Das Verhältnis der Medien zu einem bisher vernachlässigten Thema
Spätestens seit Beginn der Papst-Benedikt-Ära haben die deutschen Mainstream-Medien die Religion für sich entdeckt. Chefredakteure füllen ganze Kolumnen und schreiben Bücher darüber, wie wichtig insbesondere der christliche Glaube für die westliche Wertegemeinschaft ist. Es ist, als ob Asketen nach jahrzehntelanger Entrückung plötzlich merken, dass Sex doch nicht ganz unwichtig für das menschliche Miteinander ist. Doch anstatt erst zu lernen, scheinen sich religiöse Analphabeten umgehend zu Experten in Sachen Religion aufzuspielen. Peinlichkeiten all überall. Allein schon die Terminologie macht Probleme. Da wird Wolfgang Huber zum Präsidenten statt zum Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland. Margot Käßmann wird dann eben als Bischöfin von Niedersachsen untertitelt, traumtänzerisch unwissend, dass die jahrhundertealten landeskirchlichen Grenzen mit denen der Bundesländer nichts zu tun haben. Religion, ein „weiches Thema“, da darf dann eben jeder ran. Wo aber bleiben die ernsthaften Fragen? Wie ist es nur zu erklären, dass gestandene Redakteure beim groß angekündigten Papst-Interview artig ihren Kratzefuß machten und sonst nichts. Es wirkt fatal, wenn die von Religionsgemeinschaften definierte Heiligkeit Außenstehenden, zumal Journalisten, ihre Kritikfähigkeit zu nehmen scheint.
Nicht wenige Medienvertreter beschwören sogar die Rücksichtnahme auf religiöse Gefühle. Wenn Muslime sich über Karikaturen aufregen, dann sollten Christen sich auch über popetown empören dürfen. Da wird mehr Glaubensengagement herbei geschrieben. Die CSU-Spitze fordert, wie schon zu Franz-Josef Strauß seligen Zeiten, jede Form der Gotteslästerung unter strenge Strafe zu stellen, nicht nur, wie es jetzt im § 166 Strafgesetzbuch geregelt ist, wenn es zur Störung des öffentlichen Friedens kommt. Faktisch wäre dies eine Einschränkung der Pressefreiheit. Aber Gläubige besitzen kein Patentrecht auf religiöse Symbole, außer vielleicht in ihren eigenen Kirchenmauern, innerhalb derer sie selbst heute noch Häretiker-Prozesse anstrengen dürfen. Satire dürfe alles, sagte einst Tucholsky, nur nicht langweilen. Ohne die Freiheit der Interpretationen durch Gläubige wie auch Ungläubige in Kunst und Kultur würden die religiösen Symbole sogar in der Gefahr stehen, alsbald zu starren Riten zu ersterben. Sich an überkommene Religionsmuster zu halten, mag die Sache fundamentalgläubiger Menschen sein. Dramatisch und berufsschädigend wird es aber, wenn Journalisten sich mit dieser voraufgeklärten Position gemein machen. Und nun wird die Wiederkehr der Religion erklärt, zumal sich das derzeit gut verkaufen lässt.
Der Papst und die Betonung religiöser Werte sind gerade Mode. Sie werden mit einiger Sicherheit bald wieder aus den Medien verschwinden. Sonst wird es irgendwann langweilig und damit unverkäuflich. Vormals waren Tibet, der Dalai Lama und überhaupt Buddhismus chic. Dass japanische Zen-Mönche mit zu den schärfsten Kriegstreibern im Zweiten Weltkrieg zählten, buddhistische Klöster Geld für Bomber sammelten, passte nicht in das hollywoodtrunkene Bild der gelb-orangenen Friedensreligion. Und nun eben der Papst-Hype, die Betonung christlicher Werte. Dumm nur, dass die von den Medien herbei geschriebene Mode kaum etwas mit der Realität zu tun hat. Die Volkskirchen sparen sich mangels Mitgliederzuwachs zu Tode. In den Gemeinden regiert weniger der Heilige Geist, als viel mehr McKinsey.
Vielfalt religiöser Facetten
Als Anti-Mode dient quasi der Islam. So wird immer wieder das Schreckensbild der mittelalterlichen Scharia-Ordnung als Bedrohung westlicher Demokratien kolportiert. Dass es seit über 100 Jahren ernst zu nehmende Bemühungen in den theologischen Schulen der islamischen Welt gibt, die Scharia im modernen Staat zu modifizieren und zu reformieren, wird nicht nur von Islamisten, sondern in der Regel ebenso von vielen Medien ignoriert. Die allerwenigsten Muslime in Deutschland wünschen sich eine saudi-arabische Scharia-Ordnung und begrüßen die Vorzüge der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Nicht jedes Kopftuch ist Symbol der Unterdrückung. Die Gründe es zu tragen, sind für muslimisch sozialisierte Frauen vielfältig. Die Glaubensrealitäten und die Vielfalt religiöser Facetten entziehen sich pauschaler Betrachtungsweisen. Das, was Religion ausmacht, die Innerlichkeit, die Suche nach Transzendenz, ist genau das, was medial schwer oder gar nicht abbildbar ist. Es verlangt eine gewisse Kenntnis und Innenschau. Wer nie gebetet hat, kann wahrscheinlich weniger kritisch schreiben. Denn dann scheint alles irgendwie heilig und unhinterfragbar. Religionen aber sind kein kritikfreier Raum. Egal ob Imam, Pfarrer oder Papst, ein seriöser Religionsvertreter wird sich freuen, wenn ihm ernsthafte Fragen gestellt werden.
Im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft lud der ökumenische Rat Berlin-Brandenburg zum Freundschaftsspiel zwischen Imamen und Pfarrern ein, Rabbiner sollten die Schiedsrichter geben. Ein toller Medienrummel: Dutzende TV-Teams, Hörfunk- und Printjournalisten waren gekommen. Der mitveranstaltende arabisch-muslimische Verein verteilte neben Friedensbotschaften auch Freundschaftskuchen made in Denmark. Ob denn nun der Ärger über die Mohamedkarikaturen vorbei sei, wollte ich von verschnaufenden Imamen am Spielfeldrand wissen. Nein, man fühle sich immer noch beleidigt, wolle nun aber Fußball spielen. Das könne man doch auch verstehen, pflichtete ein Hörfunk-Kollege bei, die Medien müssten sich in Glaubensdingen eben zurücknehmen, um nicht unnötig religiöse Gefühle zu verletzen. – Na dann, frohe Weihnachten