Die Antwort der NRW-Landesregierung auf eine Große Anfrage der SPD zur Situation auf dem Zeitungsmarkt 2019 in NRW bestätigt, was man erwarten durfte: Dass die Auflagen der Tageszeitungen in Nordrhein-Westfalen weiter gesunken sind. Das Regierungspapier enthält aber auch überraschende Thesen. Etwa die, dass die lokale Medienvielfalt seit 2016 nicht weiter ausgedünnt wurde – allen redaktionellen Kooperationen zum Trotz? Für Diskussionsstoff an Rhein und Ruhr ist gesorgt.
Die Große Anfrage der Fraktion der SPD an die Landesregierung zur Situation des Zeitungsmarktes in NRW hat schon Tradition. Erstmalig wurde eine solche 2003 gestellt, damals regierte die SPD noch unumstritten an Rhein und Ruhr. 2019 erfolgte sie zum sechsten Mal. Die SPD bildet jetzt Opposition, regiert wird in Düsseldorf von Schwarz-Gelb. Mit Stephan Holthoff-Pförtner sitzt ein Eigentümer der Funke Mediengruppe als Minister im Kabinett Laschet.
Der SPD-Fragenkatalog wurde im Laufe der Jahre modifiziert und ergänzt. Die Autoren, die ihn für die Landesregierung beantwortet haben – sie bleiben anonym – mögen gewechselt haben. Unterm Strich bleibt eines: Wer sich durch die aktuell mehr als 320 Seiten mit Statistiken, Auflistungen, Literaturhinweisen und Quellenverzeichnis durchgearbeitet hat, weiß deutlich mehr über den Zeitungsmarkt in NRW und die Veränderungen, die sich seit der letzten Antwort 2016 vollzogen haben. Die Studie, die in anderen Bundesländern bisher keine Nachahmer gefunden hat, ist ein Datenschatz, der seinesgleichen sucht.
Lokalpresse als Auslaufmodell
Der schwer verdaulichste Befund steht gleich am Beginn und lautet so: Die Zeitungslandschaft in Nordrhein-Westfalen hat sich in den letzten fünf Jahren spürbar verändert. Die Auflagenzahlen sinken weiter – minus 11 Prozent–, der Abwärtstrend trifft speziell die Lokalpresse, sie gilt als Auslaufmodell.
Da mag ein anderer Trend kaum beruhigen: In puncto lokaler Medienvielfalt, so wollen es die Verfasser glauben machen, habe sich kaum etwas zum Negativen verändert. Die bis 2015 auffällige Ausdünnung der lokalen Medienvielfalt in NRW habe sich nicht fortgesetzt, Marktaustritte sein seitdem nicht mehr zu beobachten.
Dieser Befund wird allerdings konterkarikiert durch die Frage nach redaktionellen Kooperationen, bei denen eine Redaktion Inhalte für zwei Lokalteile liefert, wie das etwa in Münster bei den „Westfälischen Nachrichten“ und der „Münsterschen Zeitung“ seit November 2014 der Fall ist. Gab es früher nur innerhalb von Verlagsgruppen den Austausch von Zeitungsmänteln, werden diese Übernahmen auch außerhalb von Verlagsgruppen nun immer häufiger. Teilweise erfolgten Übernahmen von Fremdinhalten mit einer derartigen Intensität, dass die übernehmende Zeitung ihren Stellenwert als vollwertiger Titel verliert, heißt es. Die Liste der Übernahmen und Kooperationen füllt mehrere Seiten. Zu einem weiteren gewerkschaftlich relevanten Thema, dem Outsourcing von redaktionellen Leistungen, liefert die Landesregierung kein eigenes Material. Zitiert werden hauptsächlich gewerkschaftliche Quellen.
Ganz ähnlich wird bei der Frage nach der Bezahlung von freien Mitarbeitern nach den gemeinsamen Vergütungsregeln für Freie an Tageszeitungen verfahren. Diese waren – das wird zutreffend referiert – weitgehend ohne praktische Relevanz, selbst als sie von den Zeitungsverlegern noch nicht gekündigt worden waren. Zum aktuellen Sachstand, besser Stillstand, wird darauf verwiesen, dass die Verleger neue Verhandlungen mit einem Hinweis auf angeblich ungeklärte Rechtsfragen verweigern, obwohl sie durch eine neue EU-Richtlinie zu Vereinbarungen über eine angemessene Vergütung verpflichtet wären.
Anzeigenblätter nicht zu vergessen
Auf der Habenseite lässt sich verbuchen, dass erstmalig ein umfassender Überblick über den Markt der Anzeigenblätter in NRW geliefert wird. Ein Zeitungstyp, der oft unterschätzt oder gleich ganz vergessen wird. 149 Verlage in Deutschland geben Anzeigenblätter heraus, das in NRW verbreitete Portfolio umfasst 388 Titel, die in 685 unterschiedlichen Lokalausgaben erscheinen. Erreicht wird eine Gesamtauflage von rund 18,9 Mio verteilten Exemplaren.
Positiv ist außerdem festzuhalten, dass verlagsunabhängige lokale Blogs und Internetportale mit in den Blick genommen wurden. Sie seien häufig schon jetzt publizistisch ausgesprochen erfolgreich, ohne bislang ein wirtschaftlich tragfähiges Geschäftsmodell entwickeln zu können, so das Fazit.
Eine Fortschreibung der Studie wäre ebenso wünschenswert wie eine präzisere Arbeitsweise im Detail. So ist in der aktuellen Antwort beispielsweise für das Jahr 2017 von 16 gekündigten Redakteuren bei DuMont die Rede, nachdem die Berliner Redaktionsgesellschaft aufgelöst wurde. Das ist nur die halbe Wahrheit, da ein Teil von ihnen später vom Redaktionsnetzwerk Deutschland übernommen wurde. Weitere Ungenauigkeiten: Die Passage über die „Ruhrnachrichten“ (RN) beginnt mit einer Dublette zur 2017 entstandenen Gemeinschaftsredaktion mit dem „Hellweger Anzeiger“. Die Lokalteile in Lünen und Schwerte, die die „Ruhrnachrichten“ laut Studie seit 2013 für die „Westfälische Rundschau“ (Funke Mediengruppe) produziert haben, sind längst eingestellt worden. Dafür fehlen in der Auflistung Lokalteile, die die „Ruhrnachrichten“ Funke tatsächlich noch zuliefern, nämlich die für die WAZ und die „Westfälische Rundschau“ in Dortmund und die WAZ in Castrop-Rauxel. Eine solche Mängelliste ließe sich für die Jahre 2018 und 2019 verlängern. Schade.