Teleheimarbeit im ZDF

Debatte entfacht über Chancen der Arbeit von Zuhause aus

Selbstbestimmt arbeiten, Geld und Nerven durch Wegfall des Arbeitsweges sparen, Privates und Beruf besser vereinbaren – Teleheimarbeit, ein Traum so manchen Arbeitnehmers. Entsprechend groß war die Resonanz, als die ver.di-Betriebsgruppe im ZDF seine Mitglieder nach dieser Form der Arbeitsorganisation fragte.

In der Flut von E-Mails gab es ausschließlich Zustimmung und viele Fragen zur konkreten Umsetzung. Antworten suchte Moderator Uli Röhm im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung: Bei „ver.di im Gespräch“ ging es im November 2004 im ZDF-Sendezentrum um Fragen rund um das Thema Teleheimarbeit. Mit Claudia Schertel und Holger Klemmt hatte die ver.di-Betriebsgruppe zwei Experten geladen. Sie berät als Fachanwältin im Rahmen des Projekts OnForTe, dem Online Forum Telearbeit von ver.di, Beschäftigte und Personalräte. Er ist als Projektmanager bei der Deutschen Telekom zuständig für die Umsetzung von Teleheimarbeit. Und beide waren sich einig: sowohl für Arbeitnehmer, wie auch für Arbeitgeber bietet Teleheimarbeit viele Chancen – wenn sie richtig vorbereitet ist.

Wer seine Arbeit am PC erledigt, kann das Zuhause tun. Zumindest im Prinzip. Die Vorteile für die Beschäftigten liegen auf der Hand. Neben dem Wegfall der Wegezeiten und -kosten wird von den Arbeitnehmern besonders die Möglichkeit zu einem selbstbestimmteren häuslichen Arbeiten als positiv empfunden. Doch Claudia Schertel warnt auch vor Illusionen: „Kinder betreuen und gleichzeitig nebenbei am Computer arbeiten, das funktioniert nicht.“ Die Chancen liegen in der freien Zeiteinteilung. Man müsse nicht stur von 9 bis 17 Uhr vor dem PC sitzen, sondern sei flexibel. Allerdings in Grenzen. Ein Nachmittag im Schwimmbad ist nicht möglich, zumindest nicht bei der Telekom, deren Regelungen eine Präsenzpflicht in Kernzeiten vorsehen, erklärte Holger Klemmt.

Nicht im Schlafanzug vor den PC setzen

Teleheimarbeit setze ohnehin Selbstdisziplin voraus, bekräftigte Claudia Schertel. Eine »strukturierte Arbeitssystematik« beuge Selbstausbeutung, z. B. durch unbezahlte Überstunden oder Nachtarbeit, vor. Einen Tipp, wie in der Praxis (auch gegenüber den Familienmitgliedern) deutlich gemacht werden kann, dass Arbeit zu Hause keine Freizeit, sondern eben Arbeit ist, verriet Holger Klemmt: »Nicht im Schlafanzug vor den PC setzen, sondern in Arbeitskleidung.«

Schwieriger wird die Einbindung in die Arbeitsorganisation. Mangelnde Integration, geringe Kontrollmöglichkeit lauten die Stichworte. Doch es gibt Abhilfe: Zwei Tage Zuhause, drei Tage im Büro – und schon bleibt der Anschluss an die interne Kommunikation erhalten, erläutert Claudia Schertel.

Schwieriger sei es, die Skepsis mancher Vorgesetzten zu überwinden: Verlust von Kontrollmöglichkeiten, höhere Kosten, mehr Koordinierungsaufwand: Teleheimarbeit, der Albtraum jedes Arbeitgebers? Eindeutig nein, sagt Holger Klemmt. Er sieht auf Arbeitgeberseite drei wesentliche Vorteile: Kosteneinsparung, z. B. durch geringeren Bürobedarf, höhere Motivation und soziale Vorteile, wenn qualifizierte Frauen und moderne Väter für das Unternehmen gewonnen werden können. Voraussetzung sei es, die Projekte, die in Heimarbeit erledigt werden sollen, möglichst konkret zu beschreiben und Zwischenberichte anzufordern. Ansonsten gilt: gegenseitiges Vertrauen ist eine unabdingbare Voraussetzung. Auch das Kostenargument, ein häufiges Killerkriterium für Gegner der Teleheimarbeit, konnte Holger Klemmt entkräften: „Der Deutschen Telekom ist es gelungen, Teleheimarbeitsplätze kostenneutral einzurichten.“

Vereinbarkeit mit der Familie

Werden also alle in naher Zukunft alle Arbeiten von Zuhause erledigen? Gerade im ZDF wird das nicht der Fall sein können. Natürlich wird Petra Gerster die »heute«-Nachrichten nicht aus ihrem Wohnzimmer präsentieren. Auch Kameraleute oder Studiotechniker werden ihre Leistungen weiterhin ›vor Ort‹ erbringen müssen. Für eine Neiddiskussion zwischen „glücklichen Teleheimarbeitern“ und dem „armen Rest“ sieht Werner Ach, Vorsitzender des ver.di-Sendeverbandes im ZDF, keinen Anlass: »Teleheimarbeit ist eine Möglichkeit, Nachteile auszugleichen, die Mitarbeiter-/innen haben, wenn sie Kinder erziehen oder Angehörige pflegen.« Dieser Aspekt weist auf die gesamtgesellschaftlichen Vorteile von Teleheimarbeit hin: die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und da das ZDF sich als familienfreundliches Unternehmen profiliert hat, ist es kein Wunder, dass die ZDF-Geschäftsleitung das Gesprächsangebot von ver.di zu Tarifverhandlungen angenommen hat. Der Traum von Teleheimarbeit im ZDF könnte also bald schon Realität werden.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

„Das Problem mit der Leidenschaft“

Lena Hipp ist Professorin für Soziologie an der Universität Potsdam und leitet die Forschungsgruppe „Arbeit und Fürsorge“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Mit M sprach sie über „Gute Arbeit“, Stressoren im Journalismus und weshalb die Trennung von Arbeit und Privatleben für Medienschaffende so wichtig ist.
mehr »

Fünfter Streik beim Bundesanzeiger

Mit rund 130 Millionen Euro Jahresumsatz und einer stattlichen Gewinnmarge von 18 bis 20 Millionen Euro ist der Bundesanzeiger Verlag die Cash Cow der DuMont Verlagsgruppe. Doch der Verlag verweigert Tarifverhandlungen. Dabei, so formuliert es Bundesanzeiger-Betriebsrat Gerhard Treinen, befindet sich ein großer Teil der rund 560 Beschäftigten und der bis zu 280 Leiharbeitenden in prekären Arbeitsverhältnissen. Daher hat ver.di jetzt zum fünften Mal in diesem Jahr zu einem Warnstreik aufgerufen. Rund 100 Streikende hatten sich dann auch vor dem DuMont Gebäude in Köln versammelt und verliehen ihrem Unmut hörbar Ausdruck als sie „Tarifvertrag jetzt“ skandierten. „Ich habe…
mehr »

Dreyeckland-Journalist wegen Link angeklagt

Am 18. April beginnt der Prozess gegen den Journalisten Fabian Kienert. Dem Mitarbeiter von Radio Dreyeckland in Freiburg wird die Unterstützung einer verbotenen Vereinigung vorgeworfen, weil er das Archiv eines Onlineportals in einem Artikel verlinkt hat. Das Portal mit Open-Posting-Prinzip war von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) 2017 als kriminelle Vereinigung verboten worden.
mehr »

Die Verantwortung der Redaktionen

Auf die mentale Gesundheit zu achten, ist keine individuelle Aufgabe. Auch Arbeitgeber*innen können und sollten etwas für psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen tun. Wie funktioniert das in einer Branche, die so geprägt ist von Zeit und Leistungsdruck und belastenden Inhalten wie der Journalismus? Wir haben uns in zwei Redaktionen umgehört, die sich dazu Gedanken gemacht haben: das Magazin Neue Narrative und der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag (SHZ).
mehr »