Medienlandschaften in Thüringen

Das MDR-Landesfunkhaus Thüringen in Erfurt Foto: MDR/Martin Jehnichen

Am 1. September steht die Landtagswahl in Thüringen an. Rund 1,66 Millionen Bürger*innen stimmen ab. Über politische Inhalte, Wahlkampfthemen und Regionales können sie sich vor allem in Radio und Fernsehen oder in den Zeitungen der Funke Mediengruppe informieren. Im Zuge von Digitalisierung und veränderten Nutzungsgewohnheiten ist jedoch die Vielfalt des lokalen Medienangebots im Freistaat rückläufig.

Im Mai 2023 stellte die Funke Medien Thüringen die Lieferung der gedruckten Ostthüringer Zeitung (OTZ) in der Gemeinde Greiz teilweise ein. Alternativ bekamen die 300 betroffenen Haushalte das Angebot, ihr Blatt künftig als E-Paper zu beziehen – kostenlose Tablet- und Smartphone-Schulung inklusive. Doch die Kampagne schlug nur mittelprächtig ein, wie Nils Kawig, Chefredakteur der OTZ in Gera kürzlich im Medienmagazin des Bayerischen Rundfunks (BR) einräumte. Er habe erwartet, dass die digitale Fortbildung von den bisherigen Print-Leser*innen stärker nachgefragt werde. Man habe auf eine Digital-Switch-Quote von etwa 50 Prozent gehofft. Tatsächlich entschloss sich gerade mal jede*r Vierte zum Bezug des E-Papers. „Viele einstige Abonnenten sagten, sie hätten gar kein Internet.“

Die allmähliche Umstellung von Print zu Digital sei „ein schwieriger Schritt für uns als Medienhaus“, hatte zu Beginn des Feldversuchs Geschäftsführer Michael Tallai geahnt. Vom Erfolg der Strategie hängt mittelfristig einiges ab. Zum Portfolio von Funke Thüringen gehören neben der OTZ auch noch die Thüringer Allgemeine und die Thüringische Landeszeitung. Die Verkaufsauflage dieses Trios ist allein innerhalb der letzten sechs Jahre um mehr als 40 Prozent gesunken, von 240.000 auf gut 140.000 Exemplare. Der durchschnittliche jährliche Abonnentenschwund liegt bei acht bis neun Prozent.

Angesichts dieses dramatischen Schrumpfprozesses wächst die Unruhe in den Belegschaften. „Viele Kolleg*innen schauen sich verstärkt nach anderen Jobs um“, berichtet Lucas Munzke, ver.di-Gewerkschaftssekretär für Medien in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Wegen der Quasi-Monopolstellung von Funke in der Region ein nahezu aussichtsloses Unterfangen.

Funke mit Problembewusstsein

Einziger Wettbewerber der Funke-Blätter im Land ist die Südthüringer Zeitung mit den Ausgaben Freies Wort und Meininger Tageblatt (Gesamtauflage: 40.000). Der damit verbundenen gesellschaftlichen Verantwortung ist sich Funke-Geschäftsführer Tallai durchaus bewusst. Kreise, in denen es am Ende gar keine Tageszeitung mehr gibt, egal ob gedruckt oder digital, mag er sich nicht vorstellen. „Denn in diese Lücke würden im Zweifelsfall Medien stoßen, die nicht der Überparteilichkeit verpflichtet sind und häufig extremistische Ziele verfolgen, was wir in Thüringen auch jetzt schon beobachten“, sagte er unlängst dem Branchendienst Meedia.

In diese Lücke stoßen zum Beispiel eine Handvoll kostenloser Anzeigenblätter, wie der BR registrierte, oft mit Rubrikenanzeigen „aus verschwörungideologischem Umfeld“. Viele Kund*innen hätten offenbar kaum Berührungsängste: Anzeigen geschaltet werden beispielsweise von Banken, Möbelhäusern, Baumärkten, etc.

Angriffe auf Journalisten

Der Einfluss von AfD und anderen Akteuren der rechten Szene macht Thüringen zu einem gefährlichen Pflaster für Journalist*innen. Fabian Klaus, Reporter für Funke Medien, wurde schon häufiger Opfer von Angriffen Rechtsextremer. Auf Demos sah er auch schon mal Fotos von sich in Sträflingskleidung, Aufschrift „schuldig“.

Eine unrühmliche Rolle spielt gelegentlich auch die Justiz. 2018 waren zwei Journalisten im thüringischen Fretterode von mit Messer und schwerem Schraubenschlüssel brutal attackiert und schwer verletzt worden. Wegen gefährlicher Körperverletzung wurden die Täter 2022 zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr Gefängnis verurteilt. Ein „Skandalurteil“, erinnert sich Lucas Munzke, das später vom Bundesgerichtshof kassiert wurde. Demnächst soll es zur Wiederaufnahme dieses sogenannten „Fretterode-Verfahrens“ kommen.

Wenig Pressevielfalt

Als demokratisches Gegengewicht speziell in den laufenden Landtagswahlkämpfen griff Benjamin Fredrich, der umtriebige Chef des Greifswalder Verlags „Katapult“, mit einer Sonderpublikation in den Wahlkampf ein. So kamen Thüringen (wie auch Sachsen und demnächst Brandenburg) in den Genuss einer „aufklärerischen Zeitung“, mit Texten unter anderem zu Pressekonzentration, AfD-Kritik und Migration.  Die einmalige Ausgabe pro Bundesland wird mit Spenden finanziert und durch Freiwillige vor Ort verteilt – in Thüringen immerhin mit einer Auflage von mehr als 300.00 Exemplaren. „Ja, die Pressevielfalt im Osten ist absolut ausbaufähig“, frotzelte Steffen Grimberg in der taz, „aber das kann nicht mit einer katapultschen Eintagsfliege geändert werden“.

MDR unter Druck

Auch im Rundfunk sieht es nicht rosig aus. Platzhirsch unter den elektronischen Medien ist natürlich der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR). Im Vergleich aller Dritten ARD-Programme schneidet er mit einem Marktanteil von fast zehn Prozent im eigenen Sendegebiet am erfolgreichsten ab. Viel mehr elektronische Medienvielfalt findet nicht statt. Neben MDR Thüringen aus dem Studio Erfurt und fünf weiteren landesweiten MDR-Radioprogrammen (alle aus Halle) senden gerade mal drei private Sender zwischen Eisenach und Altenburg: Antenne Thüringen, LandesWelle Thüringen und radio TOP 40.

Die Drei-Länder-Anstalt könnte massiv unter Druck geraten, falls die AfD in Thüringen oder Sachsen nach den Wahlen Regierungsverantwortung bekäme, fürchtet ver.di-Sekretär Munzke. Schließlich habe Höcke schon im April angekündigt, in diesem Fall den MDR-Staatsvertrag zu kündigen. Horrorvisionen, wonach der gesamte Sender dann schnell am Ende wäre, sind aber offenbar unbegründet. Versicherte zumindest Jens-Ole Schröder, Juristischer Direktor des MDR, kürzlich im NDR-Medienmagazin ZAPP: „Der MDR bestünde weiter als Zweiländer-Anstalt und würde als Mitteldeutscher Rundfunk für die mitteldeutsche Region natürlich weiterhin ein Programm machen können.“

Fragt sich nur, mit welchem Budget. Angesichts der Hängepartie um die Erhöhung des Rundfunkbeitrags regiert im Hause der Rotstift. Das im Mai verkündete Sparprogramm betrifft unter anderem die Redaktion „Politische Magazine und Reportagen“. Ein falsches Signal, monieren Kritiker*innen: Das politische Geschehen in der Region erfordere eher einen Ausbau investigativer Recherchen und hintergründiger Berichterstattung.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Geschichte gegen Rechts

Immer wieder werden historische Fakten von rechten Akteuren in Frage gestellt und verdreht. Die Webseite „Geschichte statt Mythen“ der Universität Jena und der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora macht genau darauf aufmerksam. Sie informiert über Geschichtsrevisionismus und sammelt aktuelle Versuche, Geschichte umzudeuten. Das Ergebnis sind vor allem wiederkehrende Begegnungen mit der AfD. Weil deren politische Strategie zum Ziel hat, nationalsozialistische Verbrechen zu entkriminalisieren, ist eine faktenbasierte Auseinandersetzung mit Geschichte dringend nötig.
mehr »

RSF: Mehr Schutz für Medienschaffende

Statt Anspruch auf Schutz und Schutzstatus von Menschen weiter aufzuweichen, fordert Reporter ohne Grenzen die Bundesregierung auf, unter anderem die Unterstützung von Medienschaffenden weiter auszubauen. Mit Blick auf das vergangene Jahr meldet die Organisation mehr als 700 Medienschaffende, denen sie dabei geholfen hat, sich nach Todesdrohungen, Vergeltungsmaßnahmen und vor willkürlichen Inhaftierungen in Sicherheit zu bringen. 70 Prozent der finanziellen Hilfe gingen dabei an Journalist*innen und Reporter*innen, die sich vorübergehend oder vollständig ins Exil begeben mussten.
mehr »

Schon entdeckt? informationsstelle lateinamerika

Von 1973 bis 1975 beschäftigte sich das „Zweite Internationale Russell-Tribunal“ in Brüssel und Rom mit der Verletzung der Menschenrechte in Lateinamerika. Schnell wurde die Mitverantwortung deutscher Unternehmen und der Bundesregierung, etwa durch Waffenlieferungen an die Diktaturen, für die Zustände in Lateinamerika zum Thema. Aus der deutschen Unterstützergruppe des Tribunals gründete sich im Frühjahr 1975 die ila.
mehr »

Journalismus: Beitrag zur Medienmündigkeit

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen wurde durch seine Arbeit zur Skandalforschung bekannt. In seinem Buch „Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen" geht er nun der Frage nach, wie es in Zeiten von Desinformation und Dauerablenkung gelingen kann, gemeinsam eine Welt zu erkunden, „die überhaupt erst im Miteinander-Reden und Einander-Zuhören entsteht." Im Interview beschreibt er unter anderem, welche Folgen es hat, wenn Plattformen wie X und Facebook den Faktencheck abschaffen.
mehr »