Wir seh’n uns auf dem Boulevard

Die „RTLisierung“ der Politik: Warum der Wahlkampf im Fernsehen so kuschelig ist

Vermutlich gab es noch nie so viel Politik im Fernsehen wie heute. Nahezu allabendlich wird man ausgiebig mit politischen Themen konfrontiert, weil praktisch jedem Ereignis eine politische Seite abgewonnen wird. Kein Wunder: In Wahlkampfzeiten ist alles Politik, wie das Ringen um die schlagzeilenträchtigste Verwertung der Hochwasserfluten zeigt.

Gleichzeitig aber tendiert der Gehalt der politischen Darbietungen gegen Null. Das liegt vor allem daran, dass sich der Wahlkampf auf’s Fernsehen konzentriert. Weil das Fernsehen ein flüchtiges Medium ist, kann es bloß schlichte Botschaften vermitteln. Gerade heutzutage aber sind politische und erst recht ökonomische Vorgänge viel zu komplex, um sie im TV-Standard von einer Minute und dreißig Sekunden zu erläutern. Da außerdem die Gesellschaft und ihr Zerrspiegel, das Leitmedium Fernsehen, enorm an Rasanz gewonnen haben, bleiben viele Themen nur dann länger als ein paar Tage auf der Agenda, wenn sonst nichts Neues passiert. Deshalb ist kaum ein Wahlkampf in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von einer solchen Themenvielfalt geprägt gewesen wie der diesjährige.

Doch der permanente Wechsel hat zwangsläufig dazu geführt, dass kaum über Inhalte gesprochen werden konnte. Stets ging es bloß um Anlässe: die gegenseitigen Attacken von Friedman und Möllemann, die Bonusmeilen-Affäre, Westerwelles Versuche, sich ins TV-Duell hineinzuklagen, das Guidomobil. Es ist dabei durchaus kein Wunder, dass die FDP diese Aufzählung dominiert: Keine andere Partei repräsentiert die Schlichtheit der inhaltslosen Konzepte derart demonstrativ, schließlich ist das Programm der Partei auf die Zahl 18 reduziert.


«… Keine andere Partei repräsentiert die Schlichtheit der inhaltslosen Konzepte derart demonstrativ … »

«Nach den Sendungen in der Regel kein bisschen schlauer»


Ein weiteres Phänomen der medialen Aufbereitung des Wahlkampfes ist der sportive Charakter. Gerade Bundestagswahlen werden ja schon seit geraumer Zeit zum Duell stilisiert. In diesem Jahr aber scheinen Parteiprogramme überhaupt keine Rolle mehr zu spielen. Es geht nur noch um den Zweikampf Schröder gegen Stoiber. Prompt inszenierte RTL die Tage vor der ersten TV-Diskussion von Kanzler und Kandidat wie beim Formel-1-Rennen mit einem „Countdown“. Die ansonsten obligate Zusammenfassung („Highlights“) im Anschluss war allerdings gar nicht erst geplant; ob man befürchtet hat, es würde ohnehin keine Höhepunkte geben, oder ob sich RTL-Informationsdirektor Hans Mahr wenig davon versprach, die beiden Kontrahenten in Zeitlupenwiederholungen zu studieren, soll dahingestellt bleiben.

Dass sich Privatsender wie RTL und (wenn auch in weit geringerem Maß) Sat.1 überhaupt auf vergleichsweise seriöse Art an der Wahlkampfberichterstattung beteiligen, ist immerhin beachtlich. Man mag zwar anmerken, dass etwa die Diskussionsreihe „Im Kreuzverhör“ (RTL) nicht sonderlich ertragreich ist, aber das gilt für praktisch alle politischen TV-Talkshows, auch und gerade für „Sabine Christiansen“ (ARD) und „Berlin Mitte“ mit Maybrit Illner (ZDF). Auf der anderen Seite ist RTL in nicht unerheblichem Maß Verstärker einer Tendenz zur Boulevardisierung der Politik; ARD und ZDF haben sich diesem Trend allerdings längst angeschlossen. Völlig zu Recht kritisiert der frühere Chefredakteur des ZDF, Klaus Bresser, den gewandelten Umgang mit Politikern, den die beiden führenden öffentlich-rechtlichen Sender mittlerweile pflegen: Natürlich ist es für Edmund Stoiber weitaus angenehmer, mit Ehefrau Karin in der „Johannes B. Kerner Show“ aufzutreten oder mit Tochter Constanze den „Boulevard (!) Bio“ aufzusuchen, als sich den unbequemen Fragen politischer Journalisten zu stellen; schließlich ist er ja selbst an einer harmlosen Hürde wie Sabine Christiansen gestrauchelt. Der Neuigkeitswert der Auftritte bei den Schmuse-Talkern beschränkte sich allerdings darauf, dass man nun weiß, mit welchen Kosenamen Schröder und Stoiber ihre Gattinnen am Frühstückstisch zu begrüßen pflegen; ansonsten sind nicht bloß politisch informierte Zuschauer nach den Sendungen in der Regel kein bisschen schlauer.

Zur „RTLisierung“ der politischen Berichterstattung gehört auch die Wandlung der Streitkultur. Genoss der Kölner Sender mit Krawallsendungen wie dem „Heißen Stuhl“ früher den Ruf, Auseinandersetzungen gern bis an den Rand der Handgreiflichkeit (oder auch darüber hinaus) zu treiben, so steht RTL mittlerweile für eine „neue Kuscheligkeit“. Auch damit reflektiert der Sender natürlich bloß ein Bedürfnis der Gesellschaft nach Harmonie, das im Wesentlichen auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 und die dadurch verstärkte Wirtschaftskrise zurückzuführen sein dürfte. Ereignisse wie die „Jahrhundertflut“ verstärken solche Sehnsüchte natürlich noch. Auch aus diesem Grund ist der vom Fernsehen transportierte Wahlkampf überraschend friedlich. Deshalb wäre es eigentlich nur konsequent, wenn die „TV-Duelle“ nicht von den Herren Kloeppel (RTL) und Limbourg (N-24) sowie den Damen Christiansen / Illner, sondern von Alfred Biolek und Hans Meiser moderiert worden wäre

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