Buchtipp: Werbung für die Wahrheit

Innehalten und sich fragen: Was leite ich da eigentlich weiter? Illustration: 123rf

Realitätsferne Narrative prägen das rechtsextremistische Weltbild, das in Deutschland soziale Spaltung befeuert. Thomas Laschyk, Mitgründer des Anti-Fake-News-Blogs „Volksverpetzer“ wirbt für andere „sinnstiftende Erzählungen“, um eine faktenbasierte, konstruktive Debatte für eine friedliche und demokratische Gesellschaft zu führen. In seinem Buch „Werbung für die Wahrheit“ liefert er kluge Analysen und hilfreiche Strategietipps.

Unter Narrative versteht Laschyk „sinnstiftende Erzählungen“, aus denen sich eine Weltanschauung zusammensetzt. Deshalb reiche es nicht, einzelne Desinformationen durch Faktenchecks zu entlarven. Auch die ihnen zugrunde liegenden Narrative müssten aufgebrochen werden. Es sei fatal, wenn demokratische Medien sich in rechtsextremistisches Framing pressen lassen und deren Narrative zu Themen wie Migration oder Klimawandel bedienen. Laschyk nennt zahlreiche Beispiele – etwa für Bedrohungserzählungen im Zusammenhang mit Geflüchteten. Obwohl Deutschland laut Polizeistatistik in den letzten Jahren „in Sachen Kriminalität so sicher wie nie zuvor“ war, lese man ständig von „Messerangriffen“ in Kombination mit „Ausländern“ und „Migration“.

Staat und klassischer Journalismus versagen

In den ersten beiden von vier Kapiteln analysiert der Autor „die Wahrheit hinter der Lüge“ und „was (nicht) die Lösung ist“. Wenig Hoffnung setzt er in staatliche Regulierungen, solange nicht einmal die bestehenden Gesetze wirkungsvoll in Social Media umgesetzt werden. So habe es zwei Jahre gedauert, bis eine rechte Hasskampagne gegen den Antisemitismusbeauftragten Michael Blume auf Twitter gerichtlich gestoppt wurde. Auch der klassische Journalismus sei wegen der medialen Infrastruktur anfällig für Desinformation. Problematisch sei es, wenn Journalist*innen sich aus Zeitmangel an Agenturen orientieren oder ungeprüft Aussagen von Zeitungen wie „BILD“ und „Welt“ übernehmen, die selbst Hetzkampagnen, etwa gegen die Grünen, lostreten. Das erläutert Laschyk am Beispiel der „Please stärke die FDP“-Anweisung von Springer-Chef Matthias Döpfner während des jüngsten Bundestagswahlkampfs.

Auf „alternativen Fakten“ basierende Narrative hätten es leicht, wenn Medien Falschaussagen stehen lassen und als „Meinung“ rechtfertigen oder Rechtsextremist*innen interviewen anstatt sie in investigativen Berichten zu entzaubern. Besitzverhältnisse, Einnahme- und Informationsquellen, Nachrichtenwerte wie Negativismus oder Sensation, die Orientierung an dominaten Narrativen einer Gesellschaft – all das begünstige eine Diskursverschiebung des „Sagbaren“ nach rechts.

Seriös und emotional zugleich

Explizit thematisiert Laschyk im dritten und vierten Kapitel, wie nicht nur Faktencheckende und Journalist*innen, sondern alle für „die Wahrheit“ werben können, indem sie „Fakten statt Desinformation streuen“. Dabei sei das WIE entscheidend. Man könne – insbesondere in Social Media – nicht nur auf seriöse Infos setzen, sondern müsse das Publikum auch emotional erreichen. Das gehe mittels Satire wie im „Postillon“, der im Oktober 2023 eine Hamas-Desinformation zum Rakateneinschlag ins Al-Ahli-Arab-Krankenhaus entlarvte mit „Video aus Syrien von 2017 beweist, dass Rakete auf Krankenhaus eindeutig von Israel stammt“. Eine weitere Möglichkeit seien aufklärende Überschriften, die auch angesichts der Plattformalgorithmen trenden – wie es der „Volksverpetzer“ praktiziert. So etwa die Analyse: „WELT & AFD übernehmen Pro-Kreml-Kampagne gegen Baerbock“ vom 1. September 2022.

Laschyk appelliert an „den Leser“, den er mit einem vertraulichen „Du“ adressiert, Beiträge gegen Hass und Desinformation zu teilen, dem Reflex zu widerstehen, „dich einfach der Meinung deines Umfelds anzuschließen“ und Medien, die Desinformationen verbreiten, zu ignorieren. Andere Medien, die Factchecking betreiben wie etwa der „Volksverpetzer“ sollten unterstützt werden. Laschyks Buch ist ein flammendes Plädoyer für eine gemeinsame Faktengrundlage und andere Narrative, die Demokratie und Frieden befördern. Mit umfangreichen Quellennachweisen und zahlreichen Beispielen belegt er seine Argumentation.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Buchtipp: Power von der Eastside

Die Geburtsstunde des Jugendradios DT64 schlug beim „Deutschlandtreffen der Jugend“, einer von der Freien Deutschen Jugend der DDR ausgerichteten gesamtdeutschen Pfingstveranstaltung im Jahre 1964. Hervorgegangen war der Sender aus dem Jugendstudio „DT64“ des Berliner Rundfunks. Drei Jahre nach dem Mauerbau sollten der Jugend ein paar kulturelle Zugeständnisse gemacht, den aufmüpfigen Klängen der frühen Beat-Ära im Westen eine eigenständige, aber konventionelle sozialistische Alternative entgegengestellt werden.
mehr »

Israel: „Angriff auf die Medienfreiheit“

Die israelische Tageszeitung Haaretz ist für ihre regierungskritische Haltung bekannt. Nun sollen Regierungsbehörden offenbar nicht mehr mit der Zeitung kommunizieren. Gegen den TV-Sender Al Jazeera besteht ein Sendeverbot. Ermöglicht wurde dies durch ein im April beschlossenes Gesetz, das das Verbot ausländischer Medien vorsieht, die als schädlich für die Sicherheit Israels angesehen werden. Wir sprachen mit der israelischen Journalistin und Gewerkschafterin Anat Saragusti.
mehr »

Riesa: Einschränkung der Pressefreiheit

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beobachtete am vergangenen Samstag die Demonstrationen in Riesa rund um den AfD-Parteitag. Ziel der Beobachtung war der Schutz der Presse- und Berichterstattungsfreiheit sowie der Aufdeckung potenzieller Gefährdungen für Journalist*innen. Insgesamt mehr als sieben Stunden war die dju während der zahlreichen Demonstrationen vor Ort. Die Gewerkschaft übt nun insbesondere gegenüber der Polizei Kritik am Umgang mit Journalist*innen und an der Einschränkungen der Pressefreiheit während des Einsatzes.
mehr »

Ampelbilanz: Von wegen Fortschritt

"Mehr Fortschritt wagen" wollte die Ampel-Regierung laut Koalitionsvereinbarung von 2021 – auch in der Medienpolitik. Nach der desaströsen medienpolitischen Bilanz der vorausgegangenen Großen Koalition, so die Hoffnung, konnte es nun eigentlich nur besser werden. Von wegen. Die meisten der ohnehin wenig ambitionierten Vorhaben der Ampel blieben im Parteiengezänk auf der Strecke. Für den gefährdeten Lokal- und Auslandsjournalismus bleibt weiterhin vieles im Unklaren.
mehr »