Wenn Freie älter werden

Ein Seminar des WDR-Freienrats bricht Tabus

Ungeahnten Zuspruch erntete der Freienrat des WDR mit dem Angebot eines Erfahrungsaustauschs unter dem Titel „Wenn WDR-Freie älter werden…“. Über das Älterwerden in einem stressigen Beruf in von wachsender Konkurrenz durch arbeitslose Print-Kollegen geprägten Zeiten wollten viele Frauen und wenige Männer diskutieren.

Wie bleibt man als Ältere mit neuen Ideen im Geschäft, wie geht man mit der Redakteurin um, die 20 Jahre jünger ist als man selber? Wie mit neuen Sendeformaten, mit denen man nichts anfangen kann? Wie verkraftet man Honorarausfälle, wenn man sich nicht mehr so schnell von einer Krankheit erholt? Wann lohnt die Anschaffung der neuesten Technik? Was kann man jetzt noch für die Altersversorgung tun? So und ähnlich lauteten die Fragen, die die Veranstalter zur Diskussion stellten. Matthias Holland-Letz, Mitglied der WDR-Freienvertretung: „Wir waren über die große Resonanz sehr überrascht und mußten sogar einen zweiten Termin anbieten, weil sich über 40 Kolleginnen und Kollegen angemeldet hatten. Wir haben da offensichtlich ein Problem aufgegriffen, das die Leute beschäftigt.“

Leute bedeutete Frauen, die wenigen männlichen Kollegen räumten ein, dass Älterwerden unter Männern noch stärker tabuisiert sei als unter Frauen. Die sprechen zumindest untereinander über Probleme mit dem Älterwerden als ihre männlichen Kollegen. Man war sich freilich einig, dass ältere Frauen, soweit sie vor der Kamera arbeiten, stärker diskriminiert werden als Männer, die noch mit Glatze, Brille und Bauch auf den Bildschirm dürfen. Die meisten Interessierten waren zwischen Anfang und Mitte 40 jung, nur fünf Kollegen und Kolleginnen knapp über 50. Älter als 50 zu sein scheint auch im Selbstbild der WDR-Freien als eine Lebensphase voller Sorgen und Ängsten, auf die man sich lange vorher vorbereiten muß. Kein Wunder angesichts einer Volkswirtschaft, in der nur noch die Hälfte der Betriebe Menschen über 50 beschäftigt.

Es galt, Aufbauendes zu vermitteln, auch die positiven Aspekte eines langen Berufslebens herauszustellen: Kompetenz, Erfahrung und positiv erlebte Routine, Menschenkenntnis, die Interviews zugute kommt. Zwiespältig beurteilt wurde die Wirkung des langjährig erworbenen Selbstbewußtseins im Umgang mit Redaktionen: Einerseits läßt man sich nicht mehr alles gefallen – andererseits kostet diese Haltung Geld.

Unbekümmert jung oder Kompetenz und Erfahrung

Wie also umgehen damit, dass gewachsene Beziehungen zu Redakteuren enden, weil die in Rente gehen und die Nachfolgerin aus vielleicht guten Gründen neue, im Zweifel jüngere, Autoren beschäftigt? Einige Kolleginnen warnten davor, sich als Teil eines „gepflegten Autorenstammes“ sicher zu fühlen und sich nicht frühzeitig neue Redaktionen zu suchen. „Mein Ziel ist, jedes Jahr eine neue Redaktion aufzutun“, sagte eine 47jährige. Etliche Seminarteilnehmerinnen setzen nicht nur auf den WDR oder andere ARD-Sender, sondern schreiben außerdem Bücher, verfassen Drehbücher oder moderieren Veranstaltungen. Eine Kollegin gab den Tipp, Akquise an den Tagen zu betreiben, „an denen man sich gut fühlt“. Auch scheint es vernünftig zu sein, sich der Hektik aktueller Berichterstattung beizeiten zu entziehen, dort den Jungen Platz zu machen und sich auf längere Formate zu konzentrieren. Nur, so der Einwand, gerade diese Formate werden immer häufiger weg „reformiert“. Andere berichteten von „jungen Schnöseln in den Redaktionen“, denen Erfahrung und Kompetenz offensichtlich nicht so wichtig sind wie jugendliche Frische und Unbekümmertheit. Anders als bei Festangestellten sind junge Freie nicht automatisch billiger, denn der Honorarrahmen des WDR macht natürlich keine Altersunterschiede, läßt aber Spielräume, die die Redaktionen nach oben oder unten ausnutzen können.

Von inszeniertem Verdrängungswettbewerb zwischen Jung und Alt berichteten Kollegen aus Landesstudios: Dort, wo Regionalzeitungen junge Redakteure entlassen, werden die von Studioleitern gezielt beschäftigt. Sie sind als Neueinsteiger leichter handhabbar und verzichten womöglich auf die eine oder andere Dienstreiseabrechnung oder Zusatzhonorierung für Eigenproduktionen , die ein alter Hase einfordert. Solche Konkurrenzkämpfe ermüden. Statistisch betrachtet sind die betreffenden Jahrgänge nicht häufiger krank, wohl aber braucht man mit 52 länger, um sich von einer Grippe zu erholen als mit 42. „Wie werdet ihr mit den Anstrengungen fertig?“ fragten denn auch die Anfangvierziger die Anfangfünfziger und die rieten: Pausen machen, Erholung einplanen, Kräfte einteilen und konzentrieren, Ressourcen pflegen. Eine Freie machte auf den Sozialfonds der VG Wort aufmerksam. Dessen Mittel sind zwar begrenzt, ihr aber habe der Fonds, so die Kollegin, in einer Notlage „mit einem Scheck“ geholfen, „unbürokratisch und großzügig“.

Schlussfolgerung gefragt

Im WDR-Freienrat denkt man nun darüber nach, wie die Erfahrungen aus den beiden Seminaren in konkretes Handeln oder Forderungen umzusetzen sind.

 

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