Statt Wut und Bullshit zu verbreiten gibt es einiges, was Medienschaffende tun können, damit sich der Diskurs verbessert. Die österreichische Journalistin Ingrid Brodnig analysiert in ihrem Buch „Wider die Verrohung“ Zusammenhänge, liefert Beispiele und Tipps und macht nicht zuletzt Hoffnung.

Vielleicht haben wir uns alle schon zu sehr damit abgefunden, wie Debatten ablaufen und wie verroht sie oftmals leider sind. Wenn man die Meinungsstücke und Analysen zu den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen betrachtet, scheint sich eine gewisse Ratlosigkeit und Resignation breitzumachen. Ingrid Brodnig möchte sich nicht damit abfinden, erst recht, weil Debattenkultur oft bewusst zerstört wird, längst nicht nur in den sozialen Medien.
Ingrid Brodnig ist eine österreichische Journalistin und Publizistin. Sie verfasst eine regelmäßige Kolumne für die Tageszeitung Der Standard.
Tipps für Medienschaffende
Als Medienschaffende sollten wir uns fragen, ob wir diese künstliche oder gesteuerte Entrüstung mitbefeuern wollen, weil diese Klicks bringt – und meist deutlich weniger Rechercheaufwand benötigt. Brodnig zeichnet Ansätze auf, wie Schwarz-Weiß-Denken aufgebrochen werden kann, anhand von Beispielen und Gesprächen mit Sozial- und Politikwissenschaftler*innen. So sehr wir die derzeitige Situation bedauern, so wenig sind wir dieser ausgeliefert.
„Es besteht Grund zur Hoffnung. So gibt es verschiedene Rezepte, um als Gesellschaft sowie als Einzelne auf rhetorische Eskalations- und Ablenkungstaktiken zu antworten und die Verrohung in der Diskussionskultur zurückzufahren.“
Was bei all den wütenden Kommentaren im Netz gerne vergessen wird: „Was man online sieht, ist nicht die ‚Volksmeinung‘.“ Bei einer Untersuchung von 2,9 Millionen Facebook-Kommentaren hatten nur rund 8.900 Personen die Hälfte davon verfasst. Das sollte das Gefühl einer gespaltenen Gesellschaft wieder etwas in die Waage rücken. Brodnig stellt dazu technische Möglichkeiten vor, dieses „Rage Bait“ zum Teil auszugleichen können.
Mit Sprache gegen Populismus
Brodnigs Buch eignet sich für interessierte Lai*innen ebenso wie für Medienkolleg*innen. Reflexion über die eigene Mediennutzung (und die eigene Wut) kommt dabei ebenso zur Sprache wie Tipps und Hinweise. Brodnig stellt einige Ideen nach dem Zürcher Kommunikationswissenschaftler Frank Esser vor, mit denen Medien der Verbreitung von Populismus vorbeugen können. Ein ganz wichtiger Punkt dabei: „Demokratieverletzungen offenlegen. Wenn Grundprinzipien der liberalen Demokratie (wie Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenrechte) verletzt werden, muss das eingeordnet werden.“ Diese Technik müsste aktuell noch viel stärker gerade bei Themen wie Migration erfolgen. Auch das „Truth Sandwich“ nach dem Linguisten George Lakoff wird noch verhältnismäßig selten angewendet: „Man beginnt mit einer wahren Information. Erst danach geht man auf die falsche Behauptung ein. Dann korrigiert man diese und schließt wieder mit einer wahren Information.“
Spaltung abwehren
Gerade zu heilsam wirkt, dass Brodnig von niemandem ein „If they go low, we go high“ verlangt. Sie mahnt „Civility“, Anstand, nicht einseitig an, denn ohne einen grundsätzlichen Anstand ist keine Debatte mehr möglich: „Wenn (…) Menschen basierend auf ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung und so weiter abgewertet werden, verlassen wir diesen Grundsatz und bewegen uns im Bereich der Hate Speech“.
Mit der kompakten Länge von 180 Seiten macht „Wider die Verrohung“ es leicht, das Buch immer wieder aufzuschlagen, wenn uns die Verrohung verzweifeln lässt. Brodnig geht es um die „Abwehr von Spaltungsversuchen und zur Verteidigung fair geführter, demokratischer Diskussionen“. Wir alle sollten ein Interesse daran haben.
Das Buch ist als Sonderausgabe in verschiedenen Landeszentralen für politische Bildung erhältlich. Zum Beispiel in Brandenburg