„Man spürt die Mordlust“

Der Autor Olivier Mannoni hat „Mein Kampf“ für eine kritische Edition neu ins Französische übersetzt – und einen Essay darüber veröffentlicht. Was macht es mit einem, die Ausführungen eines fanatischen Antisemiten wie Adolf Hitler in eine andere Sprache zu übersetzen? Ein Gespräch mit einem der renommiertesten Deutsch-Übersetzer Frankreichs über Nazis, Krieg und Ekel.

 Von „Mein Kampf“ haben in Nazi-Deutschland etwa 12,5 Millionen Exemplare Verbreitung gefunden. In vielen Ländern innerhalb und außerhalb Europas ist das Buch auch nach 1945 noch im Umlauf. Allein sein Titel dürfte weltweit bestimmte Assoziationen wecken. „Mein Kampf“ – was ist das für ein Buch?

Ein schlechtes Buch, das muss man sofort sagen. Es ist schlecht konzipiert, viel zu lang. Das, worum es geht, hätte man eigentlich in drei kurzen Sätzen auf den Punkt gebracht: „Wir sind Opfer. Juden sind schuldig. Wir müssen uns an ihnen rächen.“  Mit seinen sehr langen, konfusen Sätzen ist Hitlers Buch zudem einfach furchtbar geschrieben. So furchtbar, dass auch in Nazi-Deutschland nur sehr wenige Leute das Buch gründlich gelesen haben dürften.

Olivier Mannoni

arbeitet seit 1978 als freier Journalist. Er schrieb Literaturkritiken für Libération, „L’Événement du jeudi“ und „Le magazine littéraire“. Er war zwischen 1992 und 1999 Literaturkritiker bei La Quinzaine littéraire. Mannoni ist Übersetzer von Belletristik und philosophischen und soziologischen Texten aus dem Deutschen ins Französische, er hat bis 2018 circa 200 Übersetzungen erarbeitet.

„Mein Kampf“ erschien 1924 – fast zehn Jahre vor der Machtübertragung an die Nazis. Wie wurde das Buch damals rezipiert?

Als Hitler „Mein Kampf“ veröffentlichte, verkaufte es sich sehr schlecht. Die Besprechungen in allen Zeitungen, von links bis konservativ, waren einhellig:  Wie kann ein Mann, der so denkt und schreibt, ja nicht einmal zwei Zeilen logisch aneinanderreihen kann, ernsthaft die Macht in Deutschland für sich beanspruchen? Selbst in der völkisch-nationalistischen Deutschen Zeitung fragte sich ein Rezensent vor dem Hintergrund von „Mein Kampf“, wie Hitler die nationalsozialistische Bewegung erfolgreich leiten könne. Nach 1933 hatten dann alle Leute, die eine Rolle im neuen Regime spielen wollten, das Buch zuhause stehen – als Ausweis der richtigen Gesinnung und Loyalität

Zur Einordnung: Welche Bedeutung hatte das Buch für die Ideologie und Politik des Nationalsozialismus?

„Mein Kampf“ hat vor allem für Hitler selbst eine große Rolle gespielt. Er hatte damals Angst, dass ihm andere NSDAP-Politiker den Platz in der Partei streitig machen. „Mein Kampf“ schrieb Hitler er während seiner Inhaftierung infolge des gescheiterten Putsches, um weiterhin die Rolle als Führer der Nazi-Bewegung für sich zu reklamieren. Hierfür gibt er sich intellektueller, als er eigentlich war. Denn für seine angestrebte Zukunft als Politiker musste er mehr sein als ein Agitator, dem es in Bierkellern gelingt, die Leute mit seinen Reden zu hysterisieren.

In „Mein Kampf“ merkt man aber sofort: Hitler hat zwar sehr viel gelesen, aber was er las, das konnte er nicht einordnen. Er geht fast collagenhaft vor. Er zitiert und paraphrasiert den Rassentheoretiker Joseph Arthur de Gobineau sowie Schopenhauer und Nietzsche, die er beide aber überhaupt nicht versteht. „Mein Kampf“ ist voll von unverständlichen, unlogischen Sätzen, die sich um sich selbst drehen. Hitler wiederholt sich permanent. Es gibt Sätze, die lösen sich plötzlich auf. Das Buch ist insgesamt kaum lesbar.

Hitlers Pamphlet ist zwar durchsetzt vom Antisemitismus, dem in seiner Funktionslogik immer auch eliminatorische Momente inhärent sind. Dennoch zeichnet sich in „Mein Kampf“ die planvolle, systematische Vernichtung der europäischen Juden noch nicht ab. Was hat das Wissen darum, dass Hitlers paranoide Wahnvorstellungen in der Shoah kulminiert sind, mit ihnen als Übersetzer gemacht?

Bei jedem Buch mit einer starken historischen Rolle ist es auch für uns Übersetzer eine Herausforderung, die Geschichte nicht rückwärts, vom Ende her zu denken. Dennoch ist sofort klar: der zwanghafte Hass auf die Juden ist der Motor von „Mein Kampf“. So findet sich im Text findet die klar formuliert die Idee, „die Juden“, aber auch andere Teile der Bevölkerung wie Homosexuelle, Kommunisten und Sozialisten müssten aus der Presse, der Kultur und aus der Wirtschaft entfernt werden. Auch wenn von der sogenannten „Endlösung“, die erst 1941 beschlossen wurde, noch nichts in „Mein Kampf“ steht – die Mordlust spürt man sofort. Auch als Übersetzer ist es grauenvoll, das alles zu lesen.

Es war nicht das erste Mal, dass Sie als Übersetzer mit der Zeit das Nationalsozialismus zu tun hatten.

Das waren aber vor allem Sachbücher und keine Propaganda-Texte. Von Anfang an war mir bewusst, dass mich der Stil von „Mein Kampf“ vor enorme Herausforderungen stellen wird. Insgesamt ging es mir darum, das Unlesbare des Textes auch in der französischen Übersetzung zu erhalten. Dieses Buch, das auf Ressentiment und Hass basiert, zu übersetzen, fühlte sich an, wie in Morast zu gehen: jeder Schritt ist schwer und unangenehm, und man dabei hört bestimmte, unheimliche Geräusche.

Ich wollte „Mein Kampf“ auch übersetzen, um einen Beitrag zur Dekonstruktion dieses Buches, das letztlich kaum jemand wirklich gelesen hat, zu leisten. Lange Zeit war „Mein Kampf“ für viele Menschen ein fast magisches Objekt – mit einer unheimlichen Aura und, weil es vielerorts lange Zeit verboten war, mit einem Tabu belegt. Ich halte es für sehr sinnvoll, „Mein Kampf“ zu lesen.

Was sind die zentralen Teile und Themen von „Mein Kampf“?

Zu Beginn gibt einen autobiografischen Teil, der allerdings weitgehend auf Lügen basiert. So war Hitler in der Realität zum Beispiel gar kein Kriegsheld und stammte aus keiner armen Familie. Auch deshalb ist es für mich wichtig auch bei diesem Projekt mit Historikern zusammen zu arbeiten, die Hitlers Text überprüfen, kommentieren und einordnen. Bei meiner Übersetzung umfasste das fast zwei Drittel der Publikation.

Der zweite Teil von „Mein Kampf“ enthält allgemeine Beobachtungen, zum Beispiel zur Presse, Kultur, der Jugend und zur Schule. Im Kapitel „Rasse und Volk“ erklärt Hitler, dass die Juden danach streben würden, die Deutschen zu ersetzen – der „große Austausch“ sozusagen. Im dritten Teil schreibt Hitler über seine Idee des „Lebensraums“ und darüber, wie ein deutsches Reich wieder stark werden könnte. „Mein Kampf“ ist eine paranoide Abrechnung mit der Welt, die der Autor völlig hasst, weil er sich als verfolgt und als ihr Opfer sieht.

Worin unterscheidet sich Hitlers Propaganda von Joseph Goebbels‘, Heinrich Himmlers und Alfred Rosenbergs Agitation? Wie wirkte die Propaganda dieser hochrangigen Nazis zusammen?

Das Gemeinsame war die Brutalität. Ihren ungebremsten Hass haben alle jederzeit und überall ausgedrückt. Mit ihren sehr konfusen Sätzen ähneln sich die Stile von Rosenberg und Hitler. Goebbels hingegen schrieb sehr kurze Sätze mit vielen Ausrufezeichen und hat damit eigentlich die Punchline erfunden. Bei Hitler machen die Adverbien und Adjektive den Text unverständlich, bei Goebbels lassen sie den Text brausen, man merkt sofort, dass es beben soll.

Insgesamt ist „Mein Kampf“ ein Buch vom Ende des 19. Jahrhunderts, das in einer sehr komplizierten, wortreichen und bombastischen Literatur, verankert ist. Goebbels hingegen spricht und schreibt schon neue Sprache der Politik des 20 Jahrhunderts und des Totalitarismus. Ihr Ziel ist aber dasselbe: Krieg und Hass. Genauso wie bei Himmler, dessen Stil aber stark von der Verwaltungssprache geprägt ist.

Was haben Sie im Laufe der jahrelangen Arbeit an der Übersetzung von „Mein Kampf“ gelernt?

Neben dem Speziellen seiner Sprache vor alle auch: dass sie nie tot war. Lange Zeit hat die Sprache von „Mein Kampf“ ein Unterweltleben geführt. Aber jetzt kommt sie wieder. Einen wichtigen Teil meiner Übersetzung hatte ich 2015 begonnen, und damit zu der Zeit, als Donald Trump im Wahlkampf für seine erste Präsidentschaft war. Trumps Sätze kamen mir sehr bekannt vor: diese unverständlichen Sätze, die keine Logik haben – aber voller Ressentiment und Hass waren und am Ende zu der sehr kurzen Formel führen, das eigene Land wieder groß zu machen.

Wenn Trump sagt: Wir müssen das „Ungeziefer ausrotten“ und mit „Ungeziefer“ meint er die Kommunisten, die Wokisten und komischerweise, das ist auch total unlogisch, die Faschisten – dann kommt das eigentlich ist die Sprache aus „Mein Kampf“. Genauso wenn er behauptet, die Migranten würden das „amerikanische Blut vergiften“. Ich könnte noch unzählige weitere Beispiele geben.

Etwa die Wendung vom „großen Austausch“ …

In Europa wurde dieser Begriff von einem schlechten Schriftsteller namens Renaud Camus und wurde dann von deutschen und amerikanischen Neo-Nazis popularisiert. Eigentlich kommt die Idee eines „großen Austauschs“ aber aus dem elften Kapitel des ersten Teils von „Mein Kampf“. Inzwischen hört es fast überall in Europa, bei den Rechtsextremen und auch manchmal bei Leuten, die wo die, die man überhaupt nicht vermutet hätte.

In ihrem Essay schreiben Sie auch, dass Sie schon als Kind mit dem Deutschen in Berührung gekommen sind. Wenn Sie andere Bücher aus dem Deutschen übersetzen, wenn Sie Deutsch hören oder sprechen, welches Deutsch nehmen Sie wahr? Hat ihre jahrelange Arbeit mit „Mein Kampf“ ihren Zugang zum Deutschen verändert?

Ich erkenne die Unterschiede. Im Alter von sechs Jahren habe ich angefangen, deutsch zu lernen, und über meine jahrzehntlange Tätigkeit als Übersetzer habe ich mich tief in die Sprache hineingegraben. Die in Frankreich verbreitete Behauptung, das Deutsche sei per se steif oder nie zweideutig, halte ich für falsch. Im Gegenteil: die deutsche Sprache umfasst ein Schatz von Nuancen. Von kleinen Wörtern, wie sie etwa bei Goethe oder Hölderlin Verwendung finden – „wohl“ und „allein“ in diesem Zitat zum Beispiel: „Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Erst beide Wörter geben dem Satz seinen ganzen Sinn.

Umgekehrt gilt vielen Deutschen gilt das Französische als sinnlich oder sogar als erotisch. Was war das grässlichste Wort, das sie aus „Mein Kampf“ ins Französische übersetzt haben?

„Das Blut“, auf Französisch „le sang“. Das Wort hat bei Hitler etwas Obszönes: das ist die „Rasse“, das ist „Blut und Boden“, das ist der kommende Krieg und die Idee des Helden, der sein Blut verliert für das Vaterland. „Blut“ – das ist wirklich das schrecklichste Wort aus „Mein Kampf“.

 

 

 

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