Immer, wenn in großen Medien über prominente Fälle von sexueller Gewalt oder Machtmissbrauch berichtet wird, steigen unsere Beratungszahlen rasant an“, sagt Maren Lansink. Sie ist Geschäftsführerin der Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt und berät Ratsuchende aus der Kultur-, Medien- und Musikbranche juristisch.
Die Beratungsstelle wurde 2018 gegründet, im vergangenen Jahr haben 129 Menschen erstmalig Unterstützung gesucht, dabei ging es 68 Mal um sexuelle Belästigung über Sprüche, Blicke und im digitalen Raum, 44 Mal um eine körperliche Belästigung und 17 Mal um eine Vergewaltigung. „Das ist erschreckend“, sagt Lansink. Bei der Gründung habe sie damit gerechnet, dass körperliche Übergriffe seltener vorkommen würden. „Aber es gibt ungefähr gleich viele Fälle von verbaler und körperlicher Belästigung, bis hin zu schwerer sexueller Nötigung und Vergewaltigung“, so Lansink. Der Großteil der Betroffenen seien Frauen, die meisten Beschuldigten Männer. Themis rechnet mit einem großen Dunkelfeld: „Für Männer ist es ungleich schwerer, sich an so eine Beratungsstelle zu wenden, das merken wir immer wieder.“
Juristische und psychologische Beratung
In den meisten Fällen bleibt es nicht bei einem Gespräch, insgesamt haben 2024 die Berater*innen 769 Beratungsgespräche geführt. „Das sind durchschnittlich 64 Gespräche im Monat, für uns mit acht Mitarbeiterinnen ist das ein sehr hoher Workload“, sagt Lansink. Die meisten Betroffenen, die sich bei Themis melden, haben die Belästigung vor relativ kurzer Zeit erlebt, maximal liegt das Erlebte zwei Jahre zurück. Nur 20 Prozent der Fälle lägen schon länger als fünf Jahre zurück.
Die Themis Vertrauensstelle bietet juristische und psychologische Beratung. Die Betroffenen wählten 566 Mal eine juristische Beratung und 203 Mal eine psychologische. Es würden Fragen geklärt wie: Wie beurteilt die Juristin den Fall, soll man eine Strafanzeige stellen, wie läuft das ab, was würde das für mich als betroffene Person bedeuten? Wie kann ich meinen Arbeitgeber informieren?
Beratung ersetzt keine Therapie
Eine anwaltliche Vertretung leistet Themis nicht, sie unterstützt aber bei Beschwerden nach dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz. Zwar gilt das Diskriminierungsverbot im AGG nicht für freiberuflich Arbeitende, eine Reform wurde von der rot-grün-gelben Bundesregierung nicht umgesetzt. Trotzdem können sich an die Beratungsstelle Beschäftigte und freie Mitarbeiter*innen wenden. „Teilweise umfasst das Gesetz auch arbeitnehmer-ähnliche Personen. Das prüfen wir dann gern im jeweiligen Gespräch mit den frei arbeitenden Personen“, so Lansink. Die psychologische Beratung ist keine Therapie. „Es ist die Möglichkeit, das Erlebte einzuordnen und sich gemeinsam mit einer ausgebildeten Expertin zu sortieren“, sagt Lansink.
Die Themis Vertrauensstelle kann nur beraten, wenn sexuelle Belästigung vorliegt. Aber: „Wir verfolgen einen intersektionalen Ansatz, oft bedingt eine rassistische Zuschreibung eine sexuelle Belästigung“, so Lansink. Gerade im Schauspielbereich sei Altersdiskriminierung weit verbreitet. Aber niemand werde einfach abgewiesen, die Berater*innen versuchten dann, die Betroffenen an andere Stellen zu verweisen.
Die meisten Menschen melden sich per Telefon, nur 17 Gespräche wurden im vergangenen Jahr persönlich geführt. Lansink führt das darauf zurück, dass sie eine bundesweite Anlaufstelle sind, aber nur in Berlin ein Büro haben. Auch Videogespräche und schriftlicher Austausch über Email sind möglich, und es gibt auch Leute, die Briefe schreiben.
„Wir wissen nie, ob es im nächsten Jahr genauso weiter geht“, so Lansink. Die Vertrauensstelle wird zu einem Drittel von Branchenverbänden wie z.B. ARD, ZDF und ver.di, zu einem Drittel durch Mittel der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und zu einem Drittel durch Spenden von Netflix und Amazon finanziert. Aktuell müsse die Beratungsstelle noch mehr jonglieren als sonst, da der Haushalt 2025 noch nicht beschlossen wurde.
„Nur wer spricht, dem kann geholfen werden“
Lansink will Betroffene ermutigen, sich zu melden: „Nur wer spricht, dem kann geholfen werden und nur so können sich auch langfristig Strukturen verändern.“ Bei Themis sind alle Fachberaterinnen zu Verschwiegenheit verpflichtet. „Das nehmen wir sehr ernst.“
Die Themis Vertrauensstelle berät auch Unternehmen, die nicht wissen, wie sie mit sexuellen Übergriffen umgehen sollen. Zum Beispiel dazu, wie sie ein gutes Umfeld schaffen können, in denen Betroffene über sexuelle Belästigung sprechen können. Und bietet Seminare an „Rechtssicher und empathisch handeln bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz.“ Die Prävention sei ein wichtiger Baustein ihrer Arbeit: „Wir wollen nicht immer nur Pflaster auf Wunden kleben. Unser Interesse ist, dass gar keine Wunde entsteht.“