Filmfestivals in Zeiten der Pandemie

Weltpremiere in München: In Berlin wächst kein Orangenbaum: Darstellerin Emma Drogunova, Regisseur und Darsteller Kida Khodr Ramadan und Moderatorin Julia Weigl begrüßen das Publikum. Foto: Filmfest München / Ronny Heine

Nur Fachbesucher*innen hatten letzte Woche Zugang zum Filmprogramm der Online-Berlinale. Mit einem „Summer Special“ vom 9. bis zum 20. Juni soll auch das Publikum in den Genuss der Filme kommen – dann auf großer Leinwand. Wie viele der Werke im „Summer Special“ auf die Leinwand kommen, wird sich zeigen. Im Rückblick auf ein Kulturjahr in Zeiten der Pandemie fällt auf, dass nur wenige Filmfestivals ausfielen. Die Veranstalter*innen entwickelten neue Konzepte und machten weiter mit virtuellen oder hybriden Ausgaben.

Die Zweiteilung der Berlinale machte Sinn, denn sie ist mit dem European Filmmarket (EFM) auch ein Marktplatz für die internationale Filmbranche. Der erste virtuell veranstaltete EFM zieht eine erfolgreiche Bilanz. Vom 1. bis 5. März haben laut Veranstalter täglich bis zu 12.000 Fachbesucher*innen aus 131 Ländern an Filmmarkt-Aktivitäten teilgenommen. Hinzu gesellten sich zahlreiche Festival-Akkreditierte, die das für Pandemiezeiten doch recht umfangreiche Programm sichteten.

Festival digital

Wie kann man ein Filmfest in Zeiten geschlossener Kinos planen und durchführen? Die Berlinale 2020 schrammte glücklich knapp an dem ersten Lockdown vorbei und hatte ein Jahr Zeit, für alle Eventualitäten Konzepte zu entwickeln. Für die anderen Festivals sah es anders aus. Heleen Gerritsen, Leiterin des Wiesbadener Festivals „goEast“, hatte sich schnell nach Beginn des ersten Lockdowns für ein digitales Abspiel der Filme entschieden. Dem Team blieben nur sechs Wochen für die Umstellung von analog auf digital. „Vor allem die Verhandlungen mit den Weltvertrieben für das Streaming waren schwierig. Als Rechteinhaber wollen sie natürlich an dem neuen Online-Geschäft teilhaben“, sagt Gerritsen. Als Grundlage für die Filmmieten habe man sich jeweils auf eine Bemessungsgröße möglicher Kinozuschauer*innen pro Filmvorführung im Saal geeinigt. Das Kernfestival fand dann virtuell in der geplanten Festivalwoche Anfang Mai statt, Monate später platzierte man das ursprünglich eingeplante Symposium zum Filmerbe im wiedereröffneten Kinosaal. Ein Schritt ins Sequentielle, dem auch andere Festivals folgten.

Seit dem Eintritt in die Online-Sphäre sehen sich die Festivals mit Ungeahntem konfrontiert. Abspiel-Plattformen wie Festivalscope sind überlaufen wegen weltweiter Anfragen, andere Anbieter wissen dies zu nutzen. Gerhard Wissner, Leiter des zuletzt komplett virtuellen Kasseler Dokfests, weist auf weitere Überraschungen hin: „Wir haben eine sehr deutlich erhöhte Leihmiete für alle Filme gezahlt. Und unsere Einnahmen haben sich verringert.“ Es kamen auch Beschwerden von Nutzer*innen über das umstrittene Geoblocking, denn Nicht-Akkreditierte konnten die Filme nur in Deutschland sehen. „Wir haben uns bewusst dafür entschieden“, sagt Wissner, „zentral war dabei für uns die Fairness gegenüber den Filmemacherinnen und Filmemachern.“ In der Tat würde man gerade den gebeutelten Dokfilmern mit einem internationalen Streaming sehr schaden. Ihr Werk wäre für die Weltvertriebe schnell uninteressant.

Mehr Reichweite

Nach den Schlussmeldungen der ersten rein virtuellen Festivals atmete die Filmbranche kurzzeitig auf. Das Dok.fest München konnte etwa 50.000 Kinobesuche*innen aus dem Vorjahr auf 75.000 Abrufe steigern. Im Laufe des Jahres verkündeten andere Festivalveranstalter ähnliche Jubelzahlen. Allerdings ist oft unklar, nach welchem System die Online Plattformen die Besucherzahlen messen. Und wie wird mit den „Kurzzeit-Klickern“ umgegangen? Die oft intransparenten Userzahlen halfen, das neue Zauberwort „Reichweite“ in der Festivallandschaft zu etablieren. Doch wie weit reicht die Reichweite?

„Wir haben im Prinzip auch nur die Menschen erreicht, die wir in unserem sehr großen Verteiler haben“, kommentiert Gerhard Wissner die gestiegenen Viewer-Zahlen vom Dokfest Kassel. Trotzdem denkt er darüber nach, das Festival nach der Pandemie hybrid zu gestalten: „Uns geht es um die Fortsetzung von Teilhabe. Wir haben von vielen Menschen gehört, dass sie sich gefreut haben, unsere Filme zu sehen – obwohl sie sonst kaum noch ins Kino gehen. Es geht uns aber nicht darum, den Erlebnisort Kino zu ersetzen.“

Arbeitsverdichtung im Sparprogramm

Mit der Wiedereröffnung der Kinos im Juni begann die rund dreimonatige Phase der hybriden Filmfeste. Jetzt ging es darum, das Streaming- und Kino-Angebot parallel zu stemmen – unter strengsten Hygiene-Auflagen. Für die Festivalbeschäftigten bedeutete dies eine enorme Arbeitsverdichtung. Mit dem hybriden Format entstanden für die Veranstalter außerdem Mehrkosten, die mit den vorhandenen Fördergeldern nicht mehr aufgefangen werden konnten. Also wurde am Programm und den Gästen gespart. Doch die Begegnungen zwischen Filmschaffenden und Publikum im Saal fehlten, da mochten die eingespielten Video-Statements von aus der Ferne winkenden Regisseur*innen nicht so recht zu helfen.

Das „Münchner Filmfest“ sagte als zweitgrößtes deutsches Filmfestival seine 2020er-Ausgabe ab. Auch weil es in der Planungsphase für die Rechteinhaber noch kein sicheres Geschäftsmodell für eine Online-Verwertung wichtiger Spielfilme gegeben habe. Anstatt dessen entschied man sich für ein sequentielles Festival unter freiem Himmel, das sich über den Hochsommer erstreckte. Im PopUp Autokino sowie im Open-Air Kino am Olympiasee präsentierten die Münchner acht Film- und Serienproduktionen als Weltpremieren. Dieses Jahr wird es wieder ein Kernfestival Anfang Juli geben, das trotz der Hygieneauflagen im Wesentlichen analog bleiben soll. „Wir stehen für die Live Erfahrung“ sagt Christoph Gröner, künstlerischer Leiter des Filmfests. „Die Atmosphäre eines Festivals kann man digital nicht ersetzen.“ Das gemeinschaftliche Erleben der Filmästhetik ist Gröner wichtig – „Nur so entsteht Begeisterung!“

Hybride Zukunft?

„Die Versuchung ist groß, die digitale Strategie auch in Zeiten nach der Pandemie teilweise beizubehalten“, meint Gröner, „der digitale Festival-Hype birgt jedoch auch ein Gefahrenpotenzial. Die Erwartungen der öffentlichen Geldgeber an Reichweite könnten steigen, insbesondere kleinere Festivals könnten davon überfordert werden.“

Auf dem jüngsten Bundeskongress des Verbands der Kommunalen Filmarbeit (BkF) diskutierten Festivalleiter*innen zum Thema „Filmfestivals in Zeiten der Krise“, darunter Christoph Terhechte von DOK Leipzig. Er mutmaßte ebenfalls, dass die Ansprüche an die Onlineauftritte zunehmen würden und damit auch die Erwartung, dass sich die Festivals in diesem Bereich professionalisierten. Dies würde weitere Kosten und Mehrarbeit bedeuten. Ginge das überhaupt ohne Erhöhungen der Fördergelder? Heleen Gerritsen kündigte für diesen Fall ein reduziertes Programm an, da „goEast“ eine hybride Form personell derzeit nicht tragen könne.

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