Das Spiel mit Nachrichten

Rettet die Gamification den Journalismus und erzeugt Medienkompetenz?

Ende Januar startete die App „news.oder.fake“ auf den App-Stores von Google und Apple. Das Prinzip: Das Spiel präsentiert eine Schlagzeile und die Nutzer*innen entscheiden per Wisch über den Bildschirm, ob sie wahr oder falsch ist. Wer richtig geraten hat, bekommt Punkte.

Gamification des Journalismus heißen die vielen Versuche, über Spiele die Medienkompetenz von jungen Leuten zu stärken. Die Hoffnung: Nachrichten werden gelesen, wenn man sie spielerisch mit zusätz-lichen Anreizen präsentiert. Fachleute loben das Engagement des Game-Anbieters, bezweifeln aber, dass sich auf Dauer genügend Mitspieler*innen finden.

„In Indien verhungern Menschen, weil sie sich nicht identifizieren können“, heißt es zum Beispiel in der App „news.oder.fake“. Nun hat der Nutzer oder die Nutzerin rund 40 Sekunden Zeit, diese Nachricht als wahr oder falsch einzuordnen. Dann kommt die Auflösung. Hier: News. Die Nachricht stimmt. Anschließend erklärt ein kurzer Text die indische Datenbank, in der sich Menschen identifizieren müssen, um staatliche Leistungen zu erhalten. Scrollt man weiter nach unten, erscheinen verlässliche Quellen für die Information mit Links zu Zeitungsartikeln etwa im englischen „Guardian“, dem deutschen Techportal Heise und der Deutschen Welle.

Bild: 123rf/ngupakarti

Nachrichten zocken

Gamified Journalism heißt das Konzept, spielerisch aufbereiteter Journalismus. Gründer Simon Sonnenberg vom Sozialunternehmen „news.oder.fake“ will mit der gleichnamigen App vor allem junge Menschen erreichen, die kaum herkömmliche Informationsmedien nutzen. Sie sollen sich mit den Hintergründen einer Nachricht beschäftigen – und so ein Gespür für Falsch- und Desinformation entwickeln. Journalistische Angebote wie Zeitungen, Radio, Fernsehen oder Podcasts sind für Sonnenberg „passive Medien.“ Die Nutzer*innen würden hören, lesen oder zuschauen – und dann die Inhalte schnell wieder vergessen.

In Spielangeboten wie„news.oder.fake“ setzten sich die User dagegen „interaktiv“ und damit intensiver mit den Inhalten auseinander. Sie entscheiden, ob eine Nachricht wahr oder falsch ist, prüfen ihre Entscheidung in der App und bekommen für die richtige Auswahl Punkte. Für Sonnenberg „ein neuer Weg, der viele Menschen einlädt, sich mit gesellschaftspolitischen Themen zu beschäftigen.“

Die Medien- und Kommunikationsethikerin Claudia Paganini hält alle „Zugänge für sinnvoll, die Menschen aus ihrer Informations-Bubble rausholen“. In solchen Apps könnten sich die Leute angewöhnen, jede Nachricht automatisch kritisch zu hinterfragen. Damit sei schon „ganz, ganz viel gewonnen“.

Anspruchsvolle User

Einen gesellschaftlichen Effekt hat aber nur, wenn viel „news.oder.fake“ die App nutzen – vor allem auch diejenigen, die sich bisher vor allem aus dubiosen Quellen informieren. Diese Leute erreiche man aber nur mit wirklich spannenden Konzepten. Paganini erinnert sich an ein Spiel, bei dem die Nutzer*innen „moralisches Verhalten“ lernen sollten: Man konnte ein Pferd redlich erwerben oder klauen. Wenn man das Pferd gestohlen hat, ist es durchs ganze Spiel hindurch immer wieder zu seinem ursprünglichen Besitzer zurück gehoppelt. „Das hat so unbeholfen ausgesehen, dass die Entwickler nur Spott geerntet haben“, erinnert sich Paganini. Die User merkten schnell, wenn jemand versuche, sie zu manipulieren.

„Die Anwender sind anspruchsvoll“, sagt Wissenschaftlerin Paganini. Wenn ein Spiel nicht spannend genug sei, verlören sie schnell das Interesse. Dieses könne man mit interessanten Spielfiguren, einer guten Dramaturgie und überraschenden Wendungen wecken. Reizvoll nennt sie Spiele, die eine Gruppenidentität schaffen, die den Beteiligten das Gefühl geben, sie hätten als Insider anderen, etwa Eltern oder Lehrern, etwas voraus. Nur mit der Aussicht auf Punkte und Gewinne locke man auf Dauer zu wenige Mitspieler*innen.

Medienkompetenz erspielen

Auch Annika Sehl lobt die Idee von „news.oder.fake“. Bisher gebe es kaum wissenschaftliche Untersuchungen darüber, ob und wie man User mit solchen Spielen Medienkompetenz vermitteln könne. Die Medienwissenschaftlerin der Bundeswehr-Universität bezweifelt, dass „news.oder.fake“ spannend genug ist, um Nutzer*innen dauerhaft zu halten. Ähnlich skeptisch sieht Jochen Koubek von der Uni Bayreuth die Versuche, Nachrichteninhalte über Spiele an die junge Zielgruppe zu bringen. Menschen ließen sich allein mit Punkten, höheren Spiel-Levels oder Badges, also virtuelle Auszeichnungen, „nicht dauerhaft motivieren“. Es gebe zu viele solche Angebote und das Interesse der meisten User lasse schnell nach – vor allem wenn sich die Muster wiederholen.

An  „news.oder.fake“ bemängelt der Mathematiker, Philosoph und Medienwissenschaftler, dass man sich für die Entscheidung News oder Fake außerhalb der App informieren müsse. Dies führe dazu, dass die Spielenden aufgrund ihrer Vermutung oder ihrer Vorurteile nach links oder rechts wischen. Erst danach liefere die App die für eine Entscheidung notwendigen Informationen.

Auch Koubek kennt jedoch keine wissenschaftlichen Studien, die die Gamification von Journalismus und ihre Wirkung untersucht hätten. Er geht jedoch davon aus, dass man Nicht-Leser*innen auch nicht mit Punkten und ähnlichen Belohnungen zum regelmäßigen Zeitungslesen motivieren könne.

Schulunterricht als Computerspiel

Die Erfahrungen mit solchen Apps in der Bildung bestätigen seine Zweifel nur teilweise. Im Internet berichten Lehrkräfte zum Beispiel positiv über den Einsatz des Spiels „Classkraft“, das beliebten Computerspiel wie „World of Warcraft“ (WoW) oder League of Legends (LoL) nachempfunden ist. Darin bekommen Schüler*innen Schätze, Waffen und andere Vorteile für gute Beiträge zum Unterricht, können höhere Levels erreichen und sich im Spiel als Team weiter entwickeln. Auf der Webseite „https://digitalunterrichten.ch/“ berichtet ein Schweizer Lehrer, dass „die Motivation der Schüler dank des Spiels spürbar zunehme“. 99 Prozent der Lehrkräfte befanden, dass das Spiel „positive Auswirkungen auf das Verhalten im Unterricht“ habe. 88 Prozent seien der Meinung, dass sich die Leistungen ihrer Schüler*innen durch den Einsatz des Spiels verbessert hätten.

Spiele wie „Classcraft“ oder Newsgames wie der „ireporter“ der britischen BBC verwickeln die Spielenden in eine komplizierte und aufwändig gestaltete virtuelle Welt. Wer mitspielt, wird Teil dieser Welt und gestaltet sie mit. Im „ireporter“ werden die Nutzer*innen selbst Reporter*innen, die Geschichten recherchieren und Missstände aufdecken. Das Spiel vermittelt also weniger den Inhalt der aktuellen Nachricht als allgemein journalistische Arbeitstechniken.

Dahinter steckt ein sehr hoher, teurer Entwicklungsaufwand. Selbst große Verlage und Sender können es sich nicht leisten, so aufwändige Spiele für einzelne Nachrichten-Themen zu programmieren. Bis ein solches Newsgame fertig ist, ist die zugrundeliegende Nachricht längst veraltet. „Schlecht gemachte Newsgames sind lästig, gut gemachte sehr teuer“, fasst Medienwissenschaftler Jochen Koubek das Problem zusammen. Deshalb könne man damit den journalistischen Alltag nicht aktuell abbilden.

Motivationsspiele in Unternehmen

Auch in der Wirtschaft setzen viele Unternehmen Elemente der Gamification zur Motivation ihrer Beschäftigten ein. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, habe Microsoft schon 2008 ein Online-Spiel zum Finden von Fehlern in der Software des Unternehmens veranstaltet und so 170 Fehler aufgedeckt. Bei der Burgerkette „Hans im Glück“ verabredeten sich Mitarbeiter*innen online zu „Missionen“, die sie gemeinsam erfüllen. Dies stärke das Gemeinschaftsgefühl im Team und bei den einzelnen die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Eine Studie der Münchener Universitäten TU und LMU habe ergeben, dass sich die Beschäftigten durch digitale Spielelemente im Arbeitsalltag „produktiver, motivierter und autonomer fühlten“.

Elektronische Peitsche

Der Nachteil: Die Unternehmen können das Verhalten ihrer Beschäftigten über die Spiele live beobachten und überwachen. Sie sehen über das Spiel jederzeit, wer gerade welche Leistung erbringt oder vielleicht gerade nicht so gut in Form ist. Die Mitarbeiterin eines US-Unternehmens, das solche Spielelemente in der Produktion einsetzte, nannte das Programm eine „elektronische Peitsche“. Der virtuell weiter verdichtete Leistungsdruck verbreite zusätzlichen Stress. Dieser schadet der Mitarbeiterzufriedenheit, der Produktivität und dem Image der Unternehmen. Hinzu kommen die hohen, meist sechsstelligen Entwicklungskosten. In Deutschland ist ein direkter Einsatz solcher Spiele im Unternehmen nur schwer vorstellbar, erinnert es doch sehr an eine Videoüberwachung der Beschäftigten und berührt damit den Datenschutz. Ein kommendes Beschäftigten-Datenschutzgesetz soll den Einsatz solcher Software regeln.

Das Unternehmen von News-oder-Fake-Mitgründer Simon Sonnenberg versteht sich als „nicht gewinn-orientiertes soziales Start-up“. Nach einer Anschub-finanzierung durch private Unterstützer sucht es neue Einnahmequellen. Vorübergehend wolle man Werbung schalten und Nutzer*innen als zahlende Abonnenten gewinnen. Die erhalten die Spielelemente dann weiterhin werbefrei. Einnahmen erhofft sich Sonnenberg auch durch den Verkauf von zusätzlichen Produkten oder von redaktionellen Inhalten an Dritte. Die Daten der App-User wolle er nicht vermarkten. Sie blieben geschützt.

Mit dem Start der App Ende Januar ist er zufrieden. Nach gut einer Woche hatten etwa 1.000 Nutzer*innen „news.oder.fake“ auf ihren Handys installiert. Im Apple-Appstore hat die Anwendung fast nur Bestnoten (fünf Sterne) erhalten. Mal sehen, wie lange die Fans dabeibleiben.

 

 

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