Offen und nah am Menschen

Ein Dachverband als gemeinsame Stimme aller Bürgerfunker

Der am 2. November 2007 gegründete Bundesverband Bürger- und Ausbildungsmedien (BV BAM) will als gemeinsamer Dachverband der schillernden Bürgerfunkszene mehr politisches Gewicht verschaffen. «M» unterhielt sich mit dem Verbandssprecher Georg May, zugleich Vorsitzender des Bürger-TV-Senders „h1-Fernsehen aus Hannover“, über die Ziele des Verbandes.

M | Warum haben Sie den Bundesverband Bürger- und Ausbildungsmedien gegründet?

GEORG MAY | Es ist eine Reaktion auf die Veränderungen in der Bürgermedienszene, auf technische, inhaltliche und gesetzliche Veränderungen in der gesamten Medienszene. Die Bürgermedien sind verteilt auf eine Reihe von kleinen Spartenverbänden. Es gibt einen Verband der Offenen Kanäle, einen der Freien Radios, es gibt Landesverbände, aber keine wirklich gemeinsame Stimme aller, die sich etwa in Verhandlungen Gehör verschaffen könnte. Unser Ziel ist es, alle Bürger- und Ausbildungsmedien zusammen zu bringen und ihre Vorstellungen in die kommenden Diskussionen mit ein zubringen.

M | Alle Welt spricht heute von Bürgerreportern und „user generated content“. Haben die Bürgermedien die Digitalisierung – konkret: das Internet – verschlafen?

MAY | Nein. Das Internet macht jetzt das, was die Bürgermedien schon lange tun. Sich nämlich zu öffnen und Menschen aktiv aus ihren Einzugsgebieten in die Sender reinzuholen, damit sie dort ihre Interessen und Meinungen artikulieren und eben auch senden können. Bürgermedien können nach wie vor Menschen besser erreichen. Die Kabel- und Radiofrequenzen sind wesentlich zugänglicher, gerade für Menschen, die nicht mehr ganz so jung sind. Außerdem vermitteln sie gezielt Medienkompetenz, sodass die Qualität der Beiträge im Schnitt höher liegt als bei einem User, der allein für sich im Internet herumwurschtelt.

M | Sind die Bürgermedien nicht zu heterogen, um sie unter einem Dach zu vereinen?

MAY | Ich glaube nicht, denn sie haben einige wesentliche gemeinsame Merkmale. Erstens den Anspruch, Medienkompetenz zu fördern. Diese Aufgabe ist wichtig, um überhaupt Zuschauerakzeptanz zu erreichen. Zweitens wollen sie offen sein für die Menschen ihrer Region und ihres Umfelds. Drittens wollen sie eine publizistische Ergänzung oder Gegenöffentlichkeit zu den etablierten Medien sein.

M | Sie wollen die politische Außenwirkung der Bürger- und Ausbildungsmedien auf europäischer Ebene verbessern. Warum ist das notwendig?

MAY | Die EU-Kommission gestaltet ganz wesentlich zum Beispiel die Zuteilung von Frequenzen. Derzeit wird debattiert, ob Frequenzen kommerziell versteigert werden sollen oder nicht. Wo überwiegt der Subventionsgedanke, wo die Kulturförderung? All diese Dinge spüren wir im Alltag kaum. Aber langfristig haben sie sehr große Bedeutung für alle elektronischen Medien, nicht nur für Bürgermedien. Daher wollen wir auch dort auf uns aufmerksam machen, ehe es zu spät ist.

M | Der Bundesverband Freie Radios (BFR) will zwar mit Ihnen kooperieren, kritisiert aber die Zusammenführung Nichtkommerzieller Rundfunkveranstalter „ohne Orientierung am Standard der ‚community medien’“. Was halten Sie von dieser Kritik?

MAY | Es gibt in manchen Bundesländern Offene Kanäle, die von Medienanstalten getragen werden. Der BFR meint nun, die Nutzer hätten keinen Einfluss auf die innere Organisation dieser Sender. Das ist formal zwar richtig, im Alltag aber meist irrelevant. In all diesen Kanälen, die ich kenne, haben die Nutzer die Möglichkeit, ihre Bedürfnisse umzusetzen. Aus diesem Grund halten wir es nicht für gerechtfertigt, diese Gruppe auszuschließen.

M | Sie monieren, die Politik erkenne nicht das „Potential“ der Bürgermedien. Wie sieht das Verhältnis zur Politik gegenwärtig aus?

MAY | Bürgermedien müssen das Gespräch mit der Politik viel intensiver führen. Wir in Niedersachsen machen das seit einigen Jahren – mit Erfolg. Trotz einer CDU/FDP-Mehrheit werden bei uns die Bürgermedien nicht infrage gestellt. Das hat damit zu tun, die Medienpolitiker wissen bei uns, worum es geht. Das ist auf Bundesebene anders. Wenn man aber erklärt, welche gesellschaftlich bedeutsamen Alleinstellungsmerkmale wir haben, unabhängig von der veränderten Mediensituation, dann sind die Politiker durchaus bereit, den Bürgermedien eine Zukunft zu geben.

M | Wie lässt sich angesichts der ungeheuren Programmvermehrung verhindern, dass Bürgermedien künftig im digitalen Nirvana verschwinden?

MAY | Zunächst mal müssen die technischen Voraussetzungen geschaffen werden, dass alle überhaupt weiter empfangen werden können. Die digitale Zukunft für Bürgermedien muss anerkannt und geregelt werden. Irgendwann haben wir tatsächlich dieses digitale Nirvana mit mehreren Hundert Kanälen. Dann müssen die Bürger- und Ausbildungsmedien auf einem festen Programmplatz zu finden sein.

M | Manche Bürgerfunker träumen gelegentlich bereits von einem nichtkommerziellen „YouTube“. Eine unrealistische Vision?

MAY | Bürgermedien haben den Vorteil, unterstützend tätig werden zu können. Dadurch erreichen sie eine größere und auch in der Altersschichtung viel differenziertere Gruppe von Zuschauerinnen und Zuschauern. Diesen Vorsprung wird das Internet noch auf lange Sicht nicht aufholen. Allerdings wollen auch wir das Internet viel intensiver nutzen, als zusätzlichen Kanal – so wie die öffentlich-rechtlichen Anstalten das ja auch berechtigterweise machen. Etwa mit dem Angebot, einzelne Beiträge zeitversetzt abrufen zu können oder mit der Möglichkeit, seinen regionalen Sender auch ohne Kabelanschluss sehen zu können. Vielleicht lassen sich ja auch YouTube-Produzenten überzeugen, Beiträge von uns zu nutzen?

Das Gespräch führte Günter Herkel 
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