Publizieren wird zur Mutprobe

Bild: Pixabay

Studie „Hass im Arbeitsalltag Medienschaffender“

Eine aktuelle Umfrage unter Journalist_innen zu ihren Erfahrungen mit Gewalt zeigt: Verbale und körperliche Attacken gehören für die Mehrheit der Befragten mittlerweile zum Berufsalltag. Doch in vielen Redaktionen findet keine systematische Auseinandersetzung mit den Angriffen statt, deshalb brauche es mehr Unterstützungsmaßnahmen. Die Studie liefert Ansätze, wie diese aussehen könnten.

Das Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld hatte gemeinsam mit dem Mediendienst Integration eine Studie zu Erfahrungen mit hasserfüllten Angriffen wie Hate Speech und körperlichen Attacken gestartet. An der anonymen Online-Befragung von November bis Dezember 2016 beteiligten sich 783 in der dju und dem DJV organisierte Journalistinnen und Journalisten. Die Ergebnisse der Studie „Hass im Arbeitsalltag Medienschaffender“ (HArM) zeigen, dass Gewalterfahrungen die Betroffenen psychisch belasten und zu erheblichen Einschränkungen der journalistischen Arbeit führen.

Im Zentrum der Studie stand die Frage, wie psychische und physische Attacken den Journalismus beeinflussen können. Viele Journalistinnen und Journalisten beschrieben in der Befragung die Ausübung ihres Berufs als „Mutprobe“. Das bestätigt auch eine Kollegin aus Thüringen, die in der dju organisiert ist und an der Umfrage teilnahm: „Auch wenn man das vermeiden will – spätestens nach einer ersten konkreten Erfahrung, z.B. mit Morddrohungen, überlegt man sich genau, was man schreibt.“

Angriffe haben zugenommen

In der Befragung gaben zwei Drittel der Journalist_innen an, dass hasserfüllte Reaktionen in den vergangenen zwölf Monaten allgemein deutlich zugenommen hätten. 42 Prozent waren 2016 selbst von Angriffen betroffen, 26 Prozent berichteten sogar von mehrmaligen bis regelmäßigen Angriffen. Ein Viertel ist überzeugt, dass solche Vorfälle zum journalistischen Alltag gehörten. Vor allem jüngere Journalist_innen nahmen einen Anstieg von Anfeindungen wahr. Sie scheinen besonders sensibel für das Thema zu sein. Unter den Betroffenen machen drei Viertel ausschließlich ihre Rolle als Journalist_in für die Angriffe verantwortlich. Die restlichen 25 Prozent führen sie vor allem auf Unzufriedenheiten mit den Inhalten (77 Prozent) und der Darstellung von Sachverhalten (64 Prozent) oder die Ablehnung von Personengruppen (47 Prozent) zurück, über die berichtet wurde. Sehr viel seltener nehmen die Befragten an, die eigene nationale Herkunft (5 Prozent) oder Religion beziehungsweise Weltanschauung (14 Prozent) seien für das Erlebte ausschlaggebend gewesen. Auch sind Männer, jüngere Befragte oder Journalist_innen mit Migrationshintergrund nicht häufiger betroffen als Frauen, ältere Befragte oder Journalist_innen ohne Migrationshintergrund. „Der Hass richtet sich gegen den Berufsstand“, erklärt Studienleiter Prof. Dr. Andreas Zick. Die Betroffenen würden angegriffen, weil sie Journalist_innen seien. „Themen wie Flüchtlinge, Islam und Migration erzeugen besonders viel Hate Speech und andere hasserfüllte Botschaften. Journalisten sollen berichten, was die Angreifer wollen, oder schweigen“, so Zick.

48 Prozent der Zeitungsjournalist_innen (48 Prozent) und fast genau so viele der Fernsehjournalist_innen (45 Prozent) erlebten 2016 bereits Angriffe. Bis zu ein Drittel berichtet von mehrmaligen bis regelmäßigen Attacken. Unter den Journalist_innen, die in Ressorts wie Politik, Lokales/Regionales oder auch Wirtschaft beschäftigt sind, hat bereits fast jede/r Zweite eine solche Erfahrung gemacht.

Psychische Belastungen enorm

Am häufigsten wurden die Journalist_innen in direkten Situationen wie Demonstrationen, Interviews oder Veranstaltungen angegriffen. „Besonders belasten mich die körperlichen Angriffe bei öffentlichen Veranstaltungen und Demonstrationen! Diese Ereignisse verfolgen mich gelegentlich auch im Schlaf. Die Folgen sind Angstzustände und ein Gefühl der Ohnmacht“, gab ein Journalist in der Umfrage an. Rund jede/n fünfte/n Betroffene/n erreichten die Angriffe über soziale Netzwerke oder die Kommentarfunktion unter Beiträgen. Sehr viel seltener kamen sie per Anruf oder Leserbrief.

Jeder Zweite fühlt sich dadurch vom Publikum unter Druck gesetzt. Dabei ist es kaum von Bedeutung, ob Journalist_innen selbst Angriffe erlebt (53 Prozent) oder von Attacken auf Kolleg_innen erfahren haben (48 Prozent). Mehr als die Hälfte der Betroffenen berichtet von psychischen Belastungen. Unter jenen, die keinen Angriff erlebten, ist es immer noch ein Drittel. „Offensichtlich bleibt der Hass nicht in den Redaktionen, sondern wird mit nach Hause genommen“, so Madlen Preuß, Co-Leiterin der Studie. Die negativen Auswirkungen auf das Privatleben liegen bei Journalist_innen mit Angriffserlebnissen doppelt so hoch (31 Prozent) wie unter Nicht-Betroffenen (14 Prozent). Mehr als 80 Prozent der Journalist_innen befürworten nicht nur die öffentliche Thematisierung von und Aufklärungskampagnen gegen Hate Speech, sondern auch die strafrechtliche Verfolgung.

Mehr Unterstützung der Redaktionen nötig

Über die Hälfte der Befragten berichtete, dass es in ihrer Redaktion keine konkrete Auseinandersetzung oder Hilfestellung zum Umgang mit Hate Speech und körperlichen Angriffen gebe. Einige Redaktionen organisieren regelmäßigen Austausch (37 Prozent), juristischen Beistand (23 Prozent); nur neun Prozent machen Schulungsangebote. Rückhalt finden Journalist_innen vor allem im eigenen Kollegium (66 Prozent). „Journalistinnen und Journalisten sollten frei und ohne Angst ihrer Arbeit nachgehen können. Dafür brauchen sie offenbar mehr Unterstützung. Die Studie liefert wichtige Anhaltspunkte für die Frage, wo man ansetzen kann“, so Mehmet Ata vom Mediendienst Integration.


Die komplette Studie kann hier heruntergeladen werden:

https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/Studie-hatespeech.pdf

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