Der Militärputsch in der Türkei unter Kenan Evren liegt 45 Jahre zurück. Damals hat sich die mediale Öffentlichkeit nur wenig für das Ereignis interessiert. Denn das NATO-Mitglied galt als Bollwerk gegen den Warschauer Pakt. Doch sind die Folgen des Putsches ein wesentlicher Schlüssel, um die politischen Verhältnisse in der heutigen Türkei unter Präsident Erdogan zu verstehen. Nathalie Borgers folgt in ihrem Berlinale-Film „Scars of a Putsch“ den Spuren ihres Ehemanns Abidin, der als verfolgter Aktivist 1981 ins österreichische Exil ging.
Borgers Kamera sucht den Oberkörper ihres Mannes nach den sechs Narben ab, letzte Wundmale der Schutzverletzungen, die ihm 1976 zugefügt wurden. Abidin studierte damals in Ankara an der Technischen Universität, einer in jener Zeit
„Scars of a Putsch“ von Nathalie Borgers (Regie & Buch), Österreich/Belgien 2025, 102 Min.
Militärjunta gegen Medien
Mit außergewöhnlicher Gewalt schloss die Militärjunta von 1980 bis 1983 Oppositionsparteien und Medienhäuser, verbot Gewerkschaften und ließ hunderttausende Menschen verhaften und foltern, vor allem linke Aktivisten. Der Putsch sorgte aber auch ganz im Sinne des IWF für eine Neoliberalisierung der Wirtschaft, etwa Privatisierungen, die Auslöschung von Arbeitnehmerrechten sowie Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben für Bildung und Gesundheit. Zu diesem Zweck suchte die Junta Unterstützung bei den konservativsten Kräften des Landes, einschließlich religiöser Bruderschaften. General Evren erarbeitete eine neue Verfassung, in der scheinbare Grundfreiheiten der Bürger*innen von der Bedingung abhängig waren, den Staat nicht zu gefährden. Diese Verfassung ist bis heute das Fundament für Präsident Erdogan, er kann jede Kritik an seiner Politik als Angriff auf die Integrität des Staates bezeichnen und Verdächtige ohne Prozess inhaftieren lassen.
Nathalie Borgers wurde 1964 geboren, arbeitete zunächst als Journalistin fürs belgische Fernsehen RTBF. Sie studierte in den 1980ern Film in San Francisco und lebt seit 2009 in Wien. Ihre Dokumentarfilme wurden vielfach ausgezeichnet, darunter ihre erste familiäre Erinnerungsarbeit „Liebesgrüße aus den Kolonien“ (2011) über ihren Großvater, der in den 1920er Jahren als Beamter in der damaligen belgischen Kolonie Ruanda arbeitete.
Für „Scars of a Putsch“ begibt sich Borgers auf Familienreise in die Türkei. „Viele seiner Familienmitglieder konnte ich nicht einbeziehen, ohne sie in Gefahr zu bringen“, erklärt Borgers. Und Manche wollten nur zu bestimmten Themen sprechen, zu verschiedenen Orten wäre allein die Anreise zu gefährlich gewesen. „Ich musste also das Spektrum meiner Gesprächspartner*innen ein bisschen breiter aufstellen und habe auch mit Menschen gesprochen, die Abidin nicht kennt.“
Berlinale-Termine: Mi.19.2. um 15:45 im Arsenal 1 und Fr.21.2.um 18:00 im Kino Betonhalle@Silent Green