Unterhaltsamer Multikulti-Stoff

Wie Medien die Integration von MigrantInnen vorantreiben können

Dass der Alltag von Migrantenfamilien erfolgreich in deutsche Wohnzimmer gebracht werden kann – das demonstrieren zwei Unterhaltungsformate, die Lob von verschieden Seiten ernteten: Bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises wurde „Türkisch für Anfänger“ (ARD) als „beste Serie“ ausgezeichnet und „Alle lieben Jimmy“ (RTL) erreichte die Endrunde für die Nominierung der „besten Sitcom“. Die Zeitung Hürriyet ernannte 2006 zum „richtig türkischen Fernsehjahr“.

Von einhellig positiven Reaktionen bei deutschen und türkischen Zuschauer/innen berichten auch die Fernsehanstalten, die zudem Anfragen von türkischen Sendern erhielten. Bereits einen Monat nach Sendestart von „Alle lieben Jimmy“ meldete sich nach Auskunft der RTL-Pressestelle der Privatsender Kanal D und strahlte die erste Staffel unter dem Titel „Cemil ist Jimmy geworden“ in der Türkei aus. An der Serie „Türkisch für Anfänger“ sei der türkische Privatsender Kanal 4 interessiert, so die ARD.
Turbulent ging es zu in Lenas Patchwork-Familie Schneider-Öztürk aus Berlin und Jimmys Großfamilie Arkadas aus Neukirchen, den Hauptdarsteller/innen der Serien „Türkisch für Anfänger“ und „Alle lieben Jimmy“, die im Frühjahr ausgestrahlt wurden. Beide Familien gehören zum modernen Mittelstand und sind integriert – auch wenn Lenas strenggläubige Schwester Yagmur und Jimmys Oma Aynur ein Kopftuch tragen. Trotz aller ins Komische überzeichneter Reibungen zwischen den Kulturen geht es in erster Linie um den Familienalltag – mit Zoff zwischen Geschwistern, Pubertätsproblemen, Ehekrach, Generationenkonflikten, beruflichen Perspektiven.
Diese „Normalität“ schätzt der türkische Schauspieler Tayfun Bademsoy, der in der RTL-Sitcom Vater Metin Arkadas spielt. Während sonst in den Medien überwiegend „negative Aspekte misslungener Integration stark aufgeputscht“ würden, könne gerade in Unterhaltungsformaten, die das eher positiv besetzte Alltagsleben thematisieren, „die interkulturelle Sensibilisierung weiter vorangetrieben werden“. Bademsoy gehört zu den Gründungsmitgliedern der Bundesinitiative Fernsehen und Integration (BFI), die 2005 in Karlsruhe entstand – auf Anregung des Soziologen Michael Mangold, Leiter des dortigen Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM). Der Fokus solle auf Unterhaltung gerichtet werden, die von Heranwachsenden und „einfacheren sozialen Schichten“ rezipiert wird, weil mit bisherigen Kampagnen vor allem das Bildungsbürgertum erreicht worden sei, erklärt Mangold. Man müsse die Menschen in ihrem Alltag abholen. Wo Menschen mit traditionellen Bildungsangeboten nicht erreicht würden, übernehme das Fernsehen – besonders mit seinen Unterhaltungsangeboten – eine zentrale Rolle.

Den Alltag wiederfinden

Hier gelte es anzusetzen: Zuschauer/innen mit Migrationshintergrund sollten auch ihren Alltag in den Geschichten wiederfinden, sich mit den Personen identifizieren können. Man müsse deshalb verstärkt Migranten als Schauspieler/innen einsetzen und Drehbücher von ihnen schreiben lassen. Das scheint auch das Erfolgskonzept der beiden Serien zu sein. Das Team von „Türkisch für Anfänger“ ist selbst eine „Mulitkulti-Familie“ mit deutsch-türkisch-österreichisch-tunesisch-schweizerischem Migrationshintergrund. Der Autor der Serie, Bora Dagtekin, wuchs in einem deutsch-türkischen Elternhaus auf und hat persönliche Erfahrungen – ins Komische überzeichnet – in sein Skript eingebaut. Die Idee und die Drehbücher für „Alle lieben Jimmy“ stammen von dem türkisch-amerikanischen Autor Tac Romey, der für die RTL-Sitcom den Fokus verrückt hat – weg von der Nationalität, hin zur Familiensoap, das Türkische als „Farbe“.
Dass sie „neue Farben gewagt haben, auch wenn dies nicht vom Start weg mit hoher Zuschauerakzeptanz belohnt wurde“, honorierte die Jury des Deutschen Fernsehpreises. Man wolle „die Sender ermutigen, an ihre Serienentwicklungen zu glauben.“ In der Tat hatte die erste Folge von „Türkisch für Anfänger“ im März mit einer Quote von 10,1 Prozent die Erwartungen der ARD nicht erfüllt und es bedurfte einer Unterschriftenaktion, um die Vorabendserie fortzusetzen. „Die bisherige Resonanz unserer Zuschauer bestärkt uns darin, ‚Türkisch für Anfänger‘ im Programm zu halten und mehr als nur die bisher produzierte erste Staffel mit zwölf Folgen auszustrahlen“, verkündete die ARD im Mai und gab den Drehstart für eine zweite Staffel bekannt. Diese wird ab März 2007 nach einer Wiederholung der ersten mit 24 neuen Folgen ausgestrahlt – versehen mit einer türkischen Videotextuntertitelung. RTL dreht gerade eine zweite Staffel mit acht Episoden von „Alle lieben Jimmy“, die 2007 gesendet werden soll.
Die erfolgreichen Familienserien „reflektieren“ – so die Fernsehpreis-Jury – „die gesellschaftliche Debatte um kulturelle Differenz und Integration und setzen einen Akzent mit unterhaltsamen Multikulti-Stoffen.“ ARD-Pressesprecherin Agnes Toellner: „Die wichtigste Botschaft ist: Im Alltag ist Familie in jeder Lebensform realisierbar, wenn alle bereit sind, aufeinander zuzugehen.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Aktivrente: Keine Option für Freie

Ein Bestandteil des derzeit kontrovers diskutierten “Rentenpakts” ist die sogenannte Aktivrente. Wer trotz Ruhestand weiter erwerbstätig ist, bekommt einen Steuerbonus. Doch das geplante Gesetz enthält eine Schieflage: Freie Journalisten oder Autorinnen sind wie andere Selbstständige von der Regelung ausgenommen.
mehr »

Initiative: KI besser nutzbar machen

Der Dominanz der globalen Big-Tech-Konzerne etwas entgegensetzen – das ist das Ziel einer Initiative, bei der hierzulande zum ersten Mal öffentlich-rechtliche und private Medienanbieter zusammenarbeiten. Sie wollen mit weiteren Partnern, vor allem aus dem Forschungsbereich, ein dezentrales, KI-integriertes Datenökosystem entwickeln. Dadurch soll die digitale Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Medienstandorts gestärkt werden.
mehr »

Anteil von Frauen in Führung sinkt

Nach Jahren positiver Entwicklung sinkt der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Journalismus das zweite Jahr in Folge. Der Verein Pro Quote hat eine neue Studie erstellt. Besonders abgeschlagen sind demnach Regionalzeitungen und Onlinemedien, mit Anteilen von knapp 20 Prozent und darunter. Aber auch im öffentlichen Rundfunk sind zum Teil unter ein Drittel des Spitzenpersonals weiblich.
mehr »

dju fordert Schutz für Medienschaffende

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di fordert nach dem erschreckend milden Urteil im Verfahren zum Angriff auf Journalist*innen in Dresden-Laubegast staatlich garantierten Schutz für Medienschaffende. Über zehn Männer hatten im Februar 2022 in Dresden-Laubegast am Rande einer Demonstration im verschwörungsideologischen Milieu sechs Journalist*innen und ihren Begleitschutz angegriffen.
mehr »