Kleingemacht

Leipzig: Medienjournalismus – Probleme und Perspektiven

„Medienjournalismus: Probleme und Perspektiven“ hieß das Thema einer kleinen, aber feinen und etwas professoralen Fachtagung, veranstaltet von der Zeitschrift message, dem Dortmunder Journalistik-Institut und netzwerk recherche.

message ist eine Vierteljahreszeitschrift des Leipziger „Instituts für praktische Journalismusforschung“, widmet sich seit jubiläumsträchtigen zehn Jahren mit Hingabe Fragen der journalistischen Ethik und will Brücken bauen zwischen praktischem Journalismus und Kommunikationswissenschaft.

Albrecht Müller, Herausgeber der „Nachdenkseiten“ im Internet, deponierte einen Wunschkatalog: Medienjournalisten sollten über den Zustand der Medien aufklären, Besitzverhältnisse und Konzentrationsprozesse analysieren, ebenso die Verflechtungen von Medien und Politik. Die Hegemonie der Wirtschaft in den Medien sollte ein Dauerthema sein, ebenso wie die politischen Kampagnen, in die sich Medien einspannen ließen. Medienjournalisten sollten nicht durchgehen lassen, dass Experten als neutral gehandelt würden, wenn sie in Wahrheit als Interessenvertreter agierten, wie etwa der Finanzwissenschaftler Bern Raffelhüschen. Auch die Interessen der Medienmacher selbst seien ein Thema, Werbekontakte etwa von Kerner oder Beckmann.
Dass die Probleme groß und die Perspektiven nicht nur für den Medienjournalismus nicht rosig sind, dieser Befund wurde schnell deutlich. Rainer Stadler, Medienredaktor der Neuen Zürcher Zeitung, präsentierte Zahlen. Vor 20 Jahren erschienen noch in sechs Schweizer Zeitungen Medienrubriken, heute nur noch in eineinhalb. Stadler selbst muss sein kleines Medienkritikreich auch allein regieren und schafft gerade noch das Nötigste.
Ganz neu sind diese Tendenzen allerdings nicht. Die Tagungsmacher haben es versäumt, im Längsschnitt empirisch darzustellen, was sich im Medienjournalismus in den letzten Jahren tatsächlich verändert hat. Die klassische Programmkritik leidet ja schon lange an Auszehrung und die Auslagerung medienökonomischer Themen auf die Wirtschaftsseiten ist auch gang und gäbe. Auch ein Querschnitt durch das medienjournalistische Angebot in Deutschland fehlte – so blieb etwa die Medienkritik im Radio unbeachtet, obwohl sie doch in Medienmagazinen wie auch in der Kulturberichterstattung substantiell ist.
Eine zentrale Frage für Medienjournalisten lautet, für wen sie eigentlich schreiben. Für ein Fachpublikum zunächst, aber dann möglichst darüber hinaus – so lautete das Credo von Mike Hoyt. Der Chefredakteur des führenden Medienmagazins der USA, Columbia Journalism Review, war Stargast. CJR, so Hoyt, publiziere sowohl als gedrucktes Magazin wie auch im Internet, je nach Themenlage und habe mit Themen etwa zur Irakberichterstattung auch eine große Leserschaft erreicht.
Werner Kilz, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung (SZ), hält vom Medienjournalismus erkennbar weniger. Medienethische Fragen seien bei den Chefredakteuren besser angesiedelt, befand er, und Kollegentratsch sei für die Leser nicht interessant. Kuno Haberbusch, der als langjähriger Leiter des NDR-Medienmagazins von der Dünnhäutigkeit kritisierter Hierarchen weiß, verwies dagegen auf die Abhängigkeiten in der Branche: „Wer glaubt, die ethischen Kriterien an Chefredakteure delegieren zu können, ist schon verloren“.
Kilz hat freilich darin recht, dass im Medienjournalismus Meinungen gelegentlich wichtiger sind als Fakten – siehe den Fall Brender im ZDF: „Ich habe mich schlecht informiert gefühlt“. Weder sei die Rolle von Edmund Stoiber untersucht worden, so SWR-Chefreporter Thomas Leif, noch das Verhalten des ZDF-Intendanten. Der Schweizer Medienjournalist Philipp Cueni von der Zeitschrift Edito wies darauf hin, dass Kollegen zunehmend kritiklos Verlegerstandpunkte übernähmen – ein auf Deutschland übertragbares Phänomen, wie die Verlegerkampagne gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beweist.
Albrecht Müller mit seiner Wunschliste wie auch Heidi Klein von Lobby-Control lieferten den spannendsten Input. Heidi Klein hält es für besonders wichtig, Medienkritik ausreichend finanziell und personell auszustatten. Auch sei Medienkritik von außen unbedingt nötig. Etwa im Internet. Denn nennenswerte Medienkritik, so neuere Studien, findet inzwischen im Netz statt. Blogger arbeiten sich heftig an den professionellen Medien ab. Ein Ersatz für professionelle Selbstbeobachtung könne dies aber nicht sein, höchstens eine Ergänzung, so der Medienwissenschaftler Hans J. Kleinsteuber.
Ein medienkritisches Internetprojekt stellte Mathieu Magnaudeix vor: mediapart.fr. Das Nachrichtenportal wurde von Journalisten großer Tageszeitungen gegründet und versteht sich als aktuelle Antwort auf die Medienkrise in Frankreich. „mediapart“ ist nicht frei zugänglich, sondern kostet etwa 10 Euro im Monat – was das Interesse nicht schmälert. 20.000 Interessierte haben abonniert, das Projekt trägt sich finanziell und ist unabhängig.
Medienkritik wird wichtiger, weil politische und gesellschaftliche Prozesse medial vermittelt oder erzeugt werden – das war auf der Leipziger Tagung schnell klar. Leser würden sich für Medienthemen durchaus interessieren, argumentierte Hans-Jürgen Jacobs, Leiter der Online- Redaktion der SZ. Medienkritik müsse sich nicht kleinmachen. Klingt gut. Fakten wie die Ausdünnung der Medienseiten und etwa die Fusion der Medienredaktionen von Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung sprechen da eine andere Sprache: sie wird kleingemacht.

 

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