EU-Verordnung bedroht Pressefreiheit

Flaggen der Mitgliedsstaaten in Straßburg vor dem Europäischen Parlament
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In einem offenen Brief hat sich ein Bündnis aus fünf Medienorganisationen, zu dem auch die dju in ver.di gehört, an die Bundesregierung gewandt und fordert darin umfassende Nachbesserungen der geplanten EU-Verordnung gegen terroristische Inhalte im Netz. Der aktuelle Entwurf sehe unter anderem keine Ausnahmen für journalistische Inhalte und Whistleblowing vor und könne daher zu gravierenden Einschränkungen der Pressefreiheit führen.

Vorgelegt hatte den aktuellen Vorschlag zur „EU-Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte“ (sog. Terreg-Verordnung) die Europäische Kommission im Herbst 2018. Vor gut einem Jahr äußerte sich dann das Europäische Parlament, welches in seiner Fassung unter anderem ebenfalls kritisierte, dass etwa journalistische Inhalte in den Anwendungsbereich der Verordnung fielen. Nun beginnen die Trilog-Verhandlungen über den Kommissionsvorschlag, die ab der zweiten Jahreshälfte unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft geführt werden. Im Gegensatz zu einer Richtlinie ist eine Verordnung direkt geltendes Recht in allen EU-Mitgliedstaaten.

Die Unterzeichner des Briefes fordern Bundesinnenminister Horst Seehofer und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht daher auf, sich im Rahmen dieser Verhandlungen stärker für die Wahrung der Kommunikationsgrundrechte einzusetzen. Die Vorsitzende der dju in ver.di Tina Groll begrüßt zwar das Ziel der Verordnung, Terrorpropaganda im Netz wirksamer zu bekämpfen, warnt aber zugleich, dass diese nicht zu „Kollateralschäden für die Presse- und Meinungsfreiheit“ führen dürfe. Groll: „Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie ihre führende Rolle in den Trilog-Verhandlungen dazu nutzt, sich auf EU-Ebene für die bedingungslose Wahrung dieser Grundrechte stark zu machen.“ Dies sei auch angesichts massiver Einschränkungen der Pressefreiheit in mehreren EU-Mitgliedsstaaten im Zuge der Corona-Krise ein wichtiges Signal.

So sehe der Entwurf der Kommission keine Ausnahmen für journalistische Inhalte und Whistleblowing vor, bemängeln die Verfasser des offenen Briefes. Sie plädieren deshalb wie das EU-Parlament dafür, „Inhalte, die für Zwecke der Bildung, Kunst, Presse, Rundfunk oder Forschung oder für Zwecke der Sensibilisierung für terroristische Aktivitäten verbreitet werden, sowie Inhalte, durch die polemische oder kontroverse Ansichten im Rahmen der öffentlichen Debatte zum Ausdruck gebracht werden, ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich der Verordnung herauszunehmen“. Die Bundesregierung solle sich zudem dafür einsetzen, dass die Terreg-Verordnung nicht zu einer massenhaften Blockierung rechtlich legitimer Äußerungen führe. Das Bündnis fordert daher eine menschliche Aufsicht und besteht auf einem Verbleib der Schlüsselbefugnisse bei Justizbehörden, die durch angemessene Rechtsmittel und Transparenzverpflichtungen ergänzt werden.

Kritisch sehen die Medienorganisationen zudem, dass die Löschung von Inhalten auch von Behörden in anderen Ländern veranlasst werden könne. Das würde bedeuten, dass etwa ein EU-Staat wie das autoritäre Ungarn unerwünschte Inhalte auf Plattformen in Ländern wie Deutschland löschen lassen könnte. Wie auch das EU-Parlament fordert das Bündnis der unterzeichnenden Organisationen deshalb, dass „nur Behörden im Niederlassungsstaat des Anbieters“ solche Löschanweisungen treffen können.

Initiiert wurde der Brief vom Verein Wikimedia Deutschland. Zu den Unterstützern gehören neben der dju in ver.di auch Reporter ohne Grenzen (ROG), der DJV und das Whistleblower-Netzwerk. Das vollständige Schreiben kann auf der Website der dju in ver.di nachgelesen werden.


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