Nur die wenigsten können vom Journalismus leben. Die meisten müssen auch für PR- und Werbe-Aufträge fotografieren, um über die Runden zu kommen. „Große deutsche Magazine zahlen rund 415 Euro Tageshonorar“, erläutert Rolf Nobel. „Im Public-Relations-Bereich ist das Honorar meist doppelt so hoch, in der Werbebranche wird ungefähr das Dreifache gezahlt.“
Die Verlage versuchen auf vielen Wegen, die Honorare zu drücken. Nobel berichtet von „Knebelverträgen um sich die Rechte an der Zweitverwertung kostenfrei einzuverleiben“. Andreas Trampe, Ressortleiter in der Bildredaktion des Stern, nennt in der Podiumsdiskussion „Sozialreportagen – brotlose Kunst für Sozialromantiker?“ den Trierischen Volksfreund als Beispiel. Die Regionalzeitung fordert die Eigentumsrechte an den Bildern, um diese im In- und Ausland zu vermarkten. „Der Trierische Volksfreund verlangt außerdem, dass du deine Negative herausgibst“, empört sich Trampe. „Das ist der Gipfel der Unverschämtheit.“ Bei der Zweitverwertung geht es nicht um Peanuts, Rolf Nobel erinnert sich an seine Zeit als aktiver Fotograf und an seine Honorare: „Von diesem Geld konnte ich meine Miete und mein Auto bezahlen.“ Andreas Trampe berichtet ebenfalls von drastisch fallenden Honoraren. „Man bekommt für eine Reportage in der Zeitschrift Brigitte heute nur noch zwei Drittel des Honorars, das vor zehn Jahren gezahlt wurde.“ Der erfahrene Fotojournalist nennt außerdem die Wochenendbeilagen der Tageszeitungen, in denen sich heute kaum mehr eine Reportage unterbringen lasse. „Früher habe ich für 30 deutsche Tageszeitungen gearbeitet.“ Eine Geschichte habe er mehrfach verkaufen können. „Dieses System der Verbreitung von Beiträgen in Tageszeitungen ist komplett zusammengebrochen.“ Trampe macht dafür mehrere Gründe aus. Einmal die Vorgabe der Verlagsleitung, keine Beiträge mehr von Fremdautoren einzukaufen. Die Wochenendbeilagen hätten sich außerdem stark regionalisiert und Servicecharakter angenommen. „Es geht um Freizeittipps aus der Region, Events und Prominente. In dieses Konzept passt das Soziale, das etwas aus der Welt erzählt, nicht mehr rein.“

Hobbyfotografen als Konkurrenten

Die berufliche Situation der Fotojournalisten verschlechtert sich im Zeitalter der Digitalkamera weiter. Große Verlage wie Gruner + Jahr und die Bildzeitung versuchen, Amateure zu bewegen, Bilder einzuschicken, um die besten zu vermarkten und zugleich die Leser stärker an das Magazin oder die Zeitung zu binden. „Das führt zu einer Verrohung der journalistischen Sitten“, stellt Rolf Nobel fest. Der Fotografieprofessor wirbt dafür, sich zu organisieren und für die eigenen Interessen einzusetzen.

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