Medientage München: Lebenslang lernen – aber wie und wo?
Der Fortschritt ist eine Schnecke. Kein Tempo für die vielen Überflieger, die vornehmlich auf Tagungen ihre Sicht der Welt zum Besten geben. Gut, daß es Zwischentöne und Zwischenrufe gibt. Beispiel: Medientage München. Thema: „Der Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter nimmt zu.“ Sagt der Hauptgeschäftsführer der IHK München und Oberbayern, Reinhard Dörfler. Und ist im gleichen Atemzug zufrieden damit, daß die 6700 Print-, Multimedia- und Werbefirmen der Region ganze 250 Azubis in vier Medienberufen ausgebilden (Mediengestalter/ innen für Digital- und Printmdien, Mediengestalter/innen Bild und Ton, Film- und Videoeditor/ innen, Kaufleute für audiovisuelle Medien).
„Ausbildung und lebenslanges Lernen sind ein Gebot der Stunde“, fügt der Kammervertreter hinzu. Doch wen verpflichtet es wozu? Da wird der Burda-Mann, Bernhard Rosenberger, deutlicher: Die Beschäftigten sollen in der Weiterbildung vor allem das Lernen lernen mit dem Ziel der „Nutzbarmachung von Wissen für die Unternehmen“. Einen leisen Kontrapunkt setzt Prof. Klaus Schönbach, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Amsterdam: War eine – duale oder akademische – Ausbildung wirklich dann gut, wenn er oder sie „sofort in jeder Praxis funktioniert“? Wie ist das mit dem Nachdenken über das, was man tut, mit der gesellschaftlichen Verantwortung also? Ist so etwas nur für die „Häuptlinge“ wichtig oder gerade auch für die „Indianer“?
Applaus erhielt IG-Medien-Vertreter Frank Werneke für seine Feststellung, alle redeten vom lebenslangen Lernen, doch kaum jemand organisiere gangbare Wege. Dennoch gibt es ein paar hoffnungsfrohe Ansätze, nicht nur in Nischen:
- Duale Ausbildung. Gerade in den oft hochspezialisierten Betrieben der Medienwirtschaft ist es schwierig, das ganze Wissensspektrum einer Berufsausbildung abzudecken. Eine Lösung heißt Ausbildungsverbund: Mehrere Betriebe tun sich zusammen und tauschen die Azubis aus. Überbetriebliche Kurse komplettieren das Qualifizierungspaket. In Köln haben IHK, Verband der Druckindustrie und IG Medien gemeinsam ein solches Pilotprojekt zur Ausbildung von Mediengestalter/innen ins Laufen gemacht. Zehn Unternehmen machen bislang mit. Nebeneffekt: Die Firmen entdecken auch andere Felder, auf denen sie kooperieren können. Das Modell wurde 1999 mit dem Hermann-Schmidt-Preis für Innovative Berufsbildung ausgezeichnet.
- Berufsbegleitende Qualifizierung. Unter dem Motto „Qualifizieren statt entlassen“ beteiligten sich 350 Fachkräfte der Druck- und Medienvorstufe aus 130 Betrieben im Raum München an einem EU-geförderten, modularen Weiterbildungsprogramm. Grundlegende Hard- und Softwarekenntnisse konnten ebenso erworben werden wie fachübergreifende Qualifikationen – von Team- und Projektarbeit über Medienrecht und -ethik bis zu Kundenorientierung und Workflowmanagement. Außerdem gab es Schulungen für Online-Publishing und Multimedia. Das Bausteinkonzept entwickelten IG Medien und Druck-Arbeitgeber in Kooperation mit Kommune und Bildungsträgern.
- Frauenspezifische Qualifizierung. Das Projekt „Online-Publishing für Berufsrückkehrerinnen in der Druckvorstufe“ hat sich aus dem zuvor genannten entwickelt. Sichtbar wurde nämlich, daß Frauen im Erziehungsurlaub kaum Chancen haben, den schnellen technologischen Wandel in der Medienbranche mitzuvollziehen und einen erfolgreichen beruflichen Wiedereinstieg zu schaffen. Kursinhalte und Lernzeiten orientieren sich nun an den speziellen Interessen der „Familienfrauen“.
- Anpassungs- und Aufstiegsfortbildung. Rechtlich sind das immer noch zwei paar Schuhe. IG Medien und Bundesverband Druck bemühen sich gerade, für das Arbeitsfeld der Mediengestaltung ein modular aufgebautes, flexibles und dennoch verläßliches Weiterbildungskonzept zu konzipieren, das dieses Entweder-Oder überwindet. Ein wichtiger Schritt, nicht nur für Quereinsteiger. Ähnliche Anstrengungen unternehmen die Tarifpartner der IT-Wirtschaft. Im Bündnis für Arbeit wurde ausdrücklich eine Qualifizierungsoffensive für Informations-, Telekomunikations- und Medienwirtschaft verabredet.
- Qualifizierungsnetzwerk. Die „Münchner Multimedia Akademie“ ist keine Bildungsinstitution mit eigenem Haus, sondern eine virtuelle Einrichtung, die Fortbildungsinteressen bündelt. Da sind die Multimedia-Unternehmen, die ihre Beschäftigten qualifizieren wollen, die Hersteller der multimedialen Technologie und die Bildungsträger selbst. Es gilt, die Vielfalt und tendenzielle Beliebigkeit der Qualifizierungsansätze zu bündeln, zu strukturieren und Neues zu entwickeln. Stichwort: Qualitätszirkel. Der Freistaat Bayern hat der Stadt München und der IHK dafür eine Anschubfinanzierung zugesagt.
- Universität und Weiterbildung. Bei so viel Bereitschaft, vorhandene Interessen und Kompetenzen zu bündeln, fragt sich, wo der Beitrag der Hochschulen für die berufliche Weiterbildung bleibt. Prof. Peter Glotz, Rektor der Universität Erfurt, beklagte bei den Medientagen München die hohen bürokratischen Hürden, die eine solche Nutzung von Ressourcen bisher blockieren. An der Bereitschaft vieler Hochschullehrer, ihre Kenntnisse im Rahmen eines angehängten Uni-Instituts, das Aufträge von Firmen und privaten Institutionen anwerben darf, weiterzugeben, mangele es nicht. Die Verknüpfung von betrieblicher und universitärer Berufsbildung – eine alte gewerkschaftliche Forderung.