„Blut muss fließen – Undercover unter Nazis“

Ein Film über Rockkonzerte von Neonazis, über die Ignoranz der Behörden und der medialen Öffentlichkeit und über den Mut eines Journalisten

80 Mal hat der Journalist Thomas Kuban, der nicht Thomas Kuban heisst, in den vergangenen neun Jahren undercover auf 50 Rock-Konzerten der rechtsextremen Szene gedreht – in acht Ländern Europas, fast ausschließlich auf eigene Kosten und denen seiner Familie. Denn die Bilder der von Tausenden Jugendlichen besuchten Konzerte wollte bis auf ganz wenige Ausnahmen das öffentlich-rechtliche oder private Fernsehen nicht zeigen. Erst der Filmemacher Peter Ohlendorf produzierte mit dem Material viereinhalb lange Jahre gegen jede ökonomische Vernunft ohne finanzielle Unterstützung den Film „Blut muss fließen – Undercover unter Nazis“. Jetzt wurde er auf der Berlinale gezeigt. Und seitdem erleben die Filmemacher einen „Tsunami an Aufmerksamkeit“. Geld gibt es bislang trotzdem nicht.

In der Fachwerkidylle eines gemütlichen deutschen Städtchens knallen Springerstiefel auf dem Kopfsteinpflaster, die Kamera schwankt im Licht der Abenddämmerung, folgt den Schritten zu einer Halle, in der zu dröhnenden Rockrhythmen kahlrasierte Kerle mit nacktem tätowiertem Oberkörper Bierflaschen schwenkend grölen: „Blut muss fließen knüppelhageldick, wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik…“. Ein Rock-Konzert der Neonazi-Szene, gefilmt mit einer Knopflochkamera von Thomas Kuban. Die Jungnazis heben den Arm zum Hitlergruß, brüllen „Sieg Heil“, „Adolf Hitler steig hernieder und regiere Deutschland wieder“.
Der Zuschauer kann den Weg Kubans hautnah mit verfolgen, was durch seine verdeckte technische Ausrüstung („ich war eine wandelnde Kabeltrommel“) möglich ist. Im Off spricht der Journalist über seine Angst vor Entdeckung trotz Einhaltung des Dresscodes mit „Fascho-Klamotten“ und „absoluter Textsicherheit beim Mitsingen“.
Angekündigt werden solche Konzerte im Internet, Einladerin ist auch immer wieder die NPD-Jugend, auf dem Weg dorthin bekommt man an bestimmten „Checkpoints“ weitere Infos zum Veranstaltungsort wie bei einer Schnitzeljagd.
In Ungarn, „dem Paradies für Rechtsrockfreunde“, finden solche Konzerte mit Tausenden mitten in der Hauptstadt Budapest statt, gesungen wird gegen die „Judenregierung“, „dreckige Schwuchteln“, gerufen wird „zur Waffe“. Musik als Einstiegsdroge in völkisches Denken wird auch in Norditalien offen auf Konzerten gespielt. In Österreich steht die Polizei zu Beginn eines Konzerts im Saal, unternimmt aber nichts und geht vor dem ersten Lied, in dem es heisst „in Majdanek machen wir Speck aus Juden“.

Einstiegsdroge Rechts-Rock

Der Film „Blut muss fließen – Undercover unter Nazis“ beschränkt sich nicht auf das heimlich gefilmte Material, sondern klärt auch über Hintergründe und Zusammenhänge auf. Er berichtet aus florierenden Szene-Läden und vom Internet-Versandhandel mit CDs von „Radical“, „Freicorps“, „Tonstörung“ oder mit T-Shirts bedruckt mit „88“ (für „Heil Hitler“, H ist der 8. Buchstabe des Alphabets), mit „Division 28“, Deckname der hierzulande verbotenen Nazi-Gruppe „Blood and Honour“. Ian Stuart Donaldson, Gründer von „Blood and Honour“, inzwischen verstorbener britischer Faschist, hatte die Idee des Rechts-Rocks, mit dem Jugendliche für die rechtsextremistische Bewegung gewonnen werden sollten und gewonnen werden. „Häufig, beispielsweise in sächsischen Kleinstädten“, sagt Kuban, „sind solche Konzerte das einzige Freizeitangebot für junge Leute. Da ist rechtsextreme Musik weit verbreitet, gehört quasi zum Lifestyle.“ Im sächsischen Wurzen sei Rechtsrock unter den Jugendlichen „schon Mainstream, das fetzt“.
Thomas Kuban ist sicher, dass diese Musik wie eine „Einstiegsdroge“ wirkt. Regisseur Peter Ohlendorf sieht die Gefahr „der extremen Radikalisierung durch die Musik, die Partystimmung, den Alkohol“. Kuban und Ohlendorf sind die seit 2003 besuchten Veranstaltungsorte nach 2007 erneut abgefahren, der Journalist in einer spektakulären Verkleidung, einer Art „Heino“ mit blonder Perücke, Sonnenbrille, blondem Bart. Einerseits soll und darf Kuban nicht erkannt werden, die schrille Aufmachung ist aber zugleich ein Statement. Ohlendorf: „Wir wollten ihn mit dieser Verkleidung nicht nur unkenntlich machen, sondern auch als Leuchtturm gestalten, als einen Hofnarren, der die Wahrheit sagt, der ausspricht, was andere sich nicht trauen.“ Die Sonnebrille setzt auch ein filmisches Signal: Da ist einer klandestin unterwegs wie ein Agent. Jugendliche wird dieses cineastische Stilmittel womöglich besonders ansprechen, das jedenfalls ist der Wunsch der Autoren.
In dieser Verkleidung besuchte Kuban auch die Pressekonferenzen der Innenminister zu den Verfassungsschutzberichten, beispielsweise die des damaligen bayerischen Innenministers Beckstein 2007. In der Szene wird deutlich, wie wenig sich damals die journalistischen Kollegen für die rechtsextreme Szene interessierten, obwohl von Beckstein erwähnt. Nur der „islamistische Terror“ provozierte ihre Nachfragen. Kuban fragte Beckstein, wo Polizei und Staatsschutz bei den besonders häufig in Bayern stattfindenden Rechts-Rock-Konzerten blieben, warum man nicht eingriffe, schließlich fänden dort Straftaten statt: Hitlergruß, Aufruf zum Rassenhass, Volksverhetzung, Beleidigung, um nur einige zu nennen. Beckstein forderte Kuban daraufhin sinngemäß auf, er könne ja Anzeige erstatten. Kuban: Das könne man nur mit vollem Namen und Adresse. „Das kann ich mir nicht erlauben.“

Kein Zutritt

In der rechten Szene wird natürlich nach ihm gesucht, seitdem in den Magazinen „Stern TV“ (RTL) oder „Kontraste“ (ARD) kurze Ausschnitte aus den Konzerten zu sehen waren. Der unbekannte Filmer, man vermutet überwiegend einen Mossad-Agenten in ihm, wird mit Mord bedroht. Dies sagte Kuban in „Heino“-Verkleidung 2008 auch Mitarbeitern des damaligen Innenministers Schäuble, als er um ein Statement zum Verfassungsschutzbericht bat. Das, so wurde er beschieden, erhalte er nur in der Bundespressekonferenz. Dort aber bekam er entsprechend der Satzung keinen Zutritt. Peter Ohlendorf ist empört, „dass er mit seiner Verkleidung und wir als freies Team nicht in die Bundespressekonferenz durften. Das sind doch unsere Kollegen!“
Äußerst selten gelang es Kuban, sein brisantes Material zu verkaufen, investigativer Journalismus in der Rechts-Rock-Szene interessierte lange vor der Aufdeckung der Mordserie der terroristischen NSU kaum jemanden in den bundesdeutschen Medien. Von einem Konzert in der Schweiz 2008 wurden Ausschnitte im Schweizer Fernsehen gezeigt, es gab daraufhin einige bis heute nicht abgeschlossene Strafverfahren.
Der Film dokumentiert auch, dass man sich wehren kann: Im hessischen Kirtorf bei Kassel gründete sich eine Bürgerinitiative, nachdem Kuban 2004 dort ein Rechts-Rock-Konzert gefilmt hatte und davon im TV-Magazin „Kontraste“ Ausschnitte gezeigt wurden. Das Aktionsbündnis ist bis heute aktiv und hat bislang eine Wiederholung verhindert. In Berlin gibt es solche Konzerte gar nicht. Hier werden Polizisten speziell zur Neonaziproblematik unterrichtet, wissen Bescheid über indizierte Lieder. Der Film endet mit Bildern aus dem Berliner Holocaust-Mahnmal und erinnert an Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Solingen …

Kritik an Förderstrukturen

„FilmFaktum“, die Produktionsfirma von Peter Ohlendorf, will Filme wie „Blut muss fließen“ abseits des Mainstream-Denkens in den etablierten Film- und Fernsehstrukturen ermöglichen. Qualitätsprodukte, „die sich der Tradition des Genres verpflichtet fühlen“. „FilmFaktum“ ist eine Reaktion „auf die Ignoranz der öffentlich-rechtlichen Anstalten“ und der Filmförderung. Ohlendorf hat sich durch „Blut muss fließen“ mit 200.000 Euro verschuldet, Cutter und Komponist haben noch kein Honorar bekommen. „Auch die breite Berichterstattung anlässlich der Berlinale hat nicht dazu geführt, dass der Film endlich refinanziert wird, ob von Institutionen, Stiftungen oder Sponsoren. Für mich ist nun definitiv der Punkt erreicht, an dem ich aktiv werden will: Es muss sich etwas ändern an den Förderstrukturen im Dokumentarfilmbereich. Gerade dann sind freie unabhängige Produktionen zu unterstützen, wenn sie sich relevanten, unbequemen Themen widmen, die von den quotenorientierten öffentlich-rechtlichen Funkhäusern ignoriert und damit in der Regel nicht realisiert werden. Dafür will ich mich auf allen Ebenen einsetzen. Und natürlich soll dabei auch die vollständige Refinanzierung des Films ‚Blut muss fließen – Undercover unter Nazis’ gelingen.“
Der „ordentlich ausgebildete“ Journalist Thomas Kuban, der vor zehn Jahren seine Recherchen als „berufliche Herausforderung“ begriff und über 130.000 Euro eigenes und familiäres Geld investierte, wird „als Schlusspunkt dieser Recherchen“ noch ein Buch über seine Erlebnisse und Erfahrungen schreiben. „Ich kann mir diese Arbeit einfach nicht mehr leisten.“ Auch Ohlendorf fehlt Verständnis dafür, „dass investigativer Journalismus nicht bezahlt wird, dass eine solche Perle des deutschen Journalismus nicht längst von einem der großen Magazine eingekauft worden ist“.
Das Publikum auf der Berlinale zeigte sich „entsetzt“. So bitter es klingt, ohne die Entlarvung der NSU wäre das Interesse wohl nicht so groß gewesen. Jugendliche, hoffen die Filmemacher, werden sich dramaturgisch und gestalterisch von dem Film angesprochen fühlen, das Team wird jedenfalls jetzt viel von interessierten Schulen und Initiativen gegen Rechts eingeladen, eine Überforderung auf Dauer aber auch dies.
ver.di-Mitglied Kuban erhält die Solidarität seiner Gewerkschaft. „Es ist zu befürchten, dass der Rechtsextremismus in Deutschland mittlerweile zur größten Jugendbewegung geworden ist“, sagt dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß. „Unser Kollege Thomas Kuban hat das über einen langen Zeitraum mit verdeckter Kamera dokumentiert und ist dabei ein hohes Risiko eingegangen. Dafür hat er unsere Solidarität und unseren vollen Respekt.“ Jede Woche gibt es nach wie vor bis zu vier Rechts-Rock-Konzerte alleine in Deutschland, auf denen zu Rassenhass, Mord und Gewalt aufgestachelt wird.

Kasten:

„Blut muss fließen – Undercover unter Nazis

Blood must flow / Undercover among Nazis“
deutsch mit englischen Untertiteln, 87 Minuten.

Script&Direction: Peter Ohlendorf
Kamera: Thomas Kuban, Peter Ohlendorf
Schnitt: Stefan Ganter
Musik: Micha Legov
Verleih und Vertrieb: Peter Ohlendorf, www.filmfaktum.de.

Ohlendorf und Kuban stehen soweit möglich für Veranstaltungen in Schulen, Kinos und Initiativen gegen rechts zur Verfügung. Kontakt und Termine: info@filmfaktum.de
Die Vorführung des Films kostet 1000 Euro pro Tag. Eine DVD wird nach der Kinoauswertung zu kaufen sein. Seit der Berlinale läuft der Film in vielen Kinos und auf Dokumentarfilm-Festivals, u.a. auf dem Eurodok-Festival in Oslo Ende März und dem Münchner DOK.fest Anfang Mai.

Über Modelle der Refinanzierung wird weiter nachgedacht. Für den Anfang würde es auch helfen, wenn Unterstützer des guten politischen Dokumentarfilms gegen rechts einen Beitrag stiften: FilmFaktum, Sparkasse Freiburg, Konto 13 16 72 46, BLZ 68 05 01 01. Stichwort: Undercover-Film

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Filmtipp: Die Saat des Heiligen Feigenbaums

Die Alten hüten die Asche, die Jungen schüren das Feuer. Konflikte zwischen den Generationen sind vermutlich so alt wie die Geschichte der Menschheit. Zumindest im Westen haben die im Rückblick als „68er-Bewegung“ zusammengefassten Proteste für tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzungen gesorgt. Angesichts des Klimawandels könnte sich das Phänomen wiederholen. Mohammad Rasoulofs Familiendrama, deutscher „Oscar“-Kandidat, beschreibt anhand der Demonstrationen im Iran, wie sich die Alten wehren.
mehr »

Die Zukunft der Filmförderung

In der morgigen Plenarsitzung des Bundestages wird über die Zukunft der deutschen Filmwirtschaft entschieden, der vom Bundestagsausschuss für Kultur und Medien beschlossene Gesetzentwurf zum Filmfördergesetz (FFG) steht zur Abstimmung auf der Tagesordnung. ver.di begrüßt eine Reform der Filmförderung, denn in Zukunft müssen Filmproduktionen Tarif- und Urheber-Vergütungen verbindlich einhalten.
mehr »

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

Audiodeskription: Die KI liest vor

Die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Sender verwendet inzwischen auch synthetische oder mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Stimmen, um für Fernsehformate Audiodeskriptionen zu erstellen. Das ergibt sich aus Nachfragen von M bei den neun ARD-Landesrundfunkanstalten und beim ZDF. Neben professionellen Sprecher*innen setzen der MDR, WDR, NDR, Radio Bremen und das ZDF auch auf synthetische oder KI-Stimmen für die akustische Bildbeschreibung.
mehr »