Springer-Döpfners Machtmissbrauch

Günter Herkel lebt in Berlin und arbeitet als freier Medienjournalist für Branchenmagazine in Print und Rundfunk.
Foto: Jan-Timo Schaube

Meinung

„Free west, fuck the intolerant muslims und all das andere Gesochs”? Die „Ossis“ präzise aufgespalten in „entweder Kommunisten oder Faschisten“? – derlei dahingerotzte Unflätigkeiten und Rassismen kennt man zu Genüge aus erhitzten Internet-Chats. Diesmal stammen die Verbalinjurien allerdings nicht von einem aufgebrachten Wutbürger, sondern von Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner.

Demselben Döpfner, der schon im Herbst 2021 von einer „Meinungsdiktatur“ schwafelte, der seinen später als Bild-Chefredakteur geschassten Adlatus Julian Reichelt als „letzten und einzigen Journalisten“ pries, „der noch mutig gegen den neuen DDR-Obrigkeitsstaat aufbegehrt“. Ganz im Gegensatz zu „fast allen anderen“, die längst zu „Propaganda-Assistenten“ mutiert seien.

Wer in den letzten Jahren das öffentliche Wirken des Springer-Manns verfolgt hat, den dürften die neuerlich geleakten internen SMS-Ergüsse Döpfners kaum überraschen. Schockierend erscheint zarter besaiteten Gemütern allenfalls der zunehmende Radikalismus, mit dem hier systematisch Schelte gegen „Politik- und Medieneliten“ geübt, nationaler Chauvinismus ausgekübelt und offene Demokratieverachtung praktiziert wird. Und das immerhin von einem der mächtigsten Medienmanager Deutschlands, der – schon vergessen? – bis vor gut einem halben Jahr noch dem Bundesverband der deutschen Zeitungsverleger und Digitalpublisher vorstand.

Sattsam bekannt erscheint auch die taktische Verteidigungslinie, die der Ertappte angesichts einer empörten Öffentlichkeit zieht. Wie anlässlich der Causa Reichelt wertet Döpfner seine Aussagen als „aus dem Zusammenhang gerissen“, wobei natürlich „Polemik, Ironie, Übertreibung“ unterschlagen würden. Dabei sprechen seine kruden Verbalausfälle eine deutliche  Sprache: Wer in kolonialistischem Sprech die ehemalige DDR – und sei es nur in der Phantasie – in eine „Agrar und Produktionszone mit Einheitslohn“ konvertieren will, wer für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit seit Jahr und Tag eine „rechtsstaatlich zweifelhafte Flüchtlingspolitik“ verantwortlich macht, wer sein hauseigenes Kampfblatt „Bild“ auch schon mal  dazu nutzt, um einen NATO-Einsatz in der Ukraine zu fordern, der spielt publizistisch tendenziell in der Liga eines Steve Bannon, Mitbegründer des rechtspopulistischen US-Mediums „Breitbart“.

Wie lange die an Springer beteiligten US-Investoren von KKR das peinliche SMS-Gepöbel Döpfners hinnehmen werden? Schwer zu sagen. Den hochtrabenden Zielen Springers, mit Politico und Business Insider zu einem der dominierenden Digital-Player in den Vereinigten Staaten aufzusteigen, dürfte der neue Skandal nicht eben förderlich sein. Der Spiegel wittert einen Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der „Zeit“-Enthüllungen und dem Zerwürfnis Döpfner-Reichelt. Vermutet wird ein Racheakt des ehemaligen Bild-Chefs, der möglicherweise Dokumente und interne Informationen aus seiner Amtszeit nicht gelöscht habe und nun im Hinblick auf künftige juristische Auseinandersetzungen zum eigenen Vorteil nutze.

Nächste Woche folgt wohl das nächste Kapitel in dieser unappetitlichen Medien-Soap. Dann erscheint Benjamin Stuckrad-Barres Roman „Noch wach?“ Der Pop-Literat hatte seinerzeit Döpfners Geschwurbel über die dräuende „neue Meinungsdiktatur“ geleakt. Sujet des Werks: Machtmissbrauch in einem großen Medienkonzern.

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