Über Medienfreiheit in Zeiten des Krieges

Szene aus dem Gewinnerfilm "Das Hamlet-Syndrom" Screenshot: www.dokumentarfilm.info

Unter dem Motto „Medienfreiheit im Ausnahmezustand“ diskutieren am 28. April in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin Medienpolitiker*innen und Filmemacher*innen über die Perspektiven des Dokumentarfilms im Zeichen des Krieges in der Ukraine. Den Rahmen bildete das Roman-Brodmann-Kolloquium. Der Schweizer Journalist und Filmemacher ist auch Namengeber eines erstmals verliehenen Dokumentarfilmpreises.

Heike Raab, rheinland-pfälzische Bevollmächtigte beim Bund und für Europa und Medien, berichtete in ihrem Impulsvortrag über einen „bewegenden Austausch“ mit ukrainischen Journalist*innen am Vorabend in Brüssel. Als Medienpolitikerin stelle sie sich immer wieder die Frage nach dem Zustand der Medien- und Meinungsfreiheit und wie diese durch Regeln geschützt werden könne. „Wenn Medienfreiheit in den Ausnahmezustand gerät, ist Demokratie in Gefahr“, sagte Raab. Qualitätsjournalismus und Medienkompetenz seien deshalb wie eine Impfung für die Gesellschaft. „Sie machen uns resistent gegen Propaganda, gegen Desinformation oder gegen Hass und Hetze“, so Raab. Dazu trage auch der politische Dokumentarfilm bei, da er historisches Gedächtnis präge.

Dies sei auch in der aktuellen Kriegssituation wichtig. Denn die russische Seite führe auch einen Propaganda- und Informationskrieg, sogar gegen die eigene Bevölkerung. Die von Russland getroffenen Maßnahmen gegen nationale und ausländische Medien seien deshalb „auch ein Angriff auf unsere demokratische Werte“. Russische Staatsmedien versuchte schon seit Jahren, hierzulande die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Das im Medienstaatsvertrag verankerte Gebot der Staatsferne habe den Landesmedienanstalten die Handhabe gegeben, dagegen vorzugehen.

Raab zeigte sich „dankbar, dass es uns gelungen ist, im Medienstaatsvertrag journalistische Sorgfaltsprinzipien festzuhalten“. Sie verwies auf zwei neue Gesetzesprojekte: Das Digitale-Dienste-Gesetz, das die großen US-Plattformen in die Verantwortung nehme sowie auf den in Brüssel diskutierten European Media Freedom Act, mit dem unabhängige Medien analog zum in der Bundesrepublik bereits erreichen Level gestärkt werden sollen. „Die Medien sind viel zu wichtig, um sie den Algorithmen des Marktes zu überlassen“, konstatierte Raab.

Vom Risiko, brisante Stoffe aufzugreifen

Die anschließende Podiumsdebatte kreiste vor allem um die konkreten Arbeitsbedingungen von Journalist*innen und Filmemacher*innen in Kriegs- und Konfliktgebieten. Mitte März gründeten Reporter ohne Grenzen (RSF) gemeinsam mit dem ukrainischen Institut für Masseninformation das Zentrum für Pressefreiheit in Lwiw (Lemberg) in der Westukraine. Das Zentrum versorge ukrainische Journalist*innen mit kugelsicheren Schutzwesten und Helmen, schilderte Christian Mihr, der Geschäftsführer der deutschen RSF-Sektion, die gefährliche Arbeitssituation der Reporter im Krieg. „Wir kaufen fast jede Woche neue Schutzausrüstungen“, so Mihr, „der Bedarf ist riesig,“ Auch Schutzkeller würden in Lwiw zur Verfügung gestellt. Dazu Arbeitsmöglichkeiten, denn anders als viele regierungskritische Journalist*innen aus Russland, „wollen viele ukrainische Journalisten das Land gar nicht verlassen, sondern von vor Ort über den Krieg in ihrem Land berichten“.

Eric Fiedler, Filmemacher („Das Schweigen der Quandts“) und Leiter der Hauptabteilung Dokumentation beim Südwestrundfunk (SWR), berichtete über die Risiken, die Filmemacher beim Aufgreifen brisanter Stoffe eingehen. Ein Doku-Drama über den Völkermord an den Armeniern habe zum Beispiel schon vor der Ausstrahlung zu Gegendemonstrationen und zu versuchter Einflussnahme durch die türkische Botschaft geführt. Auch über die EU sei versucht worden, mit lobbyistischen Methoden die SWR-Intendanz in dieser Frage unter Druck zu setzen.

Er sei dankbar, dass solche Filme dennoch in Deutschland und Westeuropa realisiert werden können, weil im Konfliktfall der öffentlich-rechtliche Sender sich hinter die Autoren stelle und ihnen Schutz gebe. Journalist*innen und Dokumentarfilmer*innen, die in Ländern wie der Türkei, Ägypten oder anderen weitgehend undemokratischen Staaten wie dem Nahen Osten „den Mut haben, die Wahrheit aufzudecken – das sind für mich die wahren Heroes“, sagte Fiedler.

Marc Wiese, Journalist und Filmemacher, verwies auf die besonderen Sicherheitsvorkehrungen beim Drehen in Krisengebieten. In einem Land wie Afghanistan sei die Genehmigung durch einen Warlord in der Regel unabdingbar. Für seinen Film „Die Unbeugsamen“ über die Zersetzung der Demokratie auf den Philippinen begleitete Wiese die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Journalistin Maria Ressa und ihr Team vom Online-Magazin „Rappler“ ein Jahr lang bei ihren Recherchen.

Über Möglichkeiten, im Exil weiterzuarbeiten

Auf den Philippinen, wo Präsident Rodrigo Duterte Zehntausende Menschen durch Polizei und Todesschwadronen hat ermorden lassen, sei es unmöglich, offen zu arbeiten. Die Filmer seien daher genötigt gewesen, aus Tarnungsgründen ein Exposé für eine Serie zum Thema „Beautiful Islands in the world“ vorzulegen. „Wenn das auffliegt, gehe ich in Haft“, so Wiese. Andere, weniger bekannte Journalist*innen auf den Philippinen, würden gelegentlich auf offener Straße erschossen. Für Maria Ressa sei die weltweite Öffentlichkeit, die über ihre Arbeit informierte, „ihre Lebensversicherung“ gewesen.  Er selbst nehme vor jedem Drehstart erst eine Gefahrenabschätzung vor. Bei einem Projekt über Drogenkartelle in Ecuador habe er auch schon mal entschieden: „Da gehen wir nicht rein.“

Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen forderte mehr Verständnis und Respekt für geflüchtete Journalist*innen. Manche erlebten, „von einem Profi plötzlich zum Geflüchteten xy“ abgestempelt zu werden. Das Neue im Kontext der russischen Invasion in der Ukraine sei, „dass komplette Redaktionen ihr Land verlassen haben“. Redaktionen, die gern auch im Exil weiterarbeiten wollten, was aber oft an Visa-Problemen scheitere. Zwecks Unterstützung solcher Medienschaffenden habe RSF einen speziellen Fonds, den „JX Fonds“ ins Leben gerufen, gemeinsam mit der Rudolf Augstein Stiftung und der Schöpflin Stiftung. Mihr: „Mit diesem Fonds bieten wir kompletten Redaktionen flexibles Geld an, damit sie nach ihrer Flucht ihre Arbeit schnell fortsetzen können.“

Szene aus „Das Hamlet-Syndrom“ Screenshot: www.dokumentarfilm.info

Den Roman Brodmann Preis 2022 verlieh die Jury unter zehn nominierten Produktionen an den Film „Das Hamlet-Syndrom“, eine Adaption des Hamlet-Stoffes vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ostukraine. Regie bei der im Auftrag von Arte, SWR und der ARD produzierten Arbeit führten Elwira Nawiera und Piotr Rosolowski. In der Begründung der Jury heißt es: „Was zunächst wie die klassische Dokumentation eines Probenprozesses anmutet, entwickelt sich bald zu einem fesselnden Porträt der von politischen Umbrüchen und Erschütterungen geprägten Generation Maidan.“

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