Das Wirken der „Einrichtung“
Vor zehn Jahren, am 1. Januar 1991, hatte der Deutsche Fernsehfunk (DFF), bzw. das was von ihm übrig geblieben war, die sog. DFF-Länderkette, noch genau ein Jahr zu leben. Mit dem Einigungsvertrag Art. 36, war die Absage an ein eigenständiges Mediensystem der früheren DDR gesetzlich festgeschrieben und die DFF-Abschaltung für immer auf den 31. Dezember 1991 festgelegt worden.
Der Liquidation war ein langwieriger Vorgang, der sich in mehreren Etappen vollzog. Hatten sich während der „friedlichen Revolution“ vom Herbst 1989 die beiden bisher von Partei- und Staatsführung gelenkten DDR-Fernsehprogramme rasch den veränderten Erfordernissen angepasst, weil viele der dort Beschäftigten die neuen Berichterstattungsmöglichkeiten als Befreiung von Zensur und Kontrolle empfanden und sich aktiv am Demokratisierungsprozess – auch der Medien selbst – beteiligten, so wurde nach dem Sieg des konservativen Wahlbündnisses und der Konstituierung der de-Maziere-Regierung im März 1990 bald deutlich, dass Bonn diese Entwicklung so nicht wollte1. Kohl und seine Unterhändler hatten mit der Unterzeichung von Art. 36 alle nach der Wende eingeleiteten Gesetzesinitiativen und Überlegungen zur demokratischen Umgestaltung der Medien zur Makulatur erklärt und die Neuausrichtung der Ostmedien zur Chefsache erhoben. Aus ihrer Sicht war es deshalb notwendig, die „Abwicklung“ fest in „vertrauenswürdige“ Hände zu geben und unerwünschte Mitwirkungsmöglichkeiten von kompetenten Persönlichkeiten des „Beitrittsgebietes“ oder gar der Betroffenen aus den Sendern von vornherein auszuschließen.
Die Wahlfarce
Art. 36 sah die Wahl eines „Rundfunkbeauftragten“ vor, der die nun „Einrichtung“ genannten Hörfunk- und Fernsehsender der ehemaligen DDR „nach Maßgabe der föderalen Struktur des Rundfunks … aufzulösen oder in Anstalten des öffentlichen Rechts einzelner oder mehrerer Länder überzuführen“ hatte. Kontrolliert werden sollte er durch einen Rundfunkbeirat, der ihn auch „mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder abberufen“ konnte. Die Wahl des Rundfunkbeauftragten hatte „auf Vorschlag des Ministerpräsidenten“ durch die letzte Volkskammer oder durch Landessprecher der neuen Länderparlamente zu erfolgen. De Maziere ließ – eingedenk der medienpolitischen Ziele seines Partei-freundes Kohl – die Möglichkeit, eine geeignete Persönlichkeit aus den künftigen neuen Ländern vorzuschlagen, ungenutzt verstreichen. Rasch wurde nun, noch bevor die Länderparlamente konstituiert waren, in der Berliner Außenstelle des Bundeskanzleramtes am 15. Oktober 1990 der CSU-Mann Rudolf Mühlfenzl, zuvor BR-Fernsehchefredakteur und BLM-Präsident, von einem nicht legitimierten Gremium aus Verwaltungsbeamten „gewählt“2. „In aller Offenheit nahm der Staat, also die CDU, also Helmut Kohl, massiven Einfluss auf den Rundfunk, der nach dem Willen des Grundgesetzes staatsfern zu sein hat.“3 Im erst drei Monate später konstituierten Rundfunkbeirat durften zwar Leute aus den neuen Ländern, streng nach Parteienproporz ausgewählt, zum Zuge kommen, die aber, wie der Vorsitzende des Gremiums, Grüning (CDU), von sich betonte, „nicht so tiefe Kenntnisse“ dessen, was sie kontrollieren sollten, hatten.4 Der einzige Vertreter aus dem Westen, Günter Gaus, kündigte bereits im Juni 1991 seine Mitarbeit auf, weil er nicht länger an dieser „Ohnmachtsveranstaltung“ mitwirken wollte.5
Der „Maulkorb-Erlass“
Mühlfenzl ging sofort daran, sich mit einem handverlesenen Beraterstab gleichgesinnter Experten aus dem Westen zu umgeben, die er hauptsächlich aus privatkommerziellen Medienunternehmen, wie Kirch oder Holtzbrinck, entlehnte6. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Dienstanweisung 01, die allen Beschäftigten der Sender, einschließlich der amtierenden Intendanten, verbot, „öffentliche Erklärungen für die Einrichtung, insbesondere über zukünftige Programmentscheidungen, Inhalte, personal-, medien- und geschäftsspezifische Entscheidungen“ ohne Rücksprache mit dem Rundfunkbeauftragten oder seinem Stellvertreter abzugeben.7 Wer sich, wie der stellvertretende Hörfunkintendant Hildebrandt, diesem „Maulkorb-Erlass“ widersetzte, wurde abgemahnt und schließlich fristlos entlassen.
Es müsse all jene Kolleginnen und Kollegen „die dazu beigetragen haben, dass Freiheit und Demokratie auch in diesen Teil Deutschlands Einzug halten konnten, merkwürdig anmuten, dass sie nur wenige Monate nach dem Erfolg ihrer Revolution nicht mehr „Herr“ der selbst herbeigeführten, neuen Entscheidungslage sein können“, schrieb Hildebrandt an Mühlfenzl. Intendanz und Chefredaktion des Funkhauses erklärten: „Wir sehen in diesem Fall … einen seit dem 3. Oktober 1990 immer deutlicher werdenden typischen Vorgang. Immer mehr bleibt auf der Strecke, was die Menschen in der früheren DDR wollten“8 Und Wolfgang Thierse schreibt: „Die Entfernung Jörg Hildebrandts ist ein Signal der Bedrohung“.9
Der DFF wird demontiert
Bereits am 15. Dezember 1990 verschwindet der DFF mit seinen beiden Programmen DFF 1 und DFF 2 von den Bildschirmen der neuen Länder. Auf die Frequenzen des ersten Programms wird das ARD-Programm aufgeschaltet. Dem ZDF wurden schon zwei Wochen vorher bisher ungenutzte Ex-DDR-Frequenzen zugewiesen. Reste beider DFF-Programme finden sich zusammen mit Regionalprogrammen aus den neuen Landesstudios auf der nun auf den DFF 2-Frequenzen verbreiteten neuen „DFF-Länderkette“. Der Name „Ost 3“, den sich die DFF-Belegschaft gewünscht hatte, wurde von Mühlfenzl untersagt10. Er klang wohl zu sehr nach „Osten“, „gleichberechtigtem Dritten ARD-Programm“ oder gar „DDR-Identität“.
Teil Eins der Abwicklung war damit vollzogen. Als „Ausdruck einer Arroganz der Macht, die wir 40 Jahre lang hatten“, sah der brandenburgische Ministerpräsident Stolpe diesen Deal aus dem Bundeskanzleramt, den Kohl, Mühlfenzl und die CDU-Ministerpräsidenten der neuen Länder dort am 22. November 1990 verabredet hatten11. Stolpe und der Ostberliner OB, beide SPD, waren nicht eingeladen. Auch das Votum des noch zu konstituierenden Rundfunkbeirats wurde nicht abgewartet. Die IG Medien nannte das Vorgehen „verfassungs- und gesetzwidrig“ und forderte die neuen Bundesländer auf, Verfassungsklage in Karlsruhe zu erheben.12 Die SPD-Medienkommission monierte einen klaren Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz der Staatsferne und forderte Kanzler Kohl auf, „die Länderverantwortung für die Medienpolitik zu respektieren“.13 DFF-Intendant Albrecht versicherte gegenüber der Belegschaft, dass es unter seiner Verantwortung keine ARD-Aufschaltung ohne vorherige vertragliche Zusicherung von DFF-Programm-Übernahmen ins Erste gegeben hätte, aber „ich bin nun nicht mehr gefragt“14. Gefragt wurde auch nicht die Belegschaft des DFF. „Wir waren völlig überrascht“, so ein Sprecher. „Angst und Unwillen“ mache sich nun breit, insbesondere angesichts der bevorstehenden Massenentlassungen.
Fortsetzung dieser Folge in M 3/2001
- 1 Für die Phase der friedlichen Revolution bis zum Einigungsvertrag vergl. Christina Oberst-Hundt: „Vom Aufbruch zur Abwicklung – Der 3. Oktober 1990 war für den Rundfunk der DDR die Beendigung eines Anfangs“ in: M Nr. 10 Oktober 2000, S. 29 ff.
2 Vergl. Günter Herkel: ,Arroganz der Macht“ – Mühlfenzls Verminderung zentral gesteuerter Programme“ in: Publizistik & Kunst Nr. 1 Januar 1991 S.26f. ; Irene Charlotte Streul: „Rundfunk und Vereinigung der beiden deutschen Staaten“ in: Dietrich Schwarzkopf Hg. (1999) „Rundfunkpolitik in Deutschland – Wettbewerb und Öffentlichkeit“ Bd.2, dtv München, S. 888ff.
3 Rainer Frenkel: ,Demokratie per Dienstanweisung“ in Die Zeit v. 7. 6. 1991
4 Streul aaO. S. 892
5 Vergl. Berliner Zeitung v. 11. 6. 1991; Günter Gaus: „Mühlfenzl und andere – Ein Bericht aus dem Osten“ in: Freitag v. 21. 6. 1991
6 Vergl. Stephan Lewandowsky: „Ein Mann für Kirch und Kohl“ in: Vorwärts 1/1991
7 Zitiert nach Rainer Frenkel aaO.
8 ebd.; vergl. auch Interview mit Jörg Hildebrandt: „Da war eine richtige Bunkermentalität zu beobachten“ in: Funkreport v. 23. 5. 1991
9 Wolfgang Thierse: „Die ,Dienstanweisung 01″ und der aufrechte Gang“ in: Funkreport v. 31. 5. 1991
10 Vergl. FR v. 28.11.1990; Stephan Abarbanell: „Milchglas – ein Besuch beim DFF in Adlershof“, epd/Kirche und Rundfunk v. 15.12.1990
11 Vergl. Streul aaO. S. 893
12 Vergl. Stuttgarter Nachrichten v. 28.11.1990; FR v. 28.11.1990; Günter Herkel, aaO.; Interview mit Friedrich-Wilhelm von Sell: „Ein doppelter Verstoß gegen die Verfassung“ in Publizistik & Kunst Nr.1, Januar 1991, S. 27
13 FR v. 28.11.1990
14 FR v. 30.11.1990