Ohne Haltung geht es nicht

Georg Restle, seit 2012 Leiter und Moderator des WDR-Politmagazins "Monitor" im Ersten
Foto: WDR/Herby Sachs

Es ist ein vergifteter Begriff, über den im medialen Kuppelzelt gerade so ausgiebig und aufgeregt diskutiert wird: Haltung! Vergiftet, weil von durchaus interessierter Seite boshaft missverstanden wird, dass Haltung eben kein Surrogat für Wahrhaftigkeit ist und auch kein militärischer Oberbefehl, dem sich alle journalistischen Tugenden unterzuordnen haben.

Die Diffamierung des Begriffs folgt dabei einem leicht durchschaubaren Kalkül: Journalistinnen und Journalisten mögen das Feld doch besser denen überlassen, die sich auf den digitalen Kanälen zu neuen Meinungsführern in eigener Sache erklärt haben und ihre schlecht kaschierte Propaganda möglichst störungsfrei unters Volk bringen wollen. Schon deshalb ist Trennschärfe ein Gebot der Stunde, um Journalismus von Propaganda, Berichterstattung von Kampagne zu unterscheiden.

Haltung setzt Wahrhaftigkeit voraus. Wer meint, Haltung erlaube es, fünfe gerade sein zu lassen, erhebt die Lüge zum journalistischen Prinzip. Nein, Haltung erlaubt nicht, Unerwünschtes wegzulassen oder Erwünschtes zu verklären. Es gibt kein Recht eines Journalisten zu lügen für einen höheren Wert. Wer dies nicht begreift, sollte das Wort Haltung nicht in den Mund nehmen. Wer allerdings meint, Haltung verbiete sich ganz grundsätzlich, weil Journalismus sich im wertungs- und damit wertefreien Raum zu bewegen habe, hat die Welt nicht verstanden, über die wir berichten.

Haltungsloser Journalismus ist eine Chimäre. Wer glaubt, Journalismus käme ohne Haltung aus, hat noch nie einen Skandal aufgedeckt. Woran messen wir politisches Versagen oder Fehlverhalten einer Regierung? An Maßstäben, die eben nicht voraussetzungslos sind, sondern an einen gemeinsamen Wertekanon appellieren, der nicht zuletzt in den Grundrechten unserer Verfassung, ihrem Rechtsstaats- und Demokratieverständnis umrissen wird. Wir halten die Vermögensverteilung in Deutschland für ungerecht oder Pflegeheime für menschenunwürdig. Deshalb berichten wir darüber, deshalb wählen wir solche Themen aus.

Haltung erfordert Transparenz. Ohne Transparenz wird Haltung zur Manipulation. Deshalb ist es wichtig, unseren Erkenntnisweg und unsere Recherchen nachvollziehbar zu machen. Unseren Auswahlkriterien liegen Wertungen zugrunde, unseren Erzählperspektiven, unseren Schlussfolgerungen – ob wir es wollen oder nicht. Diese müssen wir transparent machen, um glaubwürdig zu bleiben. Natürlich gehört dazu auch, persönliche Meinungen kenntlich zu machen oder Einschätzungen zu begründen. Darüber darf dann auch gestritten werden – nicht das Schlechteste für eine Demokratie, für die die Freiheit der Meinungen genauso konstitutiv ist wie deren Vielfalt.

Haltung garantiert Unabhängigkeit. Wer nur abbildet, was andere uns in den Notizblock diktieren, macht sich zum verlängerten Arm von Kampagnenführern. Das ist das große Missverständnis, dass sich hinter dem Dogma verbirgt, dass wir nur abbilden sollten, was sei. Ohne Einordnung, ohne Hinterfragung, ohne Kontext und Kritik läuft ein ausschließlich abbildender Journalismus immer Gefahr zum Propaganda-Instrument zu verkommen. Dass wir uns als Journalisten und Journalistinnen ein eigenes Bild machen und nicht nur wiederkäuen, kolportieren oder weiterverbreiten, muss gerade in Zeiten der großen digitalen Verwirrung wieder ins Zentrum unseres journalistischen Selbstverständnisses rücken. Das vor allem ist mit journalistischer Haltung gemeint, die Unabhängigkeit für sich beansprucht.

All dies mögen Selbstverständlichkeiten sein. Und doch schleicht sich das Gift einer Kampagne in die Hinterköpfe ein, die den „Haltungsjournalisten“ zum neuen Feindbild auserkoren hat. Dem gilt es entgegenzutreten – mit journalistischem Selbstbewusstsein und Haltung. Womit denn sonst?

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Rundfunkfinanzierung in der Sackgasse

Bisher war Einstimmigkeit gefordert, wenn es um rundfunkpolitische Fragen ging. Die Ministerpräsident*innen der Länder sollen gemeinsam agieren, zum Schutz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Kein einfaches Unterfangen, wenn es um das Thema Rundfunkfinanzierung geht. Dass diese Praxis nun überarbeitet wird, ist Ausdruck einer Krise – wenn nicht der Demokratie, dann doch zumindest der Rundfunkpolitik der Länder.
mehr »

Datensparsame Audio-Transkription

Interviews führen macht Spaß. Auf das Vergnügen folgte jedoch traditionell das mühsame manuelle Transkribieren des Gesprächs. Dank KI entfällt dieser Schritt. Das kostenlose Programm ersetzt das Abtippen von Interviews. NoScribe ist langsamer als kommerzielle Dienste, garantiert aber eine maximale Vertraulichkeit von Daten.
mehr »

Berichten über LSBTIQ-Themen

Wenn queere Menschen (Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie trans und inter Menschen) Beiträge über sich in Zeitungen lesen oder im Fernsehen gucken, kommen sie manchmal aus dem Staunen nicht heraus. Egal ob Boulevard, Qualitätspresse oder Nachrichtenagenturen: Regelmäßig gibt es Schlagzeilen über das „Homosexuellen-Milieu“ und ungelenke Formulierungen wie „Homosexuelle und Lesben“ oder „bekennende Bisexuelle“ und „Menschen im falschen Körper“. Ein kollegialer Leitfaden zeigt, wie es besser geht.
mehr »

ARD-Nachrichtentag: Mehr Transparenz

Nachrichten sind das Herz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sie sollen gut recherchiert und aufbereitet sein, sollen verständlich Ereignisse vermitteln und einordnen. Beim ARD-Nachrichtentag am 5. Juni gab es einen offenen Einblick, wie das eigentlich geschieht. Teilnehmende bekommen Einblicke in den journalistischen Alltag und erfahren den Wert unabhängiger Nachrichten in Hörfunk, Fernsehen und Social Media.
mehr »