Prix Europa-Abschluss mit Panel zur Freiheit der Medien

Alle Gewinner der Prix Europa Awards 2016. Foto: David von Becker

Zum Abschluss des 30. Prix Europa – des größten trimedialen Fachforums, das die besten Medienproduktionen des Kontinents sichtet, diskutiert und auszeichnet – fand am 22. Oktober eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Changing Europe – Politische Umbrüche und die Freiheit der Medien“ statt. Veranstaltet in Zusammenarbeit mit Reporter ohne Grenzen und der Bundeszentrale für politische Bildung, lag der Schwerpunkt des Gesprächs zwar auf der Situation in der Türkei und in Russland, aber auch vor schleichenden Einschränkungen der Medien in der westlichen Welt wurde gewarnt.

Spricht man von der Freiheit der Medien, meint man allgemein die Freiheit von Einflussnahme durch Regierende und Mächtige. Könnten die Medien ansonsten doch nicht ihre Aufgabe erfüllen, indem sie auf Missstände hinweisen, eine Kontrollfunktion gegenüber Politik und Wirtschaft wahrnehmen sowie den gesellschaftlichen Diskurs begleiten und mit nachprüfbaren Informationen aktiv unterstützen. Der Gedanke, dass Medien selbst diese Aufgabe durch eine unüberlegte, wie auch tendenziöse Auswahl ihrer Berichterstattung nicht wahrnehmen, wird in einer Presselandschaft, die sich als frei bezeichnet, nicht gerne gesehen. Charlie Beckett, Journalist und Leiter des Think Tank Polis an der London School of Economics, sprach dies dennoch deutlich an: „Die Medien leben in einer Blase. Die machen das für sich und denken zu wenig an das Publikum. Sie müssen jedoch darüber nachdenken, was die Leser und Zuschauer bewegt und wie man sie anspricht, denn es ist ein Mythos, dass sich die Menschen nicht für Politik interessieren. Dieser Eindruck entsteht nur, weil die Medien bestimmte Gruppen und ihre Anliegen in bestimmten Fragen – wie etwa der Flüchtlingspolitik – schlicht ignorieren.“ Eine Aussage, die erst kurz vorher vom britischen „The Guardian“ in einer umfassenden Analyse in Hinblick auf Anhänger populistischer Strömungen ebenfalls vertreten wurde. In Folge dieses Verhaltens entsteht dann eine Vertrauenskrise – Stichwort „Lügenpresse“ (was inzwischen sogar von Trump-Anhängern benutzt wird) – die dazu führt, dass die Medien ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen können. „Wir müssen eine neue Beziehung zwischen Medien und Nutzern aufbauen, die offener, transparenter und darüber glaubwürdig ist“, fordert Beckett daher von den Medien, um diese Krise überwinden zu können. Allerdings, so warnt er, solange die Stellung der Medien nicht genügend gewürdigt wird, solange bestehe auch die Gefahr, dass sie ihre Aufgaben nicht mehr richtig erfüllen können. Damit einher geht auch der Zugriff auf Ressourcen: „Wenn nicht genug Geld für gründliche und gute Recherchen da ist“, so Beckett, „nagt das ebenfalls an der Glaubwürdigkeit.“ Mit einer solchen Warnung nimmt er vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender, die für sie verantwortlichen Organe sowie die Politik in die Pflicht.

Pressefreiheit auch im Westen unter Druck

In der Pflicht ist die Politik nach Ansicht von Marlis Prinzing, Medienwissenschaftlerin und Professorin an der Hochschule Macromedia in Köln, auch auf einer anderen Ebene: der der ‚Media Literacy‘, also der Fähigkeit die Relevanz von Informationen zu erkennen, gewichten und einzuordnen. Eine Fähigkeit, die ihrer Auffassung nach zwingend in der Schule gelehrt werden muss. Wie Beckett sieht auch Prinzing die Pressefreiheit selbst im Westen unter Druck; insbesondere durch den Umgang mit Whistleblowern, die nicht genügend geschützt werden.

Can Dündar, ehemaliger Chefredakteur der türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“, der nun im Exil lebt, berichtete von einem Umbau der türkischen Medienlandschaft im Sinne von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Dabei würden nicht nur Medien geschlossen oder Journalisten verhaftet, sondern auch Unternehmer gezwungen, Medien zu kaufen und im Sinne der Regierung weiter zu führen. Tun sie es nicht, erhalten sie keine öffentlichen Aufträge mehr. Flankiert werde dies, wie auch in Russland, mit einer äußerst vagen Anti-Terrorismus-Gesetzgebung, die immer dann zum Zuge kommt, wenn man unliebsame Personen los werden will. Auch der Ausnahmezustand in der Türkei werde genutzt, um den Umbau voran zu treiben. Dündar warf den europäischen Institutionen vor, Teil des Problems zu sein, weil sie den Flüchtlingsdeal nicht gefährden wollten. „Sie drehen sich weg“, sagte er. Er machte das auch daran fest, dass sich etwa Angela Merkel nicht für ihn eingesetzt hatte, als er im Gefängnis saß, US-Vizepräsident Joe Biden sich jedoch mit seiner Frau traf und er nach Abreise Bidens aus der Türkei entlassen wurde.

Nur Propaganda oder Unterhaltung

Über die russische Situation berichtete Andrey Allakhverdov, russischer Journalist und Greenpeace-Aktivist. Er erzählte, dass es in Russland nur Propaganda oder Unterhaltung gäbe. Eine Debatte über gesellschaftliche Entwicklungen finde in den Medien hingegen nicht statt. „Die Propagandamaschinerie des Staats hat das Interesse an gutem Journalismus komplett abgetötet“, lautet Allakhverdovs Fazit. Wer daran etwas ändern möchte, lebe gefährlich. „In den letzten Jahren sind etwa 60 Kollegen ermordet worden“, unterstrich er den Ernst der Lage.

Moderiert wurde das Gespräch, das für tagesschau24 aufgezeichnet wurde, von Britta Hilpert, Vorstandssprecherin von Reporter ohne Grenzen sowie Leiterin des ZDF-Studios Brandenburg.

http://programm.tagesschau24.de/tv/Prix-Europa-2016/2016-10-22/eid_2872118877494175

Eine Liste aller Preisträger des Pix Europa 2016, Ausschnitte aller Gewinnerfilme sowie die Jurybegründungen sind auf der Homepage des Pix Europa zu finden.

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