Im Prozess gegen zwei führende Journalisten der regierungskritischen Tageszeitung „Cumhuriyet“ wurden am 6. Mai in Istanbul langjährige Haftstrafen verhängt. In dem international harsch kritisierten Verfahren mussten sich Chefredakteur Can Dündar und Ankara-Korrespondent Erdem Gül wegen ihrer Berichterstattung über vermeintliche Waffenlieferungen der Türkei an Extremisten in Syrien verantworten. Das Gericht in Istanbul befand beide Journalisten nun der Veröffentlichung geheimer Dokumente für schuldig. Dündar wurde zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt, Gül zu fünf Jahren.
Nicht schuldig sah das Gericht beide in Anklagepunkten, die ihnen vorwarfen, die Regierung stürzen zu wollen und Spionage betrieben zu haben. Weiter verantworten müssen sich Dündar und Gül jedoch für die angebliche Unterstützung einer Terrororganisation. Dieser Anklagepunkt soll in einem gesonderten Prozess behandelt werden.
Kurz vor der Urteilsverkündung hatte ein Attentäter vor dem Gerichtsgebäude auf Dündar geschossen. Der Chefredakteur blieb unverletzt und machte Staatspräsident Erdogan mitverantwortlich für die aufgeheizte Stimmung und den Angriff. Die beiden Journalisten seien von der Staatsspitze des Landes persönlich zur Zielscheibe erklärt worden, kritisierte Dündar. Erdogan hatte nach dem „Cumhuriyet“-Bericht im vergangen Jahr angekündigt, Dündar und Gül würden teuer dafür bezahlen, und hatte sie angezeigt. Sowohl Erdogan als auch der türkische Geheimdienst MIT waren im Prozess als Nebenkläger zugelassen.
Dündars Anwalt hat Berufung angekündigt. Nach dessen Angaben müssen Dündar und Gül vor einem rechtskräftigen Urteil nicht ins Gefängnis.
Eine Woche zuvor waren vor der Istanbuler Kriminalstrafkammer bereits zwei weitere „Cumhuriyet“-Journalisten zu je zwei Jahren Haft verurteilt worden. Die Kolumnistin Ceyda Karan und ihr Kollege Hikmet Cetinkaya hatten nach dem Terroranschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo in Paris im Januar 2015 gewagt, dessen erstes Titelbild nach Wiedererscheinen in ihren Kolumnen abzubilden. Sie hätten ihre Solidarität ausdrücken wollen, indem sie eine Karikatur verbreiteten, die die ganze Welt als Zeichen der Versöhnung verstand, erklärt die prominenten Kolumnistin Ceyda Karan. Sie sieht den jetzigen Richterspruch als „furchtbare Entscheidung“. „Das Urteil gibt zu verstehen, was die Regierung meint, wenn sie von Pressefreiheit spricht“, erklärte die 46-Jährige gegenüber der „Berliner Zeitung“. Es erschrecke sie nicht nur wegen des Strafmaßes, das Urteil zeige vor allem die fortschreitende Islamisierung der Türkei.
Auch in diesem Fall hatte sich Staatspräsident Ergogan persönlich eingemischt, indem er damals die Bürger aufrief, die beiden Kolumnisten zu verklagen. 1280 Nebenkläger reichten daraufhin Beschwerde gegen die Journalisten ein, darunter auch Erdogans Sohn Bilal. Karan und Cetinkaya seien vor dem Prozess massiv bedroht worden, berichtet die Journalistin. Inzwischen haben sie und ihr Kollege Berufung gegen das Urteil beim obersten Gerichtshof der Türkei eingelegt.