Von Anfang an machte Richter Wolfgang Neuschild im Urheberrechtsprozeß FreeLens gegen Spiegel eine unglückliche Figur und zeigte offen, daß ihm die Materie nicht behagte. Fachliche Kompetenz ersetzte er durch kabarettistische Einlagen. Aber auch der Anwalt der Fotojournalistinnen und -journalisten hatte den skurrilen Einfällen des Richters nichts Äquivalentes entgegenzusetzen. Nun ist die Quittung da. Die Urteilsbegründung erinnert an früheres Hamburger Landrecht.
Zum „unsichtbaren Kronzeugen“ wurde Paul Katzenberger – er ist am Münchner Max-Planck-Institut Abteilungsleiter für Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht – der für die Verlegerverbände ein Rechtsgutachten zu den veränderten Bedingungen in Sachen Urheberrecht verfaßt hat (siehe „M“ 3/96). „Die Bekanntheit muß sich grundsätzlich auf die technischen Möglichkeiten und die wirtschaftliche Bedeutung beziehen“, heißt es in der schriftlichen Begründung des Urteils; dies hätte eben jener Herr Katzenberger erkannt und jüngst (!) darauf aufmerksam gemacht, daß dies seit 1989 so ist.
Nicht nur, daß da steht, die Verwertungsform auf CD-ROM wäre somit bereits 1989 bekannt gewesen – nein – man hätte spätestens seit die Digitalisierung von Schrift, Musik und Bildern gelungen war, davon ausgehen müssen, daß so etwas auch genutzt werde. Was sich wie eine logische Begründung anhört, ist Humbug: Da werden nämlich von Text- und Bildproduzenten hellseherische Fähigkeiten erwartet. Die Pressekammer begibt sich dabei aufs Glatteis. An den Paragraphen 31,4 des Urheberrechtsgesetzes – „Die Einräumung von Nutzungsrechten für noch nicht bekannte Nutzungsarten sowie Verpflichtungen hierzu sind unwirksam“ – dürfe man keine zu strengen Anforderungen stellen, heißt es. Der Kern des Urteils – daß eine CD-ROM zu herkömmlichen Archivierungsmöglichkeiten lediglich eine Substituierung bedeutet – öffnet dem Artikel- und Bilderklau Tür und Tor. Weil eben alles gemacht wird, was auch möglich ist, muß man sich das in Zukunft eben gefallen lassen. Diese Tendenz paßt in die Zeit: Der neue Gott heißt Dienstleistung und wir Medienschaffenden sollen der Medienindustrie auf dem Altar des globalen Standortes stets zu Diensten sein. Und weil wir so verrückt sind, auch noch Spaß an der Arbeit zu haben, werden wir demnächst wohl zur Zahlung von Vergnügungssteuer verdonnert – daß Richter Neuschild noch nicht auf diese Idee kam, überrascht eigentlich.