… und einen Zahn hat er doch

Der Deutscher Presserat – ein aktives halbes Jahrhundert

50 Jahre wird der Deutsche Presserat in diesem Jahr. Ein Grund, zu gratulieren? Das hängt von den Erwartungen potenzieller Gratulanten ab. Man kann sie grob einteilen in a) Gegner von vornherein, b) Enttäuschte und c) halbwegs Zufriedene. Uneingeschränkt Begeisterte wurden bisher nicht entdeckt. Dafür aber Menschen, die alles untauglich finden, was sie nicht selbst machen.
Die a-Anhänger sehen sich vollauf bestätigt und gratulieren daher vor allem sich selbst. Sie sahen im Presserat von Anfang an eine Missgeburt: Ein Wesen mit zwei Köpfen aus dju und DJV wäre ja noch hinnehmbar. Aber mit vieren, davon zwei aus dem Lager der Verleger? Nicht Fisch, nicht Fleisch. Gefährlich zudem. Weil die Lagergrenzen verwischt werden und weil bei der realen Machtverteilung nur eine Alibinummer für die Unternehmer he­rauskommen kann: Die Medieneigentümer schützen sich mit der Selbstregulierung per Presserat vor scharfen Gesetzen, Verboten, Geldbuße und Knast. Und die Journalistengewerkschaften leisten für dieses Fluchtmanöver auch noch Beihilfe. Obwohl ihre Mitglieder stets die Kritik von Lesern ausbaden und unter täglich schlechteren Bedingungen eben diese Kritik durch Qualität vermeiden helfen sollen.
Den Beweis für die Gültigkeit dieser Prognose kann man schließlich jeden Tag in die Hand nehmen, meinen die a-Leute. Wird da nicht – trotz Presserat – immer noch geschludert, Banales aufgeblasen, Bedeutendes unerwähnt gelassen, Schleich­werbung betrieben und mit Menschen zu Gewinnzwecken Schlitten gefahren? (Zumindest in anderen als dem eigenen Blatt.) Und der klarste Beweis für die Alibi-Theorie: Sogar um den Abdruck von Rügen, der einzig wirksamen Waffe des Presserats, drücken sich die Sünder, wo sie können.
Die Anhänger von b) hatten zunächst Hoffnung. Sie schließen sich – bei marginalen Unterschieden in der Begründung – im Ergebnis aber Gruppe a) an.
Bleiben die c-Leute. Sie haben einen schweren Stand. Von Beginn an. Zwar können sie für sich geltend machen, dass Kritik an den Inhalten von Zeitungen und Zeitschriften nicht in Zensur, auch nicht durch einen Presserat, umschlagen darf. Aber ist es nicht wahr, dass auch 50 Jahre nach der Gründung des Presserats und 33 Jahre nach Inkraftsetzen seines Pressekodex die ethischen Regeln der Branche täglich missachtet werden? Die Zahl der Beschwerden beim Presserat sinkt nicht. Sie steigt nachweislich über die Jahre. Und tatsächlich wird nicht jede Rüge im betroffenen Blatt abgedruckt. Und nicht zuletzt: brüstet sich nicht der eine oder andere Chefredakteur mit der Behauptung, mit Presseratsrügen schmücke er gerade mal die Trophäenwand hinter dem Schreibtisch, gleich neben den selbst geschossenen Böcken?
Und warum halten die c-Menschen trotzdem am Presserat fest? Weil sie sich entschieden haben, die Welt mitzugestalten, ohne die Erschaffung einer neuen Welt zur Bedingung zu machen. Und weil die Argumente der Gegner und Enttäuschten nur auf den ersten, nicht mehr aber bei einem gründlichen Blick überzeugen.
Unbestritten ist: Der Pressekodex wird auch von Gegnern des Presserats nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Sie erkennen auch an, dass es der Presserat nicht bei Manifesten belässt, deren Befolgung ausschließlich im Belieben des Einzelnen liegt. Der Presserat hat zudem den selbst gesetzten Regeln auch einen Durchsetzungsmechanismus (Exekutive) an die Seite gestellt. Dessen Wirksamkeit ist grundsätzlich durch die Unterwerfung der Beteiligten unter die Regeln verbürgt.
Die Kritik richtet sich im Kern gegen ein vermeintlich unerträgliches Durchsetzungs-Defizit. Die Kritiker müssen sich allerdings der Frage stellen, welches Sys­tem sie kennen, dass perfekt funktioniert. Und die steigende Zahl von Beschwerden? Sie belegt zunächst nur den wachsenden Bekanntheitsgrad des Presserats und dessen Akzeptanz als Konfliktregulierungs-­Instanz. Aus den Kriminalitätsstatistiken wissen wir: Plus oder Minus bei bestimmten Delikten hängen eher vom Anzeigeverhalten und vom Verfolgungsdruck als von Änderungen in der Neigung ab, solche Delikte zu begehen.
Da der Presserat keine Berufungs- und Revisionsinstanzen kennt, muss er die Verweigerer im Zweifel überzeugen. Bei Verfahrensmängeln muss er auf einen Vollzug verzichten. Die Existenzfrage für den Presserat stellte sich allerdings, wenn der Rügenabdruck allein in das Belieben der Verlage gestellt würde. Dass dies keine Theorie ist, belegt ein Konflikt um den Rügenabdruck, der den Presserat Mitte der 80er Jahre an den Rand der Auflösung brachte.
Die Auseinandersetzung um den Rügenabdruck zeigt nicht nur das latente Konfliktpotenzial. Sie entkräftet vor allem die Behauptung von der Unwirksamkeit („Zahnlosigeit“) des Presserats. Zwar weiß der Rat nicht, welche Folgen erfolgreiche Beschwerden in den Redaktionen und Verlagen haben. Die Betroffenen müssen darüber keine Rechenschaft ablegen. Dass Rügen aber gefürchtet sind, belegen harte Indizien: Von einer Rüge bedrohte Verlage versuchen in der Regel, mit sehr differenzierter Argumentation und oft mit juris­tisch geschulter Hilfe, Rügen zu entgehen. Wer Rügen für unbeachtlich hält, verhält sich anders. Auch der Versuch, um den Rügenabdruck herumzukommen, spricht nicht für Wirkungslosigkeit. Die Trophä­en-Nummer mag bei wachsenden oder stabilen Auflagen ja noch Realitätsgehalt gehabt haben. Heute ist sie ein schlechtes Bonmot. Der Kampf um jeden Leser und jeden Abonennten hat die Akteure empfindlich für die Marke gemacht, unter der sie auf einen schrumpfenden Verdrängungsmarkt gehen. Jeder Kratzer gilt inzwischen auch als Wettbewerbsnachteil. Rügen sind solche Kratzer. Und sie bleiben im Gedächtnis.

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