Rappeln im Kulturkarton

NDR auf der Suche nach der Mehrheit in der Minderheit

Der NDR, laut Eigenwerbung „Das Beste am Norden“, macht es seinen Hörern zwischen Flensburg und Göttingen und seinen Hörerinnen zwischen Emden und Usedom nicht gerade leicht. Denn glaubt man dem Sender, so gibt es nur eine Überlebenschance zwischen Nord- und Ostsee. Es muß das seichte Boulevard-Unterhaltungsprogramm gehört werden: „NDR II und das Leben beginnt“.

Was aber ist mit den NDR-Regionalprogrammen aus Kiel, Hannover, Schwerin und Hamburg? Ist das alles verwelkt, verdorrt, dem Tode geweiht? Und dann ist da auch noch das kleine Spartenprogramm „NDR Kultur“. Das ist zwar auch „das Beste am Norden“, aber nicht das beginnende Leben. Immerhin hat auch die kleine Nische eine Eigenwerbung: „Kultur hat ein Programm – NDR Kultur – Der Klassiker“. Doch seit ein paar Monaten rappelt es ganz kräftig im klassischen Kulturkarton. Hörer mucken auf, mäkeln rum und wollen mitbestimmen. Es tobt ein Kampf zwischen Fundis und Realos.

Angefangen hat das Drama mit mangelnder Quote. Es folgte der neidvolle Vergleich der Öffentlich-rechtlichen mit ihren kommerziellen Konkurrenten, dem „Klassikradio“, das mit seinen wohlgefälligen Musikhäppchen im Norden den besseren Schnitt macht. Also mußte eine obligatorische Media-Analyse her und in Folge der zwingende Relaunch.

Das aus Sicht des NDR eher altbackene Klassikprogramm „Radio 3“ wurde analysiert, umgekrempelt und aufgepeppt. Aus „Radio 3“ wurde „NDR Kultur“, das mit „dem neuen Programmangebot“, so NDR-Programmdirektor Gernot Romann, „einzig und allein die Integration der vielschichtigen Klientel der klassik- und kulturinteressierten Radiohörer“ verfolgt. Die neue Zielgruppe: „Leute unter fünfzig, die berufstätig sind, mobil, kulturinteressiert nicht im engen Sinne.“ Bedient werden soll in dem reformierten Spartenprogramm die „Mehrheit in der Minderheit“. Darin aber sieht der altgediente „Radio 3“-Hörer und neue „NDR Kultur“-Kritiker Theodor Clostermann „eine Verflachung des Programms“, bei dem „die alte und klassische Musik anscheinend einem auf Show ausgerichteten Kulturbetrieb untergeordnet wird“. Akribisch untersuchte der Hamburger Gymnasiallehrer die neue Struktur, führte Strichlisten und entdeckte den Trend zu kurzen, gängigen Stücken. Aus dem einstmals renomierten Programm sei ein berieselndes „Hitradio“ mit populären Titeln und heiteren Werkfragmenten aus dem Genre „The best of“ geworden: Clostermann fordert ein zurück zum „Mehr“. Mindestens einmal am Tag solle wieder ein ganzes Werk für vier Stunden zu hören sein, egal ob vollständige Symphonie oder komplette Oper. Die Forderungen fanden Anklang, zumindest bei einer beachtlichen Zahl von NDR-Hörern. Eine Initiative „Das GANZE Werk“ kann mittlerweile 570 Mitglieder und 1360 unterstützende Personen vorweisen.

Eine Zahl, die vom NDR nicht nur angezweifelt wird, sondern auch in einen Gesamt-Hörer-Rahmen gestellt wird. Programmdirektor Gernot Romann: „Dem Initiativkreis gehören nach unserer Erkenntnis rund 100 Mitglieder an, NDR Kultur wird täglich von mehr als 240.000 Menschen eingeschaltet.“ Das sei ein „Beweis, dass ihnen das Programm gefällt“.

Und daher wehre sich die Programmdirektion vehement gegen „die Geschmackspolizisten“ und „selbsternannten Kultur-Ajatollahs“. Eine am 6. Oktober gestartete Postkartenaktion der Initiative an den NDR sieht Romann gelassen entgegen: „Zuschriften unserer Hörer nehmen wir ernst. Für organisierte Kampagnen gilt das bedingt.“

Differenzierter und diplomatischer sieht es hingegen Dr. Karl-Heinz Kutz, Vorsitzender des zuständigen NDR-Rundfunkrates: „Wir wollen und müssen ein Programm machen, das den Bürgern gefällt, niemanden ausgrenzt und attraktiv ist. Kultur ist ein Begriff, den man sehr eng und sehr weit fassen kann. Kultur ist mehr als Musik. Aber ich schätze es sehr, wenn Hörer sich mit Herzblut am Programm des NDR beteiligen.“ Daher werde sich der Programmausschuß auf seiner nächsten Sitzung im kommenden Januar auch „mit der Entwicklung bei ‚NDR Kultur‘ erneut beschäftigen. Wir sind bedacht, auf Qualität zu kucken“.

Das Rennen ist also offen. Doch die Erfahrung lehrt, dass bei solchen Auseinandersetzungen letztendlich die Zuhörerzahlen und die Quote den Ausschlag geben. Bleibt eigentlich nur die eine Frage: Wer sind hier eigentlich die Fundis und wer die Realos?

 


links:

www.ndr-kultur.de
www.dasganzewerk.de


nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »

AfD als Social Media Partei überschätzt

Eng vernetzt mit dem extrem- und neurechten Vorfeld und gezielt provozierend mit rassistischem Content: Die Landtagswahlkämpfe der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg waren von einer hohen Mobilisierung geprägt, auch über die sozialen Medien. Eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) in Frankfurt am Main zeigt nun aber: die Auftritte der AfD auf Social Media sind weit weniger professionell als zuletzt häufig kolportiert und es gibt deutliche regionale Unterschiede.
mehr »