Haushaltsbeitrag statt Hausbesuch

M  sprach mit Peter Boudgoust, dem amtierenden ARD-Vorsitzenden, über das neue Gebührenmodell

M | Was bedeutet der Wechsel zu einem geräteunabhängigen Rundfunkgebührenmodell für die öffentlich-rechtlichen Anstalten?

Peter Boudgoust | Es ist ein modernes System, das vieles einfacher und transparenter macht. Auch wenn das aktuelle Gebührenmodell noch bis 2013 gilt, ist mit der Entscheidung der Ministerpräsidenten nun das Ziel klar bestimmt. Die Gebühr für Empfangsgeräte wird sich bald überholt haben. Mit welchem Gerät heute und in Zukunft öffentlich-rechtliche Programmangebote genutzt werden, ob klassisch per Fernsehen und Radio, ob per Computer, Smartphone oder was uns da sonst noch ins Haus steht – das lässt sich kaum mehr vorhersagen. Das geplante neue Modell wird den technischen Entwicklungen gerecht.

M | Welches sind Ihrer Auffassung nach die entscheidenden Vorteile einer Haushalts- und Betriebsstättenabgabe?

Boudgoust | Vor allem ist sie nachvollziehbarer für die Menschen. Ab 2013 fällt für jeden Haushalt ein Beitrag an, egal, wie viele Menschen dort leben, egal, ob, wie viele und welche Geräte zum Empfang bereitstehen. Der Beitrag pro Haushalt macht „Schwarzsehen“ praktisch unmöglich. Für „Schwarzseher“ haben Gebührenzahler bisher quasi mitgezahlt. Das fällt nun flach. Das Beitragsmodell verteilt die Lasten auf alle Schultern und ist gerechter.

M | Rechnen Sie künftig mit einer größeren Akzeptanz der Rundfunkgebühr? Immerhin hatten gewisse Kontrollpraktiken der GEZ in der Vergangenheit beträchtliche Imageschäden verursacht …

Boudgoust | Das geplante Modell würde es leichter machen, den Beitrag einzuziehen. Die Nachfragen an der Haustür fallen weitgehend weg. Haushaltsbeitrag statt Hausbesuch sozusagen. Das wird für mehr Akzeptanz sorgen.

M | Auch Rundfunkabstinenzler und solche, die bislang nicht fernsahen, müssen künftig die einheitliche Haushaltsabgabe bezahlen. Was sagen Sie Kritikern, die darin eine „Zwangsgebühr“ sehen?

Boudgoust | Das neue Modell erkennt an, dass jeder Bürger, ob er uns zuschaut, zuhört, anklickt oder nicht, vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk profitiert. Vergleichbar vielleicht mit Schulen, Universitäten oder Bibliotheken. Die werden auch von der Allgemeinheit getragen und finanziert. Um es mal bildhafter zu machen: Wenn ein Facharbeiter vor seinem Arzt sitzt, ist er ja auch froh, dass der Arzt für seine Ausbildung nicht nur ein oder zwei Bücher gelesen hat, sondern an einer Universität studiert hat. Die hat der Facharbeiter mitfinanziert, ist aber selbst vermutlich nicht hingegangen. Trotzdem wird er einsehen, dass die Gesellschaft als Ganzes und damit auch er ganz persönlich etwas davon hat.

M | Die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind auf stabile Einnahmen angewiesen. Wie wird sicher gestellt, dass die neue Abgabe aufkommensneutral gestaltet wird?

Boudgoust | Sichergestellt ist das nicht. Das Modell basiert auf einem Gutachten von Staatsrechtsprofessor Paul Kirchhof. Danach soll der neue Beitrag aufkommensneutral sein. Tatsächlich wird die Basis etwas stabiler – eben weil dank des Beitrags pro Haushalt Schwarzsehen nicht mehr möglich sein wird. Eventuelle Verschiebungen zu unseren Gunsten wird die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), bei den nächsten Berechnungen dann aber garantiert zu unseren Lasten berücksichtigen.

M | Was passiert, wenn am Ende unter dem Strich weniger Einnahmen für ARD, ZDF und Deutschlandradio dabei heraus kommen?

Boudgoust | Klar ist: Die Ministerpräsidenten haben das Ziel, dass mit dem neuen Modell die Höhe der heutigen Rundfunkgebühr nicht überschritten wird. Die öffentlich-rechtlichen Sender mussten und müssen ohnehin sparen. Denn egal, ob das neue Gebührenmodell in Kraft tritt oder nicht: Wir gehen von einem Rückgang des Gebührenaufkommens von 15 Prozent in den nächsten zehn Jahren aus. Grund ist der demografische Wandel. Daraus ziehen wir Konsequenzen und werden schlanker. Das wird zum Beispiel noch mehr Zusammenarbeit unter den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bedeuten -in Verwaltung, Produktion und im Programm. Klar ist aber auch: Das darf nicht auf Kosten der Qualität gehen. Wir haben nicht nur den Auftrag, zu informieren, zu bilden und zu unterhalten. Wir haben auch den Anspruch, das in hoher Qualität zu tun. Qualität muss unser Markenzeichen bleiben. Das sind wir den Menschen in diesem Land schuldig, und alles andere würden sie zu Recht nicht akzeptieren.

M | Sehen Sie mit der neuen Regelung Chancen, das wirtschaftliche Gefälle zwischen den einzelnen ARD-Anstalten zu vermindern?

Boudgoust | Die kleinen Anstalten leiden darunter, dass es in ihrem Sendegebiet besonders viele Menschen gibt, die sich etwa als Hartz-IV-Empfänger von der Gebührenpflicht haben befreien lassen. Um den finanziell besonders klammen Landesrundfunkanstalten zu helfen, haben wir unseren sogenannten ARD-internen Finanzausgleich. Über die Auswirkungen des neuen Beitrags auf die einzelnen Anstalten werden wir uns verständigen.

M | Ab 2013 müssen ARD und ZDF an Sonn- und Feiertagen sowie nach 20 Uhr weitgehend auf Sponsoring verzichten. Wäre es im Interesse einer klaren „Systemreinheit“ nicht besser, wenn die öffentlich-rechtlichen Anstalten völlig auf Werbung verzichteten?

Boudgoust | Im Sinne der Gebührenzahler glaube ich nicht, dass es besser wäre. Werbung macht derzeit in der ARD nur etwa ein Prozent des Programmvolumens aus; erlaubt sind zum Beispiel im Fernsehen nur maximal 20 Minuten pro Tag und dies nicht an Sonn- und Feiertagen und nicht nach 20 Uhr. Die dritten Programme, Arte, 3sat, Phoenix, der Kika und unsere Digitalkanäle sowie viele Hörfunkprogramme und unser komplettes Onlineangebot sind werbefrei. Unterm Strich also ziemlich wenig Werbung. Trotzdem trägt Werbung vergleichsweise viel zur Finanzierung bei. Ohne Werbung und Sponsoring müsste die Rundfunkgebühr der KEF zufolge um 1,42 Euro erhöht werden. Ob ein komplettes Werbeverbot die Akzeptanz des Systems erhöhen würde, wenn es zu Lasten der Gebührenzahler ginge? Ich bezweifle es.

    Das Gespräch führte Günter Herkel

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