Was ist schlimmer? Medienarmut und weniger Lokalinformationen oder potentielle Meinungsmonopole durch Zusammenschluss? Diese Frage stellte der „Lokal-TV-Kongress 2019“ in Potsdam. Der Hintergrund ist durchaus ernst. Immer mehr eigenständige Medien verschwinden auf lokaler und regionaler Ebene von der Bildfläche. Die Medienanstalten präsentieren eine Alternative.
Was passiert, wenn der Lokaljournalismus zusammenbricht? Sabine Schickedanz von der Zeitung „Potsdamer Neueste Nachrichten“ beobachtet die Szene weltweit und berichtet auf dem Lokal-TV-Kongress von Studien und ihren Rechercheergebnissen. Wie so oft hilft ein schneller Blick in die USA. Dort, so, Schickedanz, sei bereits jeder fünfte Bürger ohne originäre lokale Nachrichten. Vor allem Zeitungen seien hier breitflächig verschwunden. Die Folgen seien weitreichend. In den lokalen Parlamenten und Ausschüssen säßen oft keine Journalist*innen mehr, die über fragwürdige Entscheidungen, wie zum Beispiel Kreditvergaben, berichteten und so ihrer Kontrollfunktion nachkommen könnten. Mehr Korruption und weniger gesellschaftliches Engagement. So leide auch das Ehrenamt, da es keine öffentliche Anerkennung mehr gebe. Diese Gemeinschaft, die das Leben in den Städten und Gemeinden widerspiegle, verschwinde. Die Folgen reichten bis zur politischen Radikalisierung, die sich inzwischen auch in Deutschland ablesen lassen, so Schickedanz. Inzwischen gäbe es immer mehr Regionen, in denen die verbliebenen und finanzschwach ausgestatteten Redaktionen kaum noch Journalist*innen fänden, die dort noch arbeiten wollten.
Immer weniger Anbieter
Das Epizentrum des zusammenbrechenden Lokaljournalismus ist derzeit in Deutschlands Lokalfernsehlandschaft zu beobachten. Neue, unabhängige Anbieter entstehen kaum, dafür sind Dutzende kleinerer Sender in den vergangenen Jahren verschwunden, fast alle Überlebenden haben ihre Redaktionsgröße deutlich reduzieren müssen. Von knapp 80 regionalen und lokalen Fernsehsendern allein in Sachsen der 90er Jahre ist heute noch knapp die Hälfte auf Sendung. Damit ist der Freistaat noch immer Spitzenreiter bundesweit. Denn Bundesländer wie NRW oder das Saarland verfügen inzwischen über kein lokales Fernsehen mehr.
Eine ganze Batterie an aktuellen Problemfällen wurde auf dem Lokal-TV-Kongress 2019, veranstaltet von den fünf ostdeutschen Landesmedienanstalten, aufgegriffen. Das Zusammenrücken von Lokalzeitung und Lokalfernsehen beispielsweise. Das geschehe oft aus der Not heraus. Lokale Verlagshäuser suchen dringend Videoinhalte für ihre Onlineauftritte, bringen selbst aber keinerlei Videokompetenz mit und haben auch keine Mittel dafür. Die unabhängigen lokalen Sender, deren Redaktionen gerade in Ostdeutschland auch schon mal aus einer Zwei-Mann-Redaktion bestehen, greifen aktuell nach jedem sich bietenden Strohhalm. Der Medienpolitik gefällt das wenig, denn damit schrumpft die von ihr so gern zitierte publizistische Vielfalt, wenn nun auch gattungsübergreifend Redaktionen zusammengelegt werden.
Wie also gelingt die Finanzierung lokaler und regionaler Berichterstattung im „Heimatfernsehen“, fragen sich die Landesmedienanstalten. Lauscht man den Worten der Senderbetreiber, so lautet die Frage inzwischen, wie gelingt das Überleben einen ganzen Mediengattung?
Brandenburg will den Sendern unter die Arme greifen
Die Überraschungsnachricht überbrachte Anja Zimmer, Direktorin der Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg. Die MABB hat ein Modell im Land Brandenburg durchgeboxt, wonach die Inhalte der Lokalsender nun durch Mittel des Landes gefördert werden können. Bisher hatte die Medienpolitik solche Modelle zurückgewiesen; mit staatlichen Mitteln sollte keine unabhängige Berichterstattung finanziert werden. Doch die Vergabe der staatlichen Mittel über die staatsferne Drehscheibe Landesmedienanstalt soll diesen Graben nun überbrücken. Budget und Zeitplan stehen noch nicht fest; fest steht nur, Brandenburg wagt sich als erstes Bundesland an eine solche Förderung. Eine Fördersatzung werde derzeit entwickelt, heißt es, und noch nicht alle Regularien scheinen geklärt. „Das Gesetz tritt am 1. Oktober in Kraft und wir bewegen uns in einem völlig neuen Feld, wir müssen uns das gründlich anschauen“, so die MABB-Direktorin Anja Zimmer gegenüber M. Journalismus müsse weiter staatsfern sein.
Aus den eigenen Mitteln der Landesmedienanstalten waren inhaltliche Förderungen bisher nicht möglich, §40 des Rundfunkstaatsvertrags verbietet die Finanzierung kommerzieller Unternehmen aus dem Topf des Rundfunkbeitrages, aus dem auch die Landesmedienanstalten finanziert werden. Geht es nach dem Willen der fünf ostdeutschen Länder, so soll dieser Paragraf fallen. Die Vertreter die Sächsische Landesmedienanstalt (SLM), der Thüringischen Medienanstalt (TLM), der Medienanstalt Mecklenburg-Vorpommern (MMV), der Medienanstalt Sachsen-Anhalt (MSA) und der MABB traten am Ende des Kongresses auf die Bühne und kündigten eine „Potsdamer Erklärung“ an. Ziel: Die Rettung des Lokalfernsehens auch durch Förderung von Inhalten. Heißt: Die Parlamente zum Fall des §40 des Rundfunkstaatsvertrages zu bewegen. Der Druck von allen Seiten ist groß.
René Falkner, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Lokal-TV (BLTV) freut sich, dass der Wert des lokalen Fernsehens zunehmend erkannt wird. Und schiebt eine kleine Dringlichkeit gleich hinterher: Wenn Politik und Gesellschaft am Überleben der Gattung Lokal- und Regionalfernsehen in Deutschland gelegen sei, dann dürfe man sich mit der Förderung nicht mehr ganz so viel Zeit lassen.