Vom Stolz auf guten Journalismus

„netzwerk recherche“ in Hamburg über Qualität und Krise

700 Journalisten, zwei Tage lang, 77 Diskussionsrunden und Vorträge, Showlaufen und Kontaktpflege, Smalltalk und Hintergrundgespräche, Informationen und Reflektionen – die Jahrestagung von „Netzwerk Recherche“ (nr) auf dem Gelände des NDR in Hamburg Anfang Juni hatte es, wieder einmal, in sich. Das Thema in diesem Jahr: „Journalismus zwischen Morgen und Grauen“.

Und am zweiten Tag, nach der themenbezogenen Eröffnungsrede von Heribert Prantl, nach der Verleihung der „Verschlossenen Auster“ an den „Bundesverband Deutscher Banken“ hatte in einem der vielen Foren das Grauen plötzlich einen konkreten Namen: Jakob Augstein. Der frischgebackene Verleger der Wochenzeitung Der Freitag beklagte nicht nur „das klassische Printdenken“ auf den Podien und forderte als Neuheit die „Nutzbarmachung aller Wissensquellen“, sondern definierte den Begriff Journalismus neu: „Wir drucken alles: Bürgerjournalismus, Blogger und Experten.“ Und dann der Hammer des Grauens: „Unsere freien Autoren müssen ihr Geld woanders verdienen.“ Denn: „Ich bin für meine Leser zuständig, nicht für die freien Journalisten.“
Aber auch diese extreme Aussage berührte das Hauptthema, das sich als roter Faden durch die Tagung der „Journalisten für Journalisten“ zog: Qualität im Journalismus ist eine Grundvoraussetzung für die Existenz von Medien heute und morgen.
Einige Schlaglichter: Gastgeber und NDR-Intendant Lutz Marmor in seiner „Mischung aus Grußwort und Halbrede“: Die Krise habe auch die Medien erreicht und dagegen helfe nur „Qualitätsjournalismus, den auch wir brauchen.“ Es reiche nicht, „eine PR-Mitteilung umzuformulieren und mit einem guten Einstieg zu versehen“, sondern „Recherche darf sich nicht auf Vorzeigeplätze reduzieren. Recherche: Daran müssen wir ständig arbeiten.“
Oder Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung, der, so nr-Organisator Kuno Haberbusch, „nicht Flöte, sondern Trompete des Journalismus“ sei, in seinem Vortrag. Eindringlich hielt er ein Plädoyer auf die Pressefreiheit, die „das tägliche Brot der Demokratie“ sei. Von einer „angeblichen Existenzkrise, ja Todesnähe der Zeitungen“ könne keine Rede sein. „Das alles gehört zu den Hysterien, die im Journalismus noch besser gedeihen als anderswo.“ Und „überzogene Gewinnerwartungen von Eigentümern sind kein Ausdruck von Not, sondern von Kurzsichtigkeit und Dummheit.“ Vielmehr bräuchten die deutschen Zeitungen „Journalisten und Verleger, die ihre Arbeit ordentlich machen. Sie brauchen Journalisten, die neugierig, unbequem, urteilskräftig, selbstkritisch und integer sind.“ Und dann starker Applaus bei den Folgesätzen: „Sie brauchen Verleger, die einen solchen Journalismus schätzen, die also von ihren Zeitungen mehr wollen als Geld, die stolz darauf sind, dass sie Verleger sind. Denen dieser Stolz mehr bedeutet als ein oder zwei Prozent mehr Gewinn.“

Klare Bekenntnisse

Beeindruckende Worte auch vom Gruner+Jahr-Vorstandsvorsitzenden Bernd „Sonnendeck“ Buchholz („Wie oft ich mich für dieses Bild schon entschuldigt habe, ich tue es heute noch einmal.“) in der anschließenden Veranstaltung „Angst um Jobs und Inhalte – die Medien in der Krise“. Zwar warnte er vor eben dieser Krise, legte aber ein klares Bekenntnis zum Gebot „Qualität zu produzieren“ ab: „Retten wollen wir doch alle den Qualitätsjournalismus.“ Aber als Verleger fand er schnell wieder den Bogen zu den jüngsten g+j-Entscheidungen. Buchholz: „Wir brauchen Geschäftsmodelle, die sich selbst finanzieren.“ Es gehe nicht ums Sparen, sondern ums Ändern. Hierbei denke er etwa an Erhöhungen des Copy-Preises. Und: „Eine Gemeinschaftsredaktion ist die Rettung des Wirtschaftsjournalismus. In dieser Richtung müssen wir weiterdenken.“
Auch in den kleineren Veranstaltungen, den Erzählcafés und Workshops, ging es, wenn auch mitunter heftig und kritisch diskutiert, um Qualität. So lobte und verteidigte der NDR-Filmemacher Timo Großpietsch (Zapp) die Möglichkeiten des Videjournalisten: Gerade bei Reportagen sei man als VJ, als Ein-Mann-Team dichter dran an seinen Protagonisten, könne eine direktere Beziehung zu seinem Interviewpartner aufbauen, als wenn noch ein Kameramann dabei sei, ein zweiter Kollege den Ton mache und ein dritter für das richtige Licht sorge. Großpietsch: „Es ist eine riesige Freiheit, die ich genieße. Auf der Klaviatur eines Senders braucht man diesen Platz.“ Dennoch sei die ständige Zusammenarbeit mit einem Redakteur als Kontrollinstanz unbedingt notwendig.
Um die richtige Form des Reports, um dessen Qualität und Qualitätskriterien ging es auch in Cord Schnibbens (Spiegel) Vortrag „Die Kunst des Reports – Warum es oft klüger ist, keine Reportage zu schreiben“. Selbst gestandene Reporter und Journalistikprofessoren verfolgten diese heiter-informative „Vorlesung“ mit Interesse, nickten zustimmend bei der Aufzählung der drei Akte des Reports (I. Neugier; II. Balance; III. Happy End und Cliffhanger) und quittierten Schnibbens ultimative Reportformel mit Applaus:
R = (I + G) : (E + SZ) = 1, also: Information plus Gedanke geteilt durch Experten und Szenenzahl, das mache einen guten Report aus, der dann „pumpt wie ein Herzschlag“.
Beifall auch für die Ankündigung vom NDR-Intendanten für das kommende Jahr: „Wenn Sie möchten, werden wir auch nächstes Jahr gerne wieder Gastgeber sein.“ Also 2010 wieder in Hamburg Lokstedt ein Treffen mit hunderten Journalisten, mit einem Überangebot an interessanten Veranstaltungen und mit zahlreichen Einzelgesprächen.
Wulf Beleites 
www.netzwerkrecherche.de

 

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