<h2″>Prozessgroteske
Von Viola Palustris | Eine Frage ist eine Frage ist eine Frage …Oder doch nicht? Am Ende ging es um zwölf Wörter in einem ZeitOnline-Beitrag vom Juni 2008: „Gerieten sie unter Druck, weil der einflussreiche Richter Dienstaufsichtsbeschwerde gegen sie erhob?“ Mit dieser Frage hatten die Autoren auf vermutete Unregelmäßigkeiten bei Ermittlungen zweier Kriminalisten zum sogenannten Sachsensumpf hingewiesen. Ein anderer Richter, Dr. Herman Hepp-Schwab am Dresdener Amtsgericht, las aus diesem Fragesatz soviel falsche Tatsachenbehauptung und mit Vorsatz verbreiteten ehrabschneidenden Vorwurf heraus, dass er die freien Leipziger Journalisten Arndt Ginzel und Thomas Datt zu Geldstrafen von je 2.500 Euro verurteilte.
Ein Urteil, das zum grotesken Prozess passt. Seit April standen die beiden Freien vor Gericht, weil sie durch Berichte über ein früheres Minderjährigenbordell sowohl ehemalige hochrangige Juristen verleumdet als auch die bewussten Polizeibeamten verunglimpft haben sollten. Dass der Streit per Strafprozess und nicht mit presserechtlichen Mitteln entschieden wird, ist der eigentliche Skandal, kann aber im Sachsensumpf-Umfeld nicht verwundern. Insgesamt wurde dort gegen mehr als 20 Journalisten ermittelt. Zwecks Einschüchterung von Überbringern unliebsamer Nachrichten, ist man geneigt zu fragen, auch wenn das in Sachsen fix in eine Tatsache umgemünzt werden kann.
Zu einer Verurteilung kam es freilich nur bei Datt und Ginzel. Der Richter habe selbst nach 13 Verhandlungstagen „die Bereitschaft vermissen lassen, von seiner vorgefassten Meinung abzurücken“, bedauern die Angeklagten. Dass er sie vom Verleumdungsvorwurf, auf den sich die Verhandlung konzentriert hatte, schließlich freisprach, kam fast überraschend. Ehemals in Sachsen tätige Juristen hatten als Nebenkläger dafür sogar Haftstrafen gefordert.
Mit dem Urteil blieb der Richter zwar unter der staatsanwaltlichen Forderung und noch unter dem ursprünglichen Strafbefehl, den sich die beiden Freien zu zahlen geweigert hatten. Doch werden die beiden Journalisten Rechtsmittel einlegen. Es geht ihnen nicht nur um Geldstrafe und empfindliche Prozesskosten. Für sie gehört es zur journalistischen Profession, auch schmutzige Wäsche zu waschen und – wo nötig – Hintermänner ans Licht zu holen. Das wollen sie auch künftig tun. „Erhalt der Pressefreiheit im journalistischen Alltag“ nennen sie das. Man kann sie darin nur bestärken und auf höhere Instanzen setzen. Und vom zweiten parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Sachen Sachsensumpf den nötigen Biss und Aufklärungserfolg erhoffen.
Kein Journalismusersatz
Von Peter Nowak | Als PR-Profi in eigener Sache ist Julian Assange fast unübertroffen. Schließlich hat es der Gründer von Wikileaks geschafft, diese Enthüllungsplattform innerhalb von wenigen Monaten weltweit bekannt zu machen. Spätestens nach der Veröffentlichung der Afghanistan-Dokumente und der unverhohlenen Repressionsdrohungen von führenden US-Verantwortlichen galt Wikileaks in kritischen Kreisen als einsamer Streiter für die Informationsfreiheit. Schnell war davon die Rede, dass Wikileaks im Internetzeitalter die Rolle der kritischen Medien übernommen hat. Doch wer sich genauer mit der kurzen Geschichte von Wikileaks auseinandersetzt, wird zu dem Schluss kommen, dass damit Journalismus keineswegs ersetzt oder gar überflüssig wird. Ganz im Gegenteil ist die fehlende journalistische Arbeit das größte Manko der Plattform.
So wäre es für Wikileaks ohne die Zusammenarbeit mit Spiegel, New York Times und Guardian gar nicht möglich gewesen, die Afghanistan-Dokumente zu veröffentlichen. Allerdings wurden die Zeitungen als Zuarbeiter höchstens in einer Fußnote erwähnt, während die Internetplattform den alleinigen Ruhm einheimste. Doch mittlerweile zieht Wikileaks auch die Kritik nicht nur von Kreisen auf sich, die die Veröffentlichung der Dokumente über den Afghanistankrieg ablehnen. So kritisierten Amnesty International gemeinsam mit weiteren Menschenrechtsorganisationen, dass in den bei Wikileaks veröffentlichten Dokumenten Klarnamen von Afghanen stehen, die mit den US-Militärs zusammengearbeitet haben sollen. Die Menschenrechtsorganisationen befürchten wohl nicht zu Unrecht, dass die Geouteten dadurch ins Visier von Islamisten geraten könnten.
Assange erklärte daraufhin, es würden 700.000 Dollar gebraucht, um die 15.000 Kriegsdokumente aus Afghanistan von Namen und Daten zu bereinigen, die Menschen in Gefahr bringen könnten. Auf Twitter suchten die Wikileaks-Gründer die Schuld woanders: „Die Medien übernehmen keine Verantwortung“, hieß es dort.
Doch die Kritik an den Veröffentlichungen von nicht oder schlecht redigierten Dokumenten und die Reaktion darauf zeigt einmal mehr, dass Wikileaks kein Ersatz für Journalismus ist. Die Plattform ist zudem auch gar nicht in der Lage, diese Rolle zu übernehmen. Die Leistung von Wikileaks erschöpft sich in der Bereitstellung einer technischen Infrastruktur und guter Medienarbeit in eigener Sache. Engagierten Journalismus hingegen zeichnet aus, dass er Dokumente auswertet und aufarbeitet. Deshalb haben die vielgescholtenen Medien keinen Grund sich zum Zuarbeiter und Buhmann von Wikileaks degradieren zu lassen.