Fragen an Christoph Singelnstein, Chefredakteur des RBB
Zehn Info-Wortprogramme betreiben ARD und Deutschlandfunk zusammen. Gemessen an den zahlreichen öffentlich-rechtlichen und privaten Popwellen ein eher kleiner Sektor. Doch mit Ausnahme von WDR5, wo leichte Verluste hingenommen werden mussten, haben alle Informationsangebote bei der Media Analyse 2018 Hörer_innen gewinnen können. Sender wie SWR Aktuell verzeichnen sogar 49,3 Prozent Plus. Was die Infowellen besonders freuen dürfte: Zugelegt haben die Sender vor allem in der für sie relevanten Zielgruppe der 30-49-Jährigen, nicht bei den Älteren. Wie kommt´s?
M | Herr Singelnstein, die Inforadios der ARD und die Programme des Deutschlandfunks sind die Gewinner der letzten Media-Analyse. Auch Ihr Angebot, das RBB Inforadio, erreicht mit seinem reinen Wortprogramm in Berlin inzwischen ebenso viele Hörer wie die Kollegen von radioeins (jeweils 6,1 Prozent Tagesreichweite) und mehr als Radio ENERGY (5,2 Prozent oder 105´5 Spreeradio (5,5 Prozent). Sind Sie ein „Krisengewinnler“? Verdanken Sie ihren Hörerzuwachs vor allem der unsicheren Weltlage, Trump, Putin, Erdogan und Kim Jong-un?
Christoph Singelnstein | Über die Gründe des Hörerzuwachses sagt die Media-Analyse nichts aus, insofern bewegen wir uns da im Bereich der Spekulation. Aber ich halte es für denkbar, dass sich angesichts der Weltlage mehr Menschen für Nachrichten und deren Hintergründe interessieren und deshalb das Inforadio einschalten. Zugleich arbeiten wir konsequent daran, dass RBB Inforadio noch besser zu machen: Wir achten verstärkt darauf, die Vorgeschichte von Geschehnissen klarzumachen und Zusammenhänge herzustellen. Dafür haben wir zum Beispiel ein neues kurzes Erklärformat „Auf den Punkt“ entwickelt. Ich freue mich, dass die Hörerinnen und Hörer das offenbar goutieren.
Haupteinschaltgrund ist sicherlich, dass die Hörerinnen und Hörer im Inforadio stets zuverlässig einen aktuellen Überblick bekommen, was gerade in Berlin, Brandenburg, Deutschland und der Welt los ist. Wer Inforadio hört, ist sofort auf dem neuesten Stand – mit Nachrichten alle 20 Minuten. Darüber hinaus begibt sich die Redaktion stets auf die Suche nach dem Warum und erläutert die Hintergründe mit allen Mitteln des professionellen Journalismus – seien es etwa Interviews mit handelnden Personen oder Experten, investigative Recherchen, Liveberichte vor Ort, Reportagen, Beiträge oder Kommentare. Derzeit gehen Inforadio-Reporter im Rahmen der Aktion „Wir müssen reden“ wochenweise wichtigen Themen nach, die Berlin und Brandenburg bewegen, und kommen vor Ort mit den Menschen ins Gespräch. Diese große Vielfalt bei gleichzeitiger Professionalität – das schätze ich am Inforadio und ich vermute, den Hörerinnen und Hörern geht es genauso.
Der moderne Nutzer ist, stärker als früher, Nachrichten mit Bild gewöhnt, gerade bei „breaking news“ oder Live-Events. Kann das Radio da langfristig noch mithalten?
Auf jeden Fall! Es wird immer einen Bedarf an „Nebenbei-Information“ geben, ob nun beim Autofahren, Kochen oder Gärtnern. Dafür ist das Radio bestens geeignet. Es hat außerdem den inhaltlichen Vorteil, dass man sich nicht erst auf die Suche nach Bildern begeben muss, sondern den Inhalt ohne Umschweife direkt an die Konsumenten tragen kann. Ganz nebenbei macht dies das Radio auch zum schnelleren Medium im Vergleich zum Fernsehen.
Musiksender stehen vor der Herausforderung, den Kampf gegen Spotify und Amazon Music zu bestehen. Die öffentlich-rechtlichen Wort- und Inforadios dagegen haben keinerlei direkte Mitbewerber am Markt. Ist das ein Vorteil, den die Öffentlich-Rechtlichen derzeit noch unter Wert verkaufen?
Die öffentlich-rechtlichen Inforadios stehen durchaus in einem Wettbewerb mit den großen Nachrichtenanbietern im Internet wie etwa Spiegel Online. Ich denke nicht, dass wir unser Licht unter den Scheffel stellen. Ganz grundsätzlich habe ich aber den Eindruck, dass wir mit unseren Vorteilen nicht so offensiv umgehen, wie das mancher kommerzielle Mitbewerber tun würde. Diese Bescheidenheit könnten wir noch ablegen.
Nachrichten werden immer stärker auf Drittplattformen wie Facebook konsumiert. Dort, so legen fast alle Erhebungen nahe, wird man vor allem mit Video gefunden. Ein erheblicher Nachteil für die Gattung Radio?
Nachrichten werden im Internet ungern als Audio konsumiert – ob nun bei Facebook, in anderen sozialen Medien oder auf unseren Webseiten. Trotzdem ist die Entwicklung in diesem Bereich eine Chance für uns: Noch nie war es für die Menschen einfacher, Radio zu hören – jetzt hat quasi jeder sein Radio in der Tasche. Und wir sehen, dass das Angebot ankommt: Unsere Informations-Apps wie Inforadio und rbb|24 werden sehr gut angenommen. Nicht wenige unserer Hörerinnen und Hörer sind live am Smartphone oder über den Webstream dabei.