Schon entdeckt? Alexander v. Humboldt
Engagierte Medien abseits des Mainstreams gibt es zunehmend mehr. Sie sind hochinteressant, aber oft wenig bekannt. Deshalb stellt M in jeder gedruckten Ausgabe und auf M Online einige davon vor.
Die Features, ins Akustische gesetzt von Hans Sarkowicz, werden derzeit im HR ausgestrahlt, dort kann man sie anhören und auch als Podcast herunterladen. Die Reihe ist zudem erschienen in einer CD-Ausgabe – wunderbar ausgeruhte Hörstücke, wie gemacht dafür, an einem Urlaubstag mit Knopf im Ohr reinzuhören. Ulrich Noethen spricht die Texte des Alexander von Humboldt und allein das ist ein Hörvergnügen.
Die Feature-Reihe schreitet einen Themenkreis ab. Beginnt mit einem biographischen Überblick über das Leben des Gelehrten, erzählt dann seine großen Expeditionen nach Südamerika (1799-1804) an Hand von Originaltexten und Erörterungen von Humboldt-Spezialisten wie Oliver Lubrich. Sie zeichnet sein Bild als Ethnograph, als Geologe und Geograph, als Biologe und Botaniker und als Klimaforscher. Alexander von Humboldt dachte, so würden wir heute sagen, multidisziplinär, er erforschte auch fremde Kulturen und fremde Sprachen.
Die Autoren achten auch auf den politischen Kopf und den Publizisten. Alexander von Humboldt war Anhänger der französischen Revolution und ein Kopf der Aufklärung. Als 1848 in Deutschland die Revolution niedergeschlagen wurde, nahm er an der Beerdigung der Revolutionäre teil. Zu Sklaverei und Kolonialismus äußerte er sich eindeutig, wenngleich weniger in seinen offiziellen Schriften als in seinen Tagebüchern. Er war bei seinen Reisen im Auftrag der Spanischen Krone unterwegs, später in Russland im Auftrag des Zaren. Beide erwarteten von ihm Erkenntnisse über die Ausbeutung von Bodenschätzen. Seine politischen Statements waren da oft Kompromisse.
Alexander von Humboldt war natürlich auch Kind seiner Zeit. Er stand als Kammerherr in Diensten des Preußischen Königs. Er war Adeliger und gewohnt, bedient zu werden. Mit seinem Gehrock im Regenwald des Amazonas muss er ein seltsames Bild abgegeben haben. Er dürfte die Einheimischen, die auf seinen Expeditionen sein Gepäck und seine Messinstrumente trugen, nicht geschont haben. Das Hörstück schildert auch ausführlich in einer Episode, wie er Gräber öffnen ließ, gegen den Willen der Indios, die dort ihre Ahnen bestattet hatten: das würde man heute einen Grabraub nennen.
In der öffentlichen Wahrnehmung galt sein Bruder Wilhelm von Humboldt, der Aufklärer und Sprachgelehrte, meist als der Bedeutendere, Alexander dagegen als der Abenteurer. Dass er jetzt aktueller wird, ist auch eine Folge des Zeitgeists. Heute kann man ihn lesen als einen Vorläufer ökologischen Denkens. Einer seiner Schlüsselsätze lautete: „Alles ist Wechselwirkung“. Er untersuchte die Folgen menschlicher Eingriffe in die Natur, beobachtete Klimaveränderungen. Er sah die Tier- und Pflanzenarten in ihren natürlichen und kulturellen Kontexten und war damit ein Wegbereiter von Charles Darwin.
Und heute? Man kann ihn sich als Zeitgenossen durchaus vorstellen, wie er als wissenschaftlicher Berater der Bewegung Friday for future zuarbeitet, seine Messungen und Berechnungen zur Verfügung stellt und seine Schlussfolgerungen publiziert. Wahrscheinlich wäre er hoch angesehen bei einer Bewegung, die in Sachen Klimawandel auf die Wissenschaft hören will.
Alexander von Humboldt: Der unbekannte Kosmos. Die Sendereihe läuft in hr2-kultur seit dem 21. Juli und noch bis zum 8.9., jeweils Sonntag ab 18. Uhr. Alle Teile stehen nach der Sendung bis zum 15. September online unter www.hr2.de. Das Hörbuch ist erschienen im Hörbuch Verlag, 8 CD’s, 40 Euro.