Ohne Glamour

Jugendliche machen ihre eigenen Zeitschriften ohne Bevormundung

Anders sein als „Bravo“ & Co.: Unabhängige, in Regionen und Großstädten verankerte Jugendzeitschriften wollen sich jenseits des Mainstreams etablieren.


„Man braucht nur mal ins Musikfernsehen reinzappen oder am Kiosk eine  Teenie–Zeitschrift durchblättern, um zu erkennen: Die Jugend in Deutschland ist verloren.“ Selbstironisch charakterisiert die Zeitschrift Freihafen, herausgegeben von der Jungen Presse Hamburg, die eigene Zielgruppe: „Eine hirnlose Masse gieriger Konsumenten, arbeitsunwillig, protestwählend und unbelehrbar. Noch nicht einmal schreiben können sie richtig. Oder vielleicht doch?“ Freihafen erscheint seit März 2005 in der Hansestadt – in einer Auflage von 20.000 Exemplaren „monatlich und kostenfrei, weil sowieso unbezahlbar“, wie es im Editorial stolz heißt. „Wir Jugendlichen sind lange genug bevormundet worden“, sagt Öffentlichkeitsarbeiter Oskar Piegsa. „Wir wollen keine Call-In-Shows und Ratgeberseiten, wir wollen unsere eigene Zeitschrift.“ Freihafen versteht sich als „Plattform“ und „Sprachrohr für die Hamburger Jugend“. Die ehrenamtliche Redaktionsarbeit ist offen und basisdemokratisch organisiert. Jede(r) zwischen 15 und 28 Jahren kann zu den alle zwei Wochen stattfindenden öffentlichen Treffen kommen und als Autor/in, Fotografin/in oder Grafiker/in zum Gelingen der Zeitschrift beitragen.
Freihafen steht für einen neuen Trend in der Jugendpresse: umsonst verteilte regionale Monatsblätter, journalistisch ambitioniert, farbig, aber aus Kostengründen auf Zeitungspapier gedruckt. Von der Hochglanzkonkurrenz wie Bravo, Yam, Popcorn oder Youngmiss will man sich nicht nur äußerlich abgrenzen. Vorbilder für das Hamburger Projekt waren Yaez aus Stuttgart, ein früheres Online-Magazin, das inzwischen in gedruckter Form in ganz Baden-Württemberg erhältlich ist, und der Spiesser aus Dresden. Die sächsische Zeitschrift wird inzwischen in allen neuen Bundesländern verteilt.
Inhaltlich verbindet die drei Jugendblätter, dass sie auf Prominentenklatsch und Glamour bewusst verzichten. Wie Stars und Sternchen leben, welche Sexpraktiken oder teuren Modetrends angeblich gerade angesagt sind, solche Themen überlässt man weitgehend den etablierten Wettbewerbern. Das schließe Interviews mit Popmusikern oder Schauspielerinnen keineswegs aus, betont Michael Hartung von Yaez, der das eigene Blatt (Auflage 96.000) irgendwo „zwischen Generalsekretären und Girlgoup“ verortet. Er plädiert für eine Mischung aus Politik und Lifestyle. Geschichten über Schülerpraktika, Auslandsaufenthalte oder den Führerschein finden so ihren Platz. Ausbildung und Studium sowie die Ablösung vom Elternhaus sind wichtige praktische Anliegen, die in Variationen immer wieder aufgegriffen werden.
Der Spiesser widmete dem Thema „Frisch gestrichen! Das erste Mal umziehen“ gleich eine eigene Beilage – garniert mit Anzeigen von Stadtwerken, Wohnungsbaugesellschaften oder Sparkassen. Bei dem einst an einem Dresdener Gymnasium gegründeten Blatt floriert das Geschäft mit den regionalen Werbekunden. Eine ganze Anzeigenseite kostet in der Gesamtauflage von 300.000 Exemplaren immerhin rund 10.000 Euro. Während sich das „größte ostdeutsche Jugendmedium“ (Eigenlob) auf dem Werbemarkt etabliert hat, tun sich die westdeutschen Pendants noch schwer. „Wir haben mehr Anzeigen als beim Start“, betont Oskar Piegsa vom Freihafen. Sein Kollege Michael Hartung von Yaez verweist auf die Krise beim einst unbestrittenen Marktführer Bravo. Dessen einstige Auflage von 1,2 Millionen Heften hat sich seit Ende der neunziger Jahre mehr als halbiert.  Hartung bewertet diesen Niedergang als deutlichen Beleg dafür, dass die „einst wichtigste deutsche Jugendzeitung“ den richtigen Ton nicht mehr trifft. Die „Dr. Sommer-Schreibe“ sei einfach „nicht mehr zeitgemäß“.
Ein schlüpfriger Umgang mit Sexthemen, wie ihn etwa Yam praktiziert, verbietet sich für die kostenlose Jugendpresse schon wegen ihres Vertriebssystems. Die Zeitschriften liegen nicht nur in Kneipen, Clubs, Cafes oder Bibliotheken aus, sondern werden auch an Schulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen verteilt. Die Macher legen Wert auf Glaubwürdigkeit, Seriösität und authentische Schreibe. „Das Heft kommt aus der Zielgruppe selbst und von Herzen, es ist sehr viel Idealismus dabei“, glaubt Spiesser-Chefredakteur Peter Stawowy.
Eine dezidiert politische Jugendberichterstattung jenseits des Bravo-Mainstreams lieferte einst der Blickpunkt. Vom Berliner Landesjugendring herausgegeben, verschwand das Blatt, als es (auch aus politischen Gründen) auf öffentliche Zuschüsse verzichten musste. Ebenso umstritten war stets die von den Gewerkschaften unterstützte Jugendzeitschrift ran, die sich bemüht, neben kulturellen Berichten auch Themen aus der Arbeitswelt aus der Sicht von Auszubildenden und Jugendlichen aufzugreifen. Das Magazin, das inzwischen im eigenen Verlag erscheint, war in der Vergangenheit mehrfach von Einstellung bedroht. Vorläufig ist die Finanzierung zwar gesichert, ran bleibt aber neben den Abonnements auf eine garantierte Mindestabnahme innerhalb der DGB-Organisationen angewiesen.
Experimente mit unabhängigen Jugendmedien werden immer wieder gestartet – und häufig schnell wieder beendet. Zuletzt stellten monomag (Berlin) und clash (München) ihr Erscheinen ein. Im Rhein-Main-Gebiet kam in den neunziger Jahren der Auspuff heraus. „Das junge und freche Magazin“ aus Frankfurt wurde im Gegensatz zum heute üblichen Gratisvertrieb für 2,50 Mark verkauft. Die Auflage kam deshalb über 10.000 Exemplare nie hinaus. Wie in anderen unterfinanzierten Projekten war zudem die Fluktuation unter den ehrenamtlichen Redaktionsmitgliedern hoch: Ohne berufliche Perspektive wanderten die Schreiber/innen mit ernsthaften journalistischen Ambitionen im Laufe der Zeit ab. Die kostenlose Verteilung und ein solides Anzeigenpolster sind für die regionale Jugendpresse offenbar überlebenswichtig.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »