Der E-Book-Markt zieht jetzt an, denn Handys werden immer lesefreundlicher. Neue Formate und Vermarktungskonzepte für E-Books werden gesucht, doch entscheidend für den Erfolg wird zunächst das richtige Pricing sein.
Google, Amazon, Apple – das sind die großen Namen, die die Verlagsbranche derzeit massiv verunsichern: Google strebt mit der Digitalisierung aller verwaisten Werke so etwas wie eine Mondlandung an. Amazon bestimmt mit seinem E-Reader Kindle, welche E-Books gelesen werden dürfen – und legt dafür noch den Preis für die elektronischen Buchversionen fest. Und Apple droht seinen Erfolg mit seinem Online-Musikladen iTunes nun auch in der Buchbranche zu wiederholen. Mit Blick auf die darbende Musikindustrie warnte Sarah Lloyd vom britischen Verlagshaus Pan Macmillan auf der Konferenz „Tools for Change for Publishing“ in Frankfurt die Verleger davor, zu lange mit einer Digitalstrategie zu warten, „sonst ist es zu spät.“ In Deutschland ist es nun der Buchkonzern Random, der alle Bücher parallel auch als E-Book auf den Markt bringt und dafür den gesamten Produktionsprozess umgestellt hat. Auch Holtzbrinck fängt jetzt damit an.
Die Zeichen für den E-Book-Markt sind derzeit ermutigend: In Deutschland erscheinen laut dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels bereits 37 Prozent aller Neuerscheinungen entweder ausschließlich oder zusätzlich als E-Book. Insbesondere im Bereich der Fachbücher sind es sogar bereits 51 Prozent. Von den Backlist-Titeln liegen bereits 22 Prozent als E-Book vor. Dennoch steckt der E-Buchmarkt noch in den Kinderschuhen, meint O’Reilly-Manager Andrew Savikas: „E-Books dürfen nicht nur wie Printbücher sein. Wir müssen sie webfreundlich machen. Handys haben Ohren, Augen, einen Kompass und eine Web-Verbindung. Damit ergeben sich zahlreiche neue Möglichkeiten.“ Ein Beispiel für eine gelungene E-Book-Umsetzung präsentierte Savikas mit dem „iBird Explorer Pro“, einem elektronischen Vogelführer, der am Smartphone einzelne Vogelrufe abspielen und so direkt vor Ort bei der Identifizierung helfen kann. Eine andere Möglichkeit besteht darin, ein Buch öffentlich zu schreiben. Die Autoren von „Real World Haskell“ schrieben im Web – und luden die Leser ein, zu kommentieren. Sie erhielten während des Schreibens 7.500 Kommentare, 2.000 seit der Veröffentlichung. Das Werk wurde zu O’Reillys Besteller im letzten Jahr.
Handy-Experimente
Die Branche zeigte sich auf der Frankfurter Buchmesse jedenfalls optimistisch – weniger angesichts der wachsenden Zahl von elektronischen Lesegeräten wie Amazons Kindle, Sonys E-Reader oder dem neuen E-Reader der Berliner Firma txtr, sondern eher angesichts der immer größer und besser auflösenden Bildschirme von Smartphones. Allein für das iPhone mit seinem großen Display gibt es bereits sehr viele Anwendungen für das mobile Lesen, weiß Neelan Choksi von Lexcycle – eine 3-Personen-Firma, die für das iPhone die beliebte Lesesoftware Stanza entwickelt hat und die von Amazon dieses Jahr übernommen wurde. Bereits über 115.000 Bücher sind für das iPhone verfügbar, die Hälfte davon kostenlos. Auf Handy-Leser setzt auch das österreichische Unternehmen Blackbetty, das in Kooperation mit Vodafone mit 50 Bezahltiteln auf der Plattform „Vodafone Life“ durchstarten will. Der Autor Wolfgang Hohlbein wird für den Start wöchentlich mit einem Autorenteam neue und aktuelle Folgen für seine Fantasy-Serie Wyrm schreiben – kostenlos für Leser wie Anbieter – für alle Beteiligten ein Experiment.
Aus der Experimentierphase ist der chinesische E-Book-Anbieter Shanda Literature längst herausgewachsen. Auf der Buchmesse präsentierte Geschäftsführer Hou Xiaoqiang beeindruckende zahlen: 800.000 Autoren sind für die vier Websites von Shanda aktiv. 10.000 Autoren wurden bereits unter Vertrag genommen. 2008 setzte das Unternehmen bereits 10 Mio. Euro um, ein Zehnfaches des Vorjahres. Abgerechnet werden die gelesenen Seiten über ein Mobile-Payment-System, da die Leser die Bücher auf ihrem Handy lesen. Dabei dürfen sie die erste Hälfte eines Buchs kostenlos lesen, danach kostet jede Seite mit 1.000 Zeichen 2 bis 3 Cent. Je nach Vertrag erhält ein Autor 20 bis 50 Prozent. In Deutschland will die E-Book-Plattform BookRix Anfang 2010 mit einem ganz ähnlichen Konzept an den Start gehen. Gleichwohl sind es hier erst einmal nicht die Leser, die bezahlen, sondern die Autoren: Sie erhalten über ein Service-Paket von voraussichtlich rund 40 Euro nicht nur ein E-Book samt ISBN-Nummer, sondern auch die Möglichkeit, das Buch über Book-on-Demand als Printversion verkaufen zu können. Ob BookRix sich durchsetzen wird, wird nicht zuletzt auch an Shanda liegen. Shanda Literature kündigte auf der Buchmesse an, rasch nach Europa und in die USA expandieren zu wollen.
Wesentlich für die Kundenakzeptanz dürfte die Preisgestaltung sein. In den USA kosten E-Books durchschnittlich 10 $, da Amazon keine höheren Preise akzeptiert. Der Online-Buchhändler ist nach einer Analyse des US-Buchmarkts davon überzeugt, dass die Schmerzgrenze bei genau 9,99$ liegt. Im Paperback-Bereich zahlen die Käufer durchschnittlich 14,15$. Tomblyn: „Worin besteht dieser Preisunterschied? Natürlich aus dem, was dem Leser fehlt.“ Tomblyn meint, dass Verleger mit etwas Entschlossenheit alle Unterschiede in den Griff bekommen können: Zum einen haben E-Books eine andere Ästhetik als Bücher. Die Verleger müssten also ihre E-Books etwas schöner und nutzerfreundlicher gestalten als bisher. Zum anderen sollten sie keine E-Book-Dateiformate wie .mobi, .lrx, .azw, lit oder .djvu unterstützen, die längst tot sind, weil die sie entwickelnden Unternehmen sie nicht mehr unterstützen. Die Dateiformate sollten geräteneutral sein und über so etwas wie eine lebenslange Garantie verfügen. Noch ist hier keine Lösung gefunden, als besten Kompromiss bezeichnet Tombly daher das PDF-Format, das inzwischen auch zum offenen ISO-Standard geworden ist.
Tomblyn empfiehlt außerdem das Bundling aufzugeben: Bücher sollten nicht nur „am Stück“, sondern auch nur kapitelweise verfügbar sein. E-Books sollten schließlich verleihbar sein. Mit Digital-Rights-Management-Systemen wäre das umsetzbar, „man muss es nur wollen“, meint Tomblyn, der im „Leihen den Brennstoff für das Geschäft“ sieht. Bücher, die beispielsweise über die Vodafone-Life-Plattform verfügbar sind, sind nicht weiter verleihbar – obwohl sie teilweise denselben Preis wie die Printversion haben. Alle Bücher bleiben auf dem Handy, da der Rechteerwerb mit der Gerätenummer des Handys verknüpft wird.
Dass noch längst nicht alle Konzepte für das Digital-Rights-Management (DRM) gefunden sind, zeigt das Projekt Paperight.com des südafrikanischen Internetexperten Arthur Attwell. Er hat ein neues Print-on-Demand-Konzept entwickelt, das lokale Copyshops in dezentrale Print-on-Demand-Shops umwandelt. Studenten können etwa ihre Textbooks in einem Kopierladen ihrer Wahl drucken lassen, wobei über Paperight die Rechte an den Texten mit den Verlagen bereits abgeklärt sind. Sie entscheiden auch, wie viele Kapitel sie von einem Buch ausdrucken möchten. Der Kopiershop stellt damit nicht wie bisher eine nach dem Urheberrecht illegale Kopie her, sondern verkauft eine lizenzrechtlich abgeklärte Papierkopie. Teile der Einnahmen fließen an den jeweiligen Verlag zurück. Attwell: „Piraterie lässt sich managen. Es ist nur eine Frage des Geschäftsmodells.“ Er will damit um 25 Prozent billiger sein als die Verleger – den Verlegern aber dennoch ihren üblichen Anteil zukommen lassen. Ein erster Pilot startet in diesem Jahr in Capetown. Besonders groß ist das Interesse seitens Schulen und Universitäten.
Umsatzsteigerungen
Wie wichtig die richtige Preisgestaltung ist, zeigt sich am Beispiel des amerikanischen Computerbuch-Verlegers O’Reilly. Er reduziert seine Digital-Bücher teilweise um 80 Prozent – und erzielt trotzdem Umsatzzuwächse. Eine Kannibalisierung scheint es nicht zu geben: Vor 18 Monaten verzeichnete der O’Reilly-Verlag eine klare Wende: Seither verkauft er mehr E-Books als Printtitel, inzwischen verzeichnet er im E-Book-Bereich sogar einen doppelt so hohen Umsatz wie im Printbereich – bei Umsatzsteigerungen von über 50 Prozent. Das richtige Pricing wird letztlich auch über den Erfolg des neuesten E-Book-Projekt von Google entscheiden. Auf der Buchmesse kündigte der Suchmaschinenkonzern das Projekt „Google Edition“ an, das 2010 an den Start gehen und über etwa 500.000 Titel verfügen soll. Die Verleger schließen mit Google einen Vertrag ab. Ob sie ihre Bücher für den Download per DRM schützen, entscheiden sie selbst. Sie legen auch selbst die Preise fest, auf denen die Beteiligung von Google basiert: Google soll 37 Prozent des Umsatzes erhalten, dafür, dass es die Bücher im Netz leicht auffindbar macht. Google will die Plattform so gestalten, dass die Bücher von den Lesern auch öffentlich kommentiert werden können.