Eine große PR- und Marketingfirma in Niedersachsen muss einer früheren Volontärin 15.000 Euro Lohn nachzahlen, weil es bei ihrer Anstellung offenbar mehr um die Arbeitskraft als um die Ausbildung ging und sie dafür zu schlecht bezahlt wurde. Auf diesen Vergleich einigten sich jetzt beide Seiten vor dem Arbeitsgericht Oldenburg. Vielleicht macht ihr Beispiel jetzt Schule bei den Absolventen anderer qualitativ fragwürdiger Volontariate?
Als billige Arbeitskraft ausgenutzt: So fühlen sich Auszubildende, wenn sie für wenig Geld viel arbeiten müssen, ohne dabei systematisch angeleitet zu werden. Nur selten wehrt sich jemand dagegen. In Niedersachsen hat jetzt eine Lektorin ihren Ex-Arbeitgeber auf Gehaltsnachzahlung verklagt, weil sie zwei Jahre lang als Volontärin angestellt war und dementsprechend niedrig bezahlt wurde, obwohl sie fast die volle Arbeit einer Lektorin erledigt habe. Deshalb forderte sie von der Delmenhorster Borgmeier Media Gruppe die Differenz zwischen der erhaltenen Ausbildungsvergütung und dem höheren gesetzlichen Mindestlohn für reguläre Arbeitskräfte – insgesamt 16.019,79 Euro plus Zinsen und 960 Euro „Verzugskostenpauschale“. Am 15. Juli verhandelte darüber das Arbeitsgericht Oldenburg. Am Ende einigten sich beide Seiten auf einen Vergleich: Die Klägerin erhält 15.000 Euro brutto.
„Ich bin sehr erleichtert“, sagte Juliana M. nach der Verhandlung. Die heute 33-Jährige mit Studienabschlüssen in Ethnologie, Friedens- und Konfliktforschung hatte sich 2016 mit Erfolg um ein Lektorats-Volontariat beworben. Zwei Jahre sollte die Ausbildung bei der Borgmeier-Gruppe dauern, bei einer Vergütung von anfangs 750 Euro und später 1.000 Euro brutto im Monat. Aber M. hatte den Eindruck, schon frühzeitig als vollwertige Kraft eingesetzt zu werden, etwa beim Lektorieren von PR-Texten oder bei der Schlusskorrektur von Kundenmagazinen. Bereits nach ein bis zwei Monaten, so Juliana M., habe sie selbstständig gearbeitet und sei nur noch stichprobenartig kontrolliert worden – und das auch nicht zu Schulungszwecken, sondern im Interesse der Firma und ihrer Kunden.
Weitere Vorwürfe der Klägerin: Borgmeier habe keinen schriftlichen Ausbildungsplan vorgelegt und keine externen Seminare angeboten. Hin und wieder sei sie von Vorgesetzten angeleitet worden, aber meistens habe sie bei inhaltlichen Fragen den Hinweis bekommen, dass sie das ja selber im Internet nachlesen könne oder auch im Duden-Band „Richtiges und gutes Deutsch“, der zu ihrer Arbeitsplatzausstattung zählte.
Alles in allem, so die Klägerin, habe es sich nicht um eine Ausbildung, sondern um ein normales Arbeitsverhältnis gehandelt. Das zeige sich schon an ihrem Vertrag: Er enthalte Regelungen zu Kündigungsfristen und Überstunden, wie sie typisch für einen normalen Arbeitsvertrag seien. Ja, sogar dieser Begriff tauche an mehreren Stellen des Vertrages auf.
Dabei allerdings handelte es sich wohl um eine Panne: „Unglücklicherweise“, so der Anwalt der Borgmeier-Gruppe vor Gericht, sei als Basis des Ausbildungsvertrags ein Arbeitsvertrag verwendet worden, der dann umgeschrieben worden sei. Aber auf die Begrifflichkeiten komme es gar nicht an, sondern auf das, „was von den Parteien gewollt und gelebt wurde“. Und das sei eine Ausbildung gewesen. Dafür habe durchaus ein Ausbildungsplan existiert, auch wenn er nicht Teil des Volontariatsvertrags gewesen sei.
Die nötige Betreuung habe die Firma ebenfalls gewährleistet, argumentierte der Borgmeier-Anwalt. Bereits vor dem Gerichtstermin hatte er der Klägerin vorgeworfen, sie verwechsele ein Volontariat offenbar mit einer Schul- oder Universitätsausbildung. Ihre Vorgesetzten seien nicht ihre persönlichen Lehrer, sondern Vieles laufe über „learning by doing“, allerdings immer mit bereitstehenden Ansprechpartnern.
Dass eine Ausbildung nicht völlig durchgeplant sein müsse, bestätigte auch der Vorsitzende Richter, als er in der mündlichen Verhandlung die vorläufige Rechtsauffassung der Arbeitsgerichtskammer erläuterte. „Am besten lernt man natürlich am lebenden Objekt.“ Aber die Tätigkeit einer Volontärin müsse an den Lernfortschritt angepasst werden. „Ich fange klein an und ende irgendwann groß.“ Diese „Tätigkeitszuweisung gemessen am Lernfortschritt“ vermisste das Gericht, und es äußerte seine „Neigung“, das angebliche Volontariat als normales Arbeitsverhältnis einzustufen und deshalb der Klage stattzugeben.
Die drohende Niederlage vor Augen, erklärte sich der Borgmeier-Anwalt schließlich zum Vergleich bereit. Von den vereinbarten 15.000 Euro muss Juliana M. allerdings noch ihren Anwalt bezahlen.
Hinterher erzählte sie, dass sie sich schon bald nach ihrer Einstellung „entweder mehr Lohn oder eine bessere Ausbildung“ gewünscht habe. Nach dem Volontariat sei sie als Lektorin übernommen worden. „Das ging nahtlos ineinander über.“ Anderthalb Jahre später habe die Firma ihr aus betriebsbedingten Gründen gekündigt. „Jetzt hatte ich nichts mehr zu verlieren und konnte klagen.“ Mit fast vollständigem Erfolg.