Konkrete Solidarität

Der gewaltsame Tod von Egon Scotland im Juli 1991 war Anlass zur Gründung eines Vereins, der Reporter in Krisengebieten unterstützt: Die „Journalisten helfen Journalisten“ (JhJ) waren zunächst vor allem auf dem Balkan aktiv, doch längst hat sich ihr Arbeitsgebiet auf die ganze Welt ausgedehnt.

Carl Wilhelm Macke zieht „leider eine gute Bilanz“. Der Verein „Journalisten helfen Journalisten“ sei heute sehr stabil, doch habe er das schrecklichen und tragischen Themen zu verdanken. „Aber es gelingt uns immer wieder, Menschen konkret und ohne großen bürokratischen Aufwand zu helfen.“ Profitiert haben zum Beispiel Reporter oder ihre Angehörigen im ehemaligen Jugoslawien, im afrikanischen Gambia, in Algerien oder auch im Irak. Es geht um medizinische Hilfe für Journalisten, die im Einsatz verletzt worden sind oder um direkte Unterstützung von Kollegen, die ohne Hilfe ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen könnten. Manchmal werden Computer gespendet, manchmal die Kosten für psychologische Behandlung nach der Folter finanziert.
Die Idee zur Vereinsgründung kommt 1993. Auslöser ist der tödliche Beschuss des SZ-Korrespondenten Egon Scotland in Kroatien zwei Jahre zuvor gewesen (siehe Kasten). Seine Witwe Christiane Schlötzer, ebenfalls Journalistin bei der Süddeutschen Zeitung, sieht im Tod Scotlands einen „Auftrag der Verzweiflung“, Journalisten in Kriegs- und Krisengebieten zu helfen. Gemeinsam mit einigen Mitstreitern gründet sie in München „Journalisten helfen Journalisten“. Bis heute ist sie im Vorstand des Vereins aktiv.
In den ersten Jahren dreht sich die Arbeit vor allem um die Staaten des früheren Jugoslawien. Opfer in den dortigen Bürgerkriegen wurden vor allem jene Journalisten, die sich gegen Krieg und Nationalismus wendeten – Kroaten genauso wie Bosnier oder Serben. JhJ macht es sich zur Aufgabe, die Erinnerung an die Getöteten wach zu halten, und den überlebenden Angehörigen Unterstützung zukommen zu lassen. „Mit dem Ende der Konflikte auf dem Balkan verlagerte sich unsere Arbeit dann auf die ganze Welt“, betont JhJ-Vorstandsmitglied Macke. „Dabei ist in den letzten 20 Jahren erfreulicherweise eine Arbeitsteilung entstanden, die es so früher nicht gegeben hat. Größere Organisationen wie Amnesty International oder Reporter ohne Grenzen (ROG) haben bessere Möglichkeiten als wir, Schicksale verfolgter Journalisten zu recherchieren. Aber bei Anfragen für konkrete Hilfen stehen auch wir zur Verfügung“, erklärt er. Zurzeit bemühe sich sein Verein gemeinsam mit ROG, einem verletzten palästinensischen Journalisten eine dringend erforderliche Operation zu ermöglichen. Das gelingt durch die Beiträge der 130 Mitglieder sowie durch Spenden und Kooperationen beispielsweise bei Veranstaltungen der Süddeutschen Zeitung. Das Blatt ist JhJ seit der Gründung besonders verbunden.
Vor ein paar Wochen hat den Verein das frühere Jugoslawien wieder einmal eingeholt. Als der serbische General und mutmaßliche Kriegsverbrecher Ratko Mladic festgenommen wurde, hat Macke das Grab von Egon Scotland in München besucht und ihm die Nachricht „überbracht“. Auch wenn Mladic nicht direkt mit der Tötung des SZ-Reporters in Verbindung gebracht wird, ist seine Verhaftung für JhJ im Rahmen der Aufarbeitung der Schicksale auf dem Balkan eine Genugtuung. Wenn Macke am Grab von Scotland steht, kommt neben dem Gefühl der Trauer inzwischen auch Freude über die Erfolge des Vereins auf.
Die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit sind allerdings begrenzt. Carl Wilhelm Macke ist ehrenamtlicher Sprecher des Vereins. Das Büro in München ist in seiner Wohnung angesiedelt. Er nennt es „Basislager“. Von hier aus koordiniert er die Arbeit. Die Öffentlichkeitsarbeit steht aber ohnehin nicht im Zentrum. „Uns ist es wichtig, Solidarität zu zeigen. Und das nicht nur mit schönen Worten, sondern mit unbürokratischer, direkter und kollegialer Hilfe“, hebt er hervor.

Egon Scotland

26. Juli 1991: Egon Scotland recherchiert für die Süddeutsche Zeitung in Kroatien. In der serbisch geprägten Region Krajina ist die Lage – kurz vor dem offiziellen Kriegsausbruch zwischen Serbien und Kroatien – angespannt. Serbische Milizen greifen das Dorf Jukinac südlich von Zagreb an. Als sich das deutlich als Pressefahrzeug markierte Auto mit Egon Scotland nähert, eröffnen Heckenschützen das Feuer. Mehrere Schüsse treffen das Fahrzeug. Scotland verblutet noch auf dem Weg ins Krankenhaus. Er ist der erste Journalist, der im Jugoslawien-Krieg getötet wird. Weitere 44 Berichterstatter nach ihm werden die Auseinandersetzungen ebenfalls nicht überleben.
Bis heute ist niemand wegen der Tat zur Rechenschaft gezogen worden. Als mutmaßlicher Drahtzieher der Attacke gilt der serbische Milizenführer Dragan Vasiljkovic, auch Kapetan Dragan (Hauptmann Dragan) genannt. Er soll den damaligen Einsatz befehligt haben. Kroatien will Vasiljkovic, der nach Australien geflüchtet ist, als Kriegsverbrecher vor Gericht stellen. Auch der Mord an Scotland soll Gegenstand der Anklage sein. Grundsätzlich hat der Oberste Gerichtshof Australiens der Auslieferung des Serben, der auch einen australischen Pass besitzt, schon im März 2010 zugestimmt. Zwei Monate später konnte der untergetauchte mutmaßliche Kriegsverbrecher gefasst werden. Doch mehr als ein Jahr später geht das juristische Tauziehen weiter. Vasiljkovic ist weiterhin in Australien in Auslieferungshaft, so dass das Verfahren gegen ihn – 20 Jahre nach der Ermordung Egon Scotlands – noch nicht eröffnet werden konnte.

hg 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Snowden und die große Datenmisshandlung

Zehn Jahre nach Beginn der bedeutenden Enthüllungen über die globale Überwachung durch Geheimdienste ist die journalistische Auswertung der von Edward Snowden bereitgestellten Dateien unbefriedigend. Große Medien haben sich dem Druck der betroffenen Regierungen gebeugt und die Auswertung der Dokumente abgebrochen oder sogar behindert.
mehr »

Wahlsieg gegen die Pressefreiheit  

Angst und Verzweiflung. Das sind die Gefühle vieler Journalist*innen nach dem erneuten Wahlsieg des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan (AKP) am Sonntag in der Türkei. Sind sie begründet? Was kommt als Nächstes auf die am Boden liegende Pressefreiheit zu? Und wie könnte es trotz allem weitergehen? Eine Kolumne aus Istanbul. 
mehr »

Keine Zeitung in Alamogordo New Mexico

Die Stadt Alamogordo im südlichen New Mexico mag mit ihren Kettenrestaurants und leeren Parkplätzen nicht die schönste sein, doch die umliegenden Berge und gigantischen Halbwüsten machen den spröden Beton allemal wett. In der Militärstadt leben rund 31 000 Menschen. Holloman Air Force Base, eine Basis der Luftwaffe, ist der größte Arbeitgeber. Was Alamogordo nicht mehr hat, ist eine eigene Zeitung. Zumindest nicht im klassischen Sinne. In ganz New Mexico gibt es derzeit noch 36 Zeitungen.
mehr »

Fenster zur Welt: RAW Photo Triennale

In ihrer vierten Ausgabe zeigt die RAW Photo Triennale Worpswede unter dem Thema „Turning Point. Turning World“ noch bis zum 11. Juni die Welt im Wandel. In den vier Häusern des Worpsweder Museumsverbundes gibt es vier Hauptausstellungen: „#EGO“ bietet künstlerische Positionen im Dialog, die von der Suche nach sich selbst erzählen. Bei „#FAKE“ geht es um die Suche nach Wahrhaftigkeit. „#NEXT“ dreht sich um aktuelle sozioökologische Fragestellungen und „#RISK“ verhandelt aktuelle politische und gesellschaftliche Themen. Festivaldirektor Jürgen Strasser über die Schau und den Mythos Worpswede.
mehr »