Wo der Journalismus an sein Limit stößt

Erstmals digital - die Münchner Medientage 2020 Foto: picture alliance/Lino Mirgeler

„This is Media Now“ unter diesem Motto liefern die Münchner Medientage vom 24. bis 30. Oktober eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation der Branche – aufgrund von Corona erstmals auf einem digitalen Kongress. Eine Woche lang debattieren neben Vertretern klassischer Massenmedien auch neue Akteure wie YouTuber, Tik Tok-Kreative, Influencer und Podcaster über Markt- und Medientrends.

Den „Mediengipfel“ am 26. Oktober eröffnete Wolfgang Blau, scheidender Auslandschef von Condé Nast und Ex-Chefredakteur von Zeit online. Die Autorität der etablierten Medien hat gelitten. Zwei von drei Menschen beziehen mittlerweile ihre Nachrichten aus sozialen Medien wie Facebook & Co. In der Vergangenheit, so Blau, habe die medienpolitische Auseinandersetzung vor allem um drei Probleme gekreist: die Finanzierung des Mediensystems, die neue Rolle und Verantwortung der US-amerikanischen und chinesischen Online-Plattformen sowie die wirtschaftliche Dominanz dieser Akteure. „Jetzt aber stößt der Journalismus selbst an Limits, sogar da, wo er noch über eine ausreichende Finanzierung verfügt“, konstatierte Blau.

Beispielhaft lasse sich dies in den USA beobachten, wo vier Jahre nach Trumps Wahlsieg die Öffentlichkeit komplett gespalten sei. Zwei Drittel der republikanischen Wähler vertrauten vor allem Fox News, während für das Lager der Demokraten immerhin noch fünf Medien relevant seien, denen zumindest ein Drittel der Befragten vertraue. Eine gemeinsame Öffentlichkeit sei hier bereits eine Fiktion. Dies stehe durchaus im Einklang mit der „Medienzerstörungsstrategie“, die der ehemalige Trump-Berater Steve Bannon so formuliert habe: „Die Demokraten sind egal. Die eigentliche Opposition sind die Medien. Und der beste Weg, mit ihnen fertig zu werden, besteht darin, den gesamten Mediensektor mit Dreck zu überfluten.“ Hinter dieser bewussten Attacke auf die Medien stecke die Absicht, die traditionellen Werte zu zerstören. Am Ende zähle nicht mehr die Wahrheit, sondern nur noch die Macht.

Vor diesem Hintergrund greife der berufsethische Ansatz der meisten Journalist*innen, in erster Linie wahr, umfassend und korrekt zu berichten, zu kurz. Denn der Journalismus brauche eine funktionierende Öffentlichkeit als „Resonanzraum“. Sein Anspruch müsse daher sein, sich auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu engagieren. Gegen Brexit-Lügen und Corona-Leugner komme ein Journalismus, der allein auf Factchecking basiere, auf die Dauer nicht an. Nötig sei vielmehr auch der Erwerb und Einsatz eines „Grundwissens über Psychologie und Hirnforschung“. Das „wütende Leugnen der Klimakrise ist oftmals eine Angstreaktion“ verunsicherter Menschen, der mit noch so investigativer Recherche nicht beizukommen sei.

Alle Praktiker müssten sich die Frage stellen, ob es in der aktuell zugespitzten Situation noch verantwortbar sei, ausschließlich an nachweislich wirkungslosen journalistischen Formaten festzuhalten. Das Jahr 2021 werde die Medien vor zwei zentrale Bewährungen stellen:  Die Covid-19-Krise und die Klimakrise. Blau‘s Plädoyer: „Es geht darum, den Journalismus nicht nur an seiner Fähigkeit zur Wahrheitsfindung zu messen, sondern auch an der Fähigkeit, die Journalismusverweigerer zu erreichen.“

Beim Panel „Mit Post-Pandemie-Power zu neuer Blüte?“ diskutierte Moderatorin Dunya Hayali mit Manager*innen öffentlich-rechtlicher und privater Sender über ihre Strategien während und nach Corona. Angelika Cifford, Vice President Central Europa von Facebook, bekannte sich zur „großen Verantwortung“ ihrer Plattform, „Hate Speech und Falschmeldungen zu unterbinden“. Angesichts der zunehmenden Vernetzung von „Antidemokraten und Verschwörungsschwurblern“, hegt Hayali Zweifel, ob Facebook mit seinen 3,1 Milliarden Nutzern dieser Verantwortung tatsächlich gerecht werde. Cifford verwies indes auf Fortschritte: Noch 2017 habe man erst 25 Prozent der Hassreden auf der Plattform eliminiert. 2020 sei es gelungen, diesen Wert auf 95 Prozent zu steigern, mithilfe von 35.000 Beschäftigten, die sich ausschließlich dieser Aufgabe widmeten.  Man sei auf einem „guten Wege“, aber die Plattform sei nun mal ein „Spiegel der Gesellschaft“.

Für Wolfgang Link, Vorstandsmitglied und Geschäftsführer der ProSiebenSat.1-Tochter SevenOne Entertainment, kommt es darauf an, neue Inhalte für neue Distributionskanäle zur schaffen. Mit Joyn habe man im Verbund mit Discovery eine eigene Streaming-Plattform geschaffen, die bereits mehr als sieben Millionen Nutzer monatlich zähle.

„Wir hatten nie die Absicht, Hollywood zu kopieren“, bemerkte ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler zur wachsenden Konkurrenz von Streaming-Plattformen wie Netflix, Amazon und Disney. Die US-Player böten hauptsächlich Entertainment, während das Zweite mit Information, Dokus, Sport und Fiktion aufwarte. Nur bei der Unterhaltung stehe man im Wettbewerb miteinander. Für einen öffentlich-rechtlichen Sender wie das ZDF komme es auf die Kombination von intelligenter Programmpolitik und Wertevermittlung an.

Thomas Hinrichs, Programmdirektor Information des Bayerischen Rundfunks (BR) bekräftige den Anspruch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, angesichts der Vernetzung rechtsradikaler Gruppen „als Lotse“ im Netz tätig zu sein. Sowohl Hinrichs wie Himmler zeigten sich überzeugt von der Notwendigkeit der anstehenden Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Angesichts wachsender Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei diese moderate Anhebung „überfällig“.

 

 

 

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