Chance nicht vergeben: Whistleblowing regeln

Whistleblower umfassend schützen! Foto: 123rf

Vor genau einem Jahr hat die Europäische Union eine Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, die sogenannte Whistleblowing-Richtlinie, verabschiedet. Die Umsetzung in nationales Recht kommt in Deutschland nicht voran. Statt Rechtssicherheit für Hinweisgeber*innen zu schaffen und damit auch investigativen Journalismus zu stärken, streiten die zuständigen Ministerien darüber, ob sie die Richtlinie überhaupt national anwenden oder auf EU-Recht beschränken sollen.

Formal gilt die Richtlinie tatsächlich nur für EU-rechtliche Fragen. Doch der europäische Gesetzgeber hat die Mitgliedstaaten ausdrücklich ermutigt, den Anwendungsbereich bei der Umsetzung auch auf Bereiche ausweiten, die ausschließlich im nationalen Recht geregelt sind. Die Umsetzung muss bis Ende 2021 erfolgt sein.

Ein erster Gesetzesentwurf für die Umsetzung der EU-Richtlinie in Deutschland wird bis Ende dieses Jahres erwartet. Doch aus einem ersten Eckpunktepapier des federführenden Justizministeriums strich das Bundeswirtschaftsministerium grundsätzliche Überlegungen kommentarlos heraus oder verkehrte sie in ihr Gegenteil, kritisieren etwa Reporter ohne Grenzen (RSF) und das Whistleblower-Netzwerk (WBN). Eine halbherzige Umsetzung dürfte mehr Rechtsunsicherheit statt Nutzen bringen. „Es ist Zeit für einen entschlossenen Schritt zum umfassenden rechtlichen Schutz für Menschen, die oft unter großen persönlichen Risiken die entscheidenden Informationen liefern, um Missstände in Wirtschaft und Behörden aufzudecken“, so RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.

Die Bundesregierung drohe die Chance zu verpassen, einen umfassenden Whistleblowerschutz zu schaffen. Reporter ohne Grenzen und das Whistleblower-Netzwerk haben am 23. Oktober – genau ein Jahr nach Verabschiedung der EU-Richtlinie – deshalb ein gemeinsames Positionspapier veröffentlicht. Darin wird gefordert, die längst überfällige Debatte über Regeln zum öffentlichen Whistleblowing, zum Umgang mit amtlichen Verschlusssachen sowie über einen zeitgemäßen digitalen Quellenschutz jetzt zu führen.

Kritisiert wird, dass das Bundeswirtschaftsministerium aktuell darauf dränge, den Whistleblowerschutz auf Hinweise zu Verstößen gegen bestimmte Bereiche des EU-Rechts zu beschränken. Das würde bedeuten, dass Whistleblowerinnen und Whistleblower ohne juristische Kenntnisse schwer beurteilen könnten, ob ihr Fall unter die geschützten Bereiche fällt oder nicht und könnte potenzielle Hinweisgeber*innen abschrecken.

Zudem: Decken Whistleblowerinnen und Whistleblower Rechtsverstöße direkt gegenüber Medien oder der Öffentlichkeit auf und nicht zunächst intern oder gegenüber einer Behörde, so sieht die EU-Richtlinie für sie sie nur einen deutlich eingeschränkteren Schutz vor. Würde dies so in nationales Recht umgesetzt, wären Whistleblowerinnen und Whistleblower als journalistische Quellen in vielen Fällen nicht rechtlich geschützt. Reporter ohne Grenzen fordert deshalb Vorrang für die Meinungs- und Pressefreiheit.

Weitere aktuelle Beiträge

Türkei: Kurdische Journalisten in Gefahr

Nach Angaben der in Istanbul ansässigen Media and Law Studies Association (MLSA) standen zwischen dem 4. und 7. März mindestens 21 Journalisten vor türkischen Gerichten. Diese Zahl mag für deutsche Leser*innen schockierend sein, in der Türkei sind diese Ausmaße juristischer Verfolgung von Journalist*innen leider alltäglich. Unter dem Ein-Mann-Regime von Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht es mit der Meinungs- und Pressefreiheit im Land immer düsterer aus. Auch die jüngsten Daten der Journalistenvereinigung Dicle Fırat (DFG) zeigen deutlich, dass der Druck auf Journalisten wächst.
mehr »

RBB will Fehler analysieren

Der RBB räumte bereits schwerwiegende Fehler bei der Berichterstattung über den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar ein. In einer internen Sondersitzung soll nun ein weiteres Vorgehen geklärt werden. Um den Aufklärungsprozess „konstruktiv zu begleiten“, habe der rbb-Programmausschuss für kommenden Montag eine Sondersitzung einberufen, so der Sender. Darin soll es offenbar um die Ergebnisse des Untersuchungsberichts der Beratungsfirma Deloitte gehen.
mehr »

Filmtipp: Dietrich Bonhoeffer

Das unter anderem mit August Diehl und Moritz Bleibtreu sehr gut besetzte Drama setzt einerseits ein Denkmal für den Widerstandskämpfer. Andererseits ist es umstritten, weil Dietrich Bonhoeffer im Zusammenhang mit dem Film durch rechtsnationale amerikanische Evangelikale instrumentalisiert wird. Zum US-Start waren die Nachfahren des im KZ hingerichteten deutschen Theologen entsetzt, wie sein Vermächtnis „von rechtsextremen Antidemokraten" und „religiösen Hetzern verfälscht und missbraucht" werde. Inhaltlich ist die Aufregung unbegründet. Trotzdem ist der Film nur mit Abstrichen sehenswert.
mehr »

Beschwerde gegen BND-Gesetz

Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) reichen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde gegen das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz) ein. Damit reagieren die Organisationen auf ungenügende Reformen des Gesetzes, das den Schutz von Medienschaffenden nicht ausreichend berücksichtigt. RSF und GFF erwarten sich von der Entscheidung ein Grundsatzurteil, das nicht nur Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland haben wird, sondern auch Strahlkraft in die anderen Mitgliedstaaten des Europarates.
mehr »