„Nur Kommerz im Netz?“

Die provokative Frage lockte Mitte Juli rund vierzig Interessierte zu einem Diskussionsabend in die Münchner Seidlvilla. Die Fachgruppe Journalismus in der IG Medien hatte eingeladen. Auf dem Podium saßen drei, die ihren Online-Arbeitsalltag schilderten und reflektierten: Petra Vogt (Kirch New Media), Dr. Michael Klein (Chefredakteur der „PC-Welt“) und Jochen Wegner („Focus“-Redakteur und maßgeblich im Jo!net aktiv).

Journalismus soll Inhalte vermitteln – hier waren sich die Anwesenden einig. Das Internet bietet eine Fülle von Aufgaben, die das ebenfalls tun, aber: „Der Übergang zwischen journalistischen Beiträgen, Werbebotschaft und persönlichen Bekenntnissen ist im Netz seit jeher fließend. Letztendlich kondensiert überall ein bisschen Journalismus.“ So Jochen Wegner.

Dem „klassischen“ Journalismus am ähnlichsten operieren Online-Redaktionen, die mehr oder weniger überarbeitete Online-Ausgaben von Print-Medien ins Netz stellen. Aus der Online-Redaktion der Computerzeitschrift „PC-Welt“ berichtete Michael Klein: Mit der Schlussredaktion erhalten die Kolleginnen und Kollegen die Fachartikel aus der Print-Redaktion und überarbeiten sie fürs Netz. Inhaltliche Übereinstimmung: fast 80 Prozent. Die Online-Ausgabe wird durch tägliche Recherche-Ergebnisse aktualisiert, die die Print-Redaktion in ihrer nächsten Ausgabe aufgreift. (Nicht immer klappt das so reibungslos: andernorts arbeiten Online- und Print-Redaktion gegeneinander.) Online-Medien haben einen direkten Kontakt zum Publikum. Emails werden eher abgeschickt als Leserbriefe per Post. Das schnelle Tempo von Feed-back und Technik hat zwei Vorteile: Fehler sind sofort zu korrigieren und Befragungen kurzfristig und ohne großen Aufwand durchzuführen.

Neben Online-Zeitungen bietet das Internet Websites mit geringem journalistischen Input, vergleichbar mit kostenlos verteilten Stadtteilzeitungen, die sich über Anzeigen finanzieren. Die Diskussion kreiste lange um die Frage, wo Kommerzialisierung und Käuflichkeit beginnt. Zwar sind auch Print-Medien dagegen nicht gefeit, doch im Netz lauern spezifische Gefahren: Websites sind oft so gestaltet, dass sich Werbung und Text kaum voneinander unterscheiden. Oft wird der Inhalt mit Werbung verknüpft. Beispiel: eine Buchbesprechung führt mit einem Link direkt zum Bestellformular einer der Web-Buchhandlungen. Die Verbindung Werbung/Inhalt ist im Internet viel untrennbarer möglich als in Print-Medien, weil die Links in der Regel direkt zu Produkten, Herstellern, Händlern führen. Die Gesetzgebung in den USA hält dagegen: eine Richtlinie für Online-Magazine legt die Kennzeichnung von Anzeigen fest.

Gute Recherchen und arbeitsfähige Redaktionen kosten Geld. Wer zahlt es, wie wird Online Geld verdient? Eine der FAQs (Frequently Asked Questions) auch bei dieser Veranstaltung. In der Regel ist heute der Zugriff auf Inhalte kostenlos. Geld kommt über Werbebanner oder Provisionsprozente. Die meisten Websites sind – wie der Privatfunk – zu hundert Prozent werbefinanziert. Der redaktionelle Spielraum ist von dieser ökonomischen Abhängigkeit bedroht, Lösungen müssen gefunden werden.

Welche besonderen Kenntnisse erfordert Online-Journalismus? Petra Vogt wies auf die Eigenart von Internet-Darstellungen hin: Der Lesefluss im Medium Internet ist nicht linear wie bei einem Buch, sondern sprunghaft. Online-Arbeit ermöglicht neue, kreative Erzählformen, so können Filme oder Hörbeispiele integriert werden. Derartige Mittel und Werkzeuge sollten – zusätzlich zum journalistischen Handwerkszeug – beherrscht werden. Die Alltagspraxis sieht meist anders aus: ungeschulte Leute – oder gar ein automatisches Programm – basteln Internet-Auftritte.

Die Arbeitsbedingungen im Zukunftsmarkt IT sind oft fragwürdig. Das bestätigten auch die Anwesenden. „Start-Up“-Firmen beschäftigen hauptsächlich junge, unverbrauchte Leute, Workaholics, die rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Das Betriebsklima ist oft repressiv und unsolidarisch, nur wenige kennen ihre Rechte oder Ansprüche. Wo überhaupt nach Tarif bezahlt wird, wird niedrig eingestuft. Die Tätigkeiten sind so vielfältig, dass die Berufsbilder unklar werden: Wer ist Journalist/in? Bei den Geschäftsstellen der IG Medien, aber auch bei Online-Diskussionsforen für Medienschaffende lässt sich ein großes Informationsbedürfnis feststellen. Kontakte, Beratung und Jobbörsen sind gefragt

Weitere aktuelle Beiträge

Eine Medienplattform für Europa

Für ARD und ZDF war es eine richtungsweisende Entscheidung, als sie vor einem Jahr mitteilten, ihre Mediathek-Software gemeinsam entwickeln zu wollen. Mit im Boot ist inzwischen auch das Deutschlandradio. Unter dem Projektnamen „Streaming OS“ laufen die Arbeiten. OS steht für „Operating System“, aber auch für „Open Source“. Die öffentlich-rechtlichen Sender wollen wichtige technische Bausteine für ihre Streaming-Aktivitäten auch anderen Anbietern und Organisationen frei zugänglich machen. Eine europäische Ausrichtung haben sie ebenso im Blick.
mehr »

„Das Arbeitsklima ist extrem hart“

In der Nahaufnahme für das Jahr 2025 beschäftigt sich Reporter ohne Grenzen (RSF) unter anderem mit der deutschen Berichterstattung zum Gaza-Krieg nach dem Überfall der Hamas auf Israel. Von der Organisation befragte Journalist*innen sprechen über massiven Druck, Selbstzensur und erodierende journalistische Standards. Ein Interview mit Katharina Weiß, Referentin bei Reporter ohne Grenzen Deutschland.
mehr »

AfD-Einstufung zwingt Rundfunkgremien zum Handeln

Das zunächst unter Verschluss gehaltene Gutachten des Verfassungsschutzes, welches zur Einstufung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) als „gesichert rechtsextremistische Partei“ führte, wurde nunmehr durch Medien veröffentlicht. Innenminister Dobrindt ließ zunächst offen, inwiefern juristische Schritte gegen die Veröffentlichung geplant seien. Christoph Schmitz-Dethlefsen, für Medien zuständiges Mitglied im Bundesvorstand von ver.di, begrüßt, dass nun öffentlich über das Zustandekommen der Einstufung diskutiert werden kann.
mehr »

RBB: Nach- und Neubesetzungen

Beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) wird es voraussichtlich im Herbst eine neue Leitung der Programmdirektion geben. Es gehe darum, dann die Neubesetzung mit dem eingeleiteten Konsolidierungs- und Reorganisationsprozess aufeinander abzustimmen, erklärte der RBB auf Anfrage. Damit wird es keine schnelle Nachbesetzung der Programmdirektorenstelle geben.
mehr »