FSK-Freigaben künftig mittels Algorithmus

Bei diesem Stand der Technik hatte die FSK garantiert noch analog geprüft.
Foto: Christian von Polentz

Seit siebzig Jahren sorgen die ehrenamtlichen Prüferinnen und Prüfer der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) in Wiesbaden dafür, dass kein Film ohne Altersfreigabe in die Kinos kommt. Über die Frage etwa, ob eine Produktion schon ab 6 oder erst ab 12 Jahren freigegeben werden kann, wird oft hitzig diskutiert. Das dürfte es ab dem nächsten Jahr nur noch selten geben, denn dann werden solche Entscheidungen von einem Algorithmus getroffen. Jugendschützer sind skeptisch, ob das funktioniert.

Auch in der Vergangenheit hat es immer wieder mal strittige Fälle gegeben. Die Freigabe von Til Schweigers Beziehungskomödie „Keinohrhasen“ (2007) ab 6 Jahren zum Beispiel ist angesichts der teilweise sexgeprägten Dialoge auf Unverständnis bei vielen Eltern gestoßen. Im Großen und Ganzen hat sich das Verfahren jedoch bewährt. Trotzdem wird die Prüfpraxis im kommenden Jahr radikal geändert: Die FSK entwickelt derzeit laut Geschäftsführer Stefan Linz „ein kriterienbasiertes Klassifizierungs-Tool, das die Prüfverfahren vereinfachen und beschleunigen soll“. Dieses Tool bestehe „aus einem dynamischen Web-basierten Fragebogen mit Fragen zu allen jugendschutzrelevanten Sachverhalten“. Bei einem linearen filmischen Inhalt seien die Antworten vollständig überprüfbar. Für die Nutzer nicht sichtbar, ist jede Antwortoption mit einer sogenannten Beurteilungslogik verknüpft. Sie bestimmt nach einer zuvor festgelegten Definition eine Altersbewertung.

Der Fragebogen ist in verschiedene Kategorien eingeteilt. Neben der Darstellung von Gewalt und Sexualität oder der Thematisierung von Drogenkonsum werden auch weniger offenkundige Aspekte des Jugendschutzes berücksichtigt, zum Beispiel selbstverletzendes Verhalten oder Suizid. Der Fragebogen umfasst derzeit knapp hundert Fragen, die aber nicht alle beantwortet werden müssen. Wird eine der Kategorien nicht tangiert, fallen die zugehörigen Unterfragen weg. Wird eine Einstiegsfrage dagegen mit „Ja“ beantwortet, folgen detaillierte Fragen zu dieser Kategorie. Linz erläutert dies am Beispiel Drogenkonsum: „Der Nutzer muss zunächst angeben, ob der Konsum bildlich dargestellt oder ‚nur’ thematisiert wird. Dann folgen weitere Fragen zu verschiedenen Details, zum Beispiel: Handelt es sich um sogenannte harte oder weiche Drogen, sind Minderjährige involviert, wird der Konsum kritisch darstellt? Dank exakter Definitionen hat der Nutzer praktisch keinen Interpretationsspielraum.“ Das gelte auch für die wichtige Kategorie Gewalt und sei Voraussetzung dafür, „dass unterschiedliche Nutzer bei gleichen Sachverhalten zu identischen Ergebnissen kommen“. Bisherige Tests, bei denen Filme herkömmlich sowie mit der neuen Methode geprüft wurden, seien äußerst zufriedenstellend verlaufen.

Jugendschützer sind trotzdem skeptisch und vermuten, die Reform habe allein finanzielle Gründe. Der Druck der Branche auf die FSK sei enorm, sagt ein Insider: „Im DVD-Bereich gehen die Verkaufszahlen seit Jahren runter, weil es die meisten Mainstream-Filme mittlerweile bei Pay-TV- und Streaming-Angeboten als Video auf Abruf gibt. Die Umsätze der DVD-Anbieter sind entsprechend gesunken, weshalb die Kosten für eine FSK-Prüfung im Vergleich zu den Einnahmen heute einen ganz anderen Stellenwert haben als noch vor einigen Jahren.“ Kritik gibt es auch am „Tool“, obwohl es noch gar nicht publik ist. Das niederländische Pendant zur FSK (Nicam) hat ein vergleichbares Freigabesystem schon vor geraumer Zeit eingeführt. Dort habe es zehn Jahre gedauert, bis das System tatsächlich praktikabel gewesen sei, sagt ein Jugendschützer. Neutrale Tests hätten ergeben, dass die Übereinstimmungen mit den Freigabeentscheidungen eines Prüfausschusses bei 85 Prozent lägen. Ähnliche Zahlen erwartet er auch für das neue FSK-Modell, wobei die restlichen 15 Prozent der „Knackpunkt“ seien: „Die meisten Entscheidungen der FSK sind einstimmig, aber entscheidend sind die strittigen Fälle.“ Freigaben, die auf Algorithmen basierten, fielen erfahrungsgemäß strenger aus, „weil in den standardisierten Codierungsbögen der jeweilige Handlungskontext nicht berücksichtigt werden kann.“ Außerdem sei es schwer, Feinheiten zu objektivieren: „Gewalt ist ja nicht immer gleich Gewalt, es gibt Unterschiede in der Intensität und in der Drastik der Darstellung. Beides lässt Rückschlüsse auf die Frage zu, ob die Gewalt befürwortet wird; aber solche Differenzierungen sind bei Fragebögen nicht vorgesehen.“

Auch darauf hat Linz eine Antwort: In strittigen Fällen werde es wie bisher die Möglichkeit geben, in Berufung zu gehen; dann befasst sich ein Prüfausschuss mit dem Inhalt. Die FSK wird also nicht völlig auf ihre Prüfer verzichten. Trotzdem sehen Jugendschützer den Jugendmedienschutz gerade angesichts des scheinbar rechtsfreien Internets am Scheideweg. Wolle die Branche nicht vollends an Glaubwürdigkeit verlieren, müsse sie sich viel stärker an den Bedürfnissen der Verbraucher orientieren, heißt es. Die FSK-Freigaben stellen ja keine Altersempfehlung dar. Eine sinnvolle Ergänzung wäre zum Beispiel eine nutzerfreundliche Grafik, die Eltern auf einen Blick vermittelt, für welches Alter ein Film geeignet sei oder dass er für Kinder bedenklich sein könnte, weil er Sex- oder Gewaltszenen enthalte.

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