Hängepartie beendet – Fusionsfrage offen

Als ob die sinkende Anzahl von Zeitschriften Verleger*innen nicht genug zu schaffen macht: inzwischen mischen die Tech-Plattformen auch die digitalen Produkte auf. Foto: picture alliance/dpa | Rolf Vennenbernd

Die deutschen Zeitschriftenverleger sehen die Branche in einer dramatischen Krise. „Wenn die aktuelle Entwicklung so weitergeht, sind bis 2024 über 2.000 Titel gefährdet“, warnte Philipp Welte, Vorstandssprecher des unlängst neu gegründeten Medienverbands der freien Presse (MVFP) am 26. April auf der Jahrespressekonferenz. Die eigenen Prognosen eher düster, blieb das Verhältnis zum Zeitungsverlegerverband vage gehalten. Coronabedingt wurde die Konferenz aus dem Web-TV-Studio der Bundespressekonferenz übertragen.

Der neue MVFP vertritt die medienpolitischen Interessen von mehr als 400 deutschen Zeitschriftenverlagen und übernahm am 1. April die Funktion des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Zugleich repräsentiert er mehr als 7.000 Zeitschriften- und Medienangebote der beteiligten Verlage. Seit einiger Zeit gibt es interne Auseinandersetzungen über eine mögliche Fusion mit dem Schwesterverband der Zeitungsverleger.

„Aufbruch in eine neue Ära“ – unter dieser programmatisch optimistischen Losung hatte der MVFP Anfang März seine Arbeit aufgenommen. Die Vorzeichen stehen nicht günstig, beginnt die neue Ära doch im Zeichen von Corona und Ukraine-Krieg. Entsprechend düster das von Welte beschriebene Szenario: „Dramatisch steigende Energie- und Papierpreise um bis zu 150 Prozent“ und „kontinuierlich steigende Vertriebskosten“ belasteten die Verlage. Die Käufer*innen würden „durch Kriegsangst und die steigende Inflation stark verunsichert“.

Der Politik fehle es offenbar am Verständnis dafür, „wie zentral eine freie Presse für die Stabilität einer Demokratie, für die Vielfalt einer pluralistischen Gesellschaft ist“, monierte Welte. Er erinnerte an die im Koalitionsvertrag der Ampelparteien gegebene Verpflichtung, „die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen zu gewährleisten“.

Zersplitterung beendet

Mit der Gründung des MVFP endete eine jahrelange Hängepartie mit juristischen Scharmützeln, die die Arbeitsfähigkeit des Verbands massiv beeinträchtigt hatten. Um den Widerstand des reformresistenten Landesverbands Berlin-Brandenburg auszuhebeln, hatten die vier reformwilligen Landesverbände Südwest, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Nord sowie die drei Fachverbände (Publikumsmagazin, Fach- und konfessionelle Presse) sich auf eine Neugründung unter neuem Namen geeinigt. Mit dieser Strukturreform wünscht man die als ineffizient angesehene bisherige Zersplitterung zu beenden, um als einheitliche und starke Lobby in Berlin und Brüssel für Verlegerinteressen einzutreten.

Dafür stehen die Zeichen nicht schlecht. Schließlich sind auch die Hamburger Großverlage Bauer, Gruner+Jahr, Spiegel und Zeit wieder an Bord. Die drei letzteren waren 2016 ausgetreten, da sie sich bei der Inthronisierung des damaligen Präsidenten Stephan Holthoff-Pförtner – er wechselte kurz danach als Europa-Minister in die nordrhein-westfälische CDU/FDP-Landesregierung – übergangen gefühlt hatten.

Erster Präsident des MVFP ist Rudolf Thiemann, der schon seit 2017 den Posten des VDZ-Präsidenten innehatte. Interessanter erscheint die Personalie der einzigen Frau im neugewählten achtköpfigen Präsidium: Bianca Pohlmann kommt von der Essener Funke-Gruppe, die bislang in der VDZ-Spitze nicht vertreten war. Funke gibt neben Zeitschriften auch Zeitungen heraus und war bis Anfang März auch Mitglied im Bundesverband Deutscher Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV). Die Gruppe drängte in der Vergangenheit auf mehr Effizienz und Schlagkraft bei der Interessenvertretung der Verleger – bis hin zu einer Fusion beider Verbände.

Fusion erleichert?

Praktischerweise würde der vergleichsweise allgemein gehaltene Name „Medienverband der freien Presse“ die künftige Integration sowohl von Zeitungs- als auch von Zeitschriftenverlagen in einem Verband erleichtern. Nach einer Fusion beider Verbände sieht es aber derzeit nicht gerade aus. Denn auch der BDZV war in jüngster Zeit vorwiegend mit sich selbst beschäftigt. Das liegt vor allem an seinem umstrittenen Präsidenten Mathias Döpfner, in Personalunion auch Vorstandchef des Axel Springer Verlags. Seine Position als oberster BDZV-Lobbyist wird diskutiert, seitdem eine private Textnachricht die Runde machte, in der er das Gros deutscher Journalist*innen als „Propaganda-Assistenten“ diffamierte. Später hatte er diese Äußerung relativiert und sich entschuldigt, worauf das BDZV-Präsidium den Kasus für erledigt erklärte.

Anfang 2022 flammte die Debatte über die Rolle Döpfners erneut auf. Anlass waren Enthüllungen der „Financial Times“, wonach der Springer-Boss frühzeitig von Vorwürfen gegen den erst im Oktober 2021 gefeuerten „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt gewusst hatte. Nachdem sich herausstellte, dass Döpfner sogar versucht hatte, entsprechende Ermittlungsergebnisse aktiv von der Öffentlichkeit fernzuhalten, reichte es einigen seiner Kolleg*innen im BDZV-Präsidium. Mitte 2022 trat zunächst Vizepräsident und Madsack-Chef Thomas Düffert von seinem Amt zurück. Den Ausschlag gab wohl der lauwarme Umgang der BDZV-Delegiertenversammlung mit den Vorwürfen gegen Döpfner.

Der Konflikt eskalierte, nachdem die Funke-Gruppe offen den Rücktritt Döpfners gefordert hatte. Seine Äußerungen und sein Verhalten seien „dem Amt eines BDZV-Präsidenten nicht angemessen“, die Wirkung auf Journalist*innen und Öffentlichkeit „fatal“, so eine Stellungnahme des Unternehmens gegenüber dem „Spiegel“. Und: „Um den Verband und die Branche, die er vertritt, zu schützen, halten wir nach wie vor eine Neuaufstellung der ehrenamtlichen Strukturen für unerlässlich.“

Prinzip der Unteilbarkeit

Doch erneut stellte sich die BDZV-Spitze hinter Döpfner. Zwecks Einhegung des Konflikts bot der Verband Funke-Verlegerin Julia Becker den durch Düfferts Rücktritt vakanten Posten im Präsidium an. Was diese „dankend“ ablehnte. Stattdessen kündigte die Essener Mediengruppe ihre Mitgliedschaft im Verband, fristgerecht zum 30. Juni. Für den BDZV ein schmerzlicher Verlust, ist doch Funke als einer der wichtigsten Zeitungsverlage auch einer der größten Beitragszahler.

Hat der Vorschlag einer Fusion beider Verbände unter diesen Bedingungen eine Chance? Auf diese Frage druckste MVFP-Vorstandssprecher Philipp Welte auf der Jahres-PK ein wenig herum. Der entsprechende Vorstoß von Funke-Verlegerin Julia Becker und Funke Geschäftsführer Christoph Rüth sei ja wohl seinerzeit an den BDZV gerichtet gewesen, wich er aus. Gegenüber Funke und dem BDZV habe man aber – noch als VDZ – auf den „Grundsatz der Unteilbarkeit der Presse“ verwiesen. Von daher sei eine enge Zusammenarbeit der beiden Verbände in der politischen Interessenvertretung „vollkommen logisch“. Gespräche über „kooperieren und kollaborieren“ habe es gegeben, aber – so Welte – „dafür muss man nicht unbedingt sofort fusionieren“.

 

 

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