Ungewöhnliche Begegnungen

Internationales Fortbildungsprogramm des World Press Institutes in den USA

Das amerikanische World Press Institute bietet jedes Jahr bis zu zehn Journalisten aus dem Ausland einen fundierten Einblick in Politik, Gesellschaft und Medien der Vereinigten Staaten. Das in Deutschland bislang wenig bekannte Institut ist politisch unabhängig, wirbt für die Ideale einer freien Presse und regt seine Stipendiaten zur kritischen Auseinandersetzung mit den USA an.

Das Treffen der kleinen Journalistengruppe mit Weltbank-Vizedirektor Augustin Carsten begann in freundlicher Atmosphäre. Als der Manager seinen Vortrag beendet hatte, sah er sich plötzlich einem Schwall erboster Kritik ausgesetzt. Der Radioreporter aus Kamerun nahm ihn wegen der Missstände in seinem Land ins Gebet, der rumänische Zeitungsredakteur kritisierte das seines Erachtens zu geringe Engagement der Weltbank in Osteuropa, und die türkische Journalistin warf dem Weltbank-Mann vor, ihr Land auszuquetschen. Der deutsche Journalist in der zehnköpfigen Runde saß schweigend dabei und staunte, welch fundamentale Bedeutung das Thema „Weltbank“ für die Kollegen aus anderen Ländern hat.

Das Treffen war Teil eines einzigartigen Fortbildungsprogramms für internationale Journalisten in den USA. Seit 1963 holt das World Press Institute (WPI) Jahr für Jahr ausländische Journalisten für vier Monate in die Vereinigten Staaten. Wer an dem WPI-Programm teilnimmt, erhält nicht nur einen Einblick in die Gesellschaft und die Medienlandschaft der USA, sondern bekommt dank der internationalen Mischung der Gruppe gleichzeitig acht bis neun unterschiedliche Perspektiven auf jedes Thema mitgeliefert, wie die eingangs geschilderte Szene illustriert.

Zu Gast bei Starreportern

In einem Punkt waren sich die Teilnehmer des letzten Durchgangs einig: Die Monate beim World Press Institute waren die aufregendste, anregendste und anstrengendste Zeit in ihrem bisherigen Berufsleben. Hunderte von Treffen, Interviews und persönlichen Begegnungen standen auf dem Programm. Die Liste der Gesprächspartner reichte im vergangenen Jahr von Donald Rumsfeld und Jimmy Carter bis zu Strafgefangenen im Staatsgefängnis von Atlanta, sie umfasste Armeegeneräle und Bürgerrechtler, den Vizechef der US-Notenbank und FBI-Direktoren, Uniprofessoren und Farmer, es gab Treffen mit Chefredakteuren, mit Fernsehreportern, Radioleuten und Lokalredakteuren aus einem Dutzend Städte.

Star-Rechercheur Bob Woodward plauderte mit den WPI-Fellows knapp zwei Stunden lang, erzählte, wie er den Kontakt zu seinen Informanten pflegt. Von Jim Steele, dem investigativen Aushängeschild der Zeitschrift „Time“, war zu erfahren, wie akribisch er seine Projekte plant; und mit „New York Times“-Chefredakteur Bill Keller diskutierte die Gruppe über innerredaktionelle Selbstkontrolle und journalistische Standards. Besuche bei mittelgroßen Zeitungen wie „Star Tribune“ oder „Chicago Tribune“ boten Gelegenheit, mit den US-Kollegen über ressortübergreifende Rechercheteams, die Vernetzung von Zeitungen und Internet oder die Irak-Berichterstattung zu diskutieren. Das Programm ist eine Mischung aus Aufbaustudium, Reisestipendium, Crashkurs in Sachen Teamwork und Auslandsjournalismus, gemischt mit einer Handvoll Betriebspraktika. Es beginnt in der Zentrale des WPI in St. Paul / Minneapolis im Mittleren Westen. Im zweiten Monat führt eine Rundreise unter anderem nach New York und San Francisco, nach Washington und Austin / Texas, nach Chicago und Miami.

Ziel des Programms ist es, eingefahrene Bilder über „die USA“ zu erschüttern. „Wenn ihr am Schluss die gleichen Gedanken über unser Land habt wie vorher, haben wir viel Mühe verschwendet – und 50.000 Dollar pro Kopf in den Sand gesetzt“, formulierte Programmdirektor John Ullmann der mit seinem vierköpfigen Team die Gruppe betreute. Unabhängigkeit und Überparteilichkeit sind die Maxime des Programms. Der Etat speist sich aus Dutzenden von Quellen, von Großspendern wie der Knight Foundation, 3M oder dem Macalester College in Minnesota bis hin zu privaten Fördergeldern und Zuschüssen von Universitäten und Zeitungsverlagen. Ins Leben gerufen wurde das WPI einst vom Gründer der Zeitschrift Reader’s Digest DeWitt Wallace, der in den Zeiten des Kalten Krieges den Journalisten anderer Länder zeigen wollte, wie vorbildlich die USA seien.

Informationen

Der Autor, Redakteur in der Berlin-Redaktion beim „Tagesspiegel“, hat 2003 am WPI-Programm teilgenommen. Derzeit kann man sich für das Programm im Sommer / Herbst 2006 bewerben, Einsendeschluss ist der 31. Dezember 2005 (www.worldpressinstitute.org)

 

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