„Der Gesetzgeber muss gegensteuern“

Trinkgelder als angemessenes Honorar?-Interview mit Wolfgang Schimmel (IG Medien) ueber das Urheberrecht in digitalen Medien

Egal ob angestellt oder frei – Journalistinnen und Fotografen, Schriftstellerinnen und Filmemacher, Musikerinnen und Kuenstler werden bei der Verwertung ihrer Urheberrechte in digitalen Medien zunehmend ueber den Tisch gezogen. Mit dem Sachverstaendigen Wolfgang Schimmel, Jurist in der Rechtsabteilung der IG Medien, sprach Ruediger Luehr fuer „M“ ueber die Positionen der Mediengewerkschaft zu diesem draengenden Problem.

? Immer mehr Zeitungen und Zeitschriften werden jahrgangsweise auf CD-ROM publiziert. Die Verleger behaupten, diese Praxis sei durch die Manteltarifvertraege gedeckt. Was sagt die IG Medien dazu?

Schimmel: Diese Behauptung ist einigermassen kuehn. Zwar erwerben die Verlage nach beiden Tarifvertraegen weitgehende Rechte. Sie duerfen die Beitraege ihrer Redakteurinnen und Redakteure „in Printmedien, Film, Rundfunk, ungeachtet der uebertragungs- und Traegertechniken“ verwerten. Doch als der Manteltarifvertrag fuer Tageszeitungen vor neun und der fuer Zeitschriften vor acht Jahren abgeschlossen wurde, war ein „Printmedium“ nach Art der heute gaengigen CD-ROM absolut unbekannt. Und nach S31 Absatz 4 Urheberrechtsgesetz koennen noch nicht bekannte Nutzungsarten nicht eingeraeumt werden. Diese Schutzregelung gilt nicht nur fuer Einzelvertraege, sondern ebenso fuer Rechtseinraeumung in Tarifvertraegen.

? Aber es waren doch be- reits Ende der 80er Jahre Musik-CDs als digitale Datentraeger auf dem Markt.

Schimmel: Das ist richtig. Aber es kommt nach Auffassung der Gerichte nicht darauf an, ob eine bestimmte Nutzungsart ihrem technischen Prinzip nach bekannt ist oder nicht. Wenn es also bereits vor zehn Jahren Datentraeger gab, auf denen man theoretisch den Inhalt von Zeitschriften haette speichern koennen, spielt das nicht die ausschlaggebende Rolle. Es kommt vor allem auf die wirtschaftliche Bedeutung dieser Nutzungsart an. Weder die Verleger noch die IG Medien haben bei den damaligen Tarifverhandlungen absehen koennen, dass Zeitungen und Zeitschriften je auf CD-ROM mit wirtschaftlichem Erfolg vertrieben werden wuerden. Auch unter Begriffen wie „Nutzung in Datenbanken“ oder in „EDV“, die seinerzeit oft verwendet wurden, faellt die CD-ROM nicht.

? Und was bedeutet das nun konkret?

Schimmel: Durch die Manteltarifvertraege sind die Rechte von CD-ROM-Ausgaben jedenfalls nicht an die Verlage uebertragen. Wenn Verlage diese zusaetzliche Publikationsmoeglichkeit nutzen wollen, muss man sich darueber neu bei Tarifverhandlungen verstaendigen. Natuerlich gibt es auch noch die Moeglichkeit einzelvertraglicher Regelungen.

? Gilt das auch fuer die On- line-Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften in den Datennetzen?

Schimmel: Nein, denn beim Abschluss beider Tarifvertraege war diese Nutzungsart bereits bekannt. So hatte beispielsweise schon zuvor die VG Wort solche Nutzungen unter den Stichworten „EDV“ und „Datenbanken“ in ihre Wahrnehmungsvertraege aufgenommen. Auch bei den Tarifverhandlungen selbst spielte die Moeglichkeit eines Online-Angebots durchaus eine Rolle. Damals grassierte gerade die Btx-Euphorie. Eine „nicht bekannte Nutzungsart“ war das also nicht mehr. Man wird davon ausgehen muessen, dass die Rechte bereits beim Verlag liegen.

? Gut, aber dann muss doch nach den Manteltarifvertraegen eine zusaetzliche angemessene Verguetung an die Redakteurinnen und Redakteure gezahlt werden.

Schimmel: Das ist richtig. Bei Zeitschriften sind es mindestens 40 Prozent des Erloeses, der ueblicherweise erzielt werden koennte, bei Tageszeitungen 30 Prozent. Sicher kann es dabei Schwierigkeiten bei der Abrechnung geben, wenn beispielsweise in Online-Diensten der Abruf einzelner Artikel nicht erfasst wird. Dies liesse sich aber durch Betriebsvereinbarungen regeln. Sie sind dann moeglich, wenn sie sich lediglich auf die vereinfachte Abrechnung von Urheberverguetungen beschraenken, also nicht den Tarifvertrag modifizieren oder in die tariflichen Bestimmungen eingreifen. Beispiele fuer solche Betriebsvereinbarungen gibt es bereits in einigen Verlagen.

? Waeren betriebliche Regelungen auch fuer CD-ROM-Ausgaben moeglich?

Schimmel: Ohne Tarif- oder Einzelvertragsregelungen verletzen CD-ROM-Ausgaben das Urheberrecht der Redakteurinnen und Redakteure. Genau genommen koennten also die Festangestellten, deren Arbeit noch einmal wirtschaftlich genutzt wird, Schadensersatzforderungen gegen den Verlag erheben. Es liegt sicher nicht im Interesse der IG Medien, Auseinandersetzungen dieser Art zu eskalieren. Wesentlich sinnvoller waere es, wenn auf betrieblicher Ebene vernuenftige Vereinbarungen getroffen wuerden, solange keine neuen Tarifvertraege abgeschlossen sind. Inhalt muesste aus Sicht der IG Medien aber sein, dass fuer die Nutzung eine angemessene Verguetung neben dem Gehalt gezahlt wird.

? Das sagt die IG Medien. Die Verleger-Verbaende sehen es doch offensichtlich anders.

Schimmel: Der VDZ hat dem Vernehmen nach ein umfangreiches Gutachten zu dieser Frage erstellen lassen. Dort kommt man wohl zu dem Ergebnis, dass die tarifliche Rechtseinraeumung bei angestellten Urhebern auch die Nutzung von CD-ROM erfasst – und sogar ohne zusaetzliche Verguetung. Wie bereits gesagt, laesst sich diese Position nicht halten, weil die CD-ROM seinerzeit weder als Vertriebstechnik fuer Zeitungen und Zeitschriften bekannt war noch Thema der Verhandlungen. Notfalls wird man das gerichtlich klaeren muessen.

? Wie verhaelt es sich denn mit den Beitraegen freier Autoren?

Schimmel: Da kommt es zunaechst einmal auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses an. Selbst wenn in solchen Vertraegen elektronische Medien ausdruecklich erwaehnt sind, waeren damit bis mindestens 1983 die Online-Dienste und bis 1988/89 die CD-ROM-Rechte nicht erfasst. Hier greift wieder die Schutzbestimmung des S31 Absatz 4 UrhG, nach dem die Einraeumung von Nutzungsrechten fuer noch nicht bekannte Nutzungsarten unwirksam ist. Sie soll ja gerade verhindern, dass Urhebern fuer ein moeglicherweise pauschales Entgelt Nutzungsrechte abgekauft werden, obwohl der wirtschaftliche Wert der damit verbundenen Nutzung nicht absehbar ist. Deshalb sieht S31 Absatz 5 UrhG auch vor, dass alle eingeraeumten Nutzungsarten einzeln aufgezaehlt sein muessen. Geschieht dies nicht, dann sind Rechte nur in dem Umfang eingeraeumt, der zur Erreichung des Vertragszweckes erforderlich ist.

? Und was bedeutet das in der Praxis fuer digitale Medien?

Schimmel: Wer mit einer Zeitungsredaktion ohne besondere Absprachen den Abdruck eines Beitrages vereinbart, raeumt dem Verlag nur das Nutzungsrecht fuer genau diese Zeitung ein. Eine anderweitige Veroeffentlichung ist von der Rechtseinraeumung nicht erfasst, auch keine Zweitverwertung in CD-ROM- Ausgaben oder Online-Diensten. Wer allerdings von vornherein fuer ein beispielsweise auf CD-ROM erscheinendes Magazin Beitraege anbietet, raeumt damit natuerlich auch die erforderlichen Nutzungsrechte ein. Ist aber nichts vereinbart und werden die Beitraege trotzdem zweitverwertet, handelt es sich um eine Urheberrechtsverletzung.

? Und dann wird Schadensersatz faellig?

Schimmel: Genau. Allerdings wird es im Ergebnis auf eine Zahlung in Hoehe des Honorares hinauslaufen, das die Parteien bei vernuenftiger Betrachtung als Verguetung vereinbart haetten. Mit einem kleinen Unterschied: Auf Schadensersatzforderungen kommt keine Mehrwertsteuer, weil geistiger Diebstahl kein Umsatz im Sinne des Gesetzes ist.

? Das klingt ja ganz gut. Aber bei vielen neuen Vertraegen werden freie Urheber doch ueber den Tisch gezogen.

Schimmel: Leider ja. Oft wird versucht, die Rechte fuer elektronische Medien ohne zusaetzliches Honorar einzukassieren. Gelegentlich wird ein pauschaler Aufschlag gezahlt, selten eine Erfolgsbeteiligung. Generell muss man sagen, dass eine wirklich angemessene Verguetung so gut wie nie gezahlt wird, niemals aber, wenn die Freien nicht wenigstens versuchen, ueber Zusatzhonorare zu verhandeln. In der jetzigen Startphase versuchen Zeitungen und Zeitschriften die Honorarsaetze gnadenlos zu druecken.

? Wie kann angesichts der wirtschaftlichen Macht der Verwerter gegengesteuert werden? Waere ein Normvertrag fuer freie Urheber sinnvoll?

Schimmel: Die IG Medien hat einige Erfahrungen mit Normvertraegen. Seit mehr als 17 Jahren gibt es sie fuer Verlagsvertraege, seit fast 14 Jahren fuer Uebersetzungsvertraege. Als Standard fuer eine angemessene und branchenuebliche Vertragsgestaltung haben sich diese Normvertraege durchgesetzt. Das Problem: Nicht jeder Verlag haelt sich daran und deshalb bieten die Vertraege keinen Schutz gegen die uebervorteilung der Urheberseite. Ausserdem enthalten beide Normvertraege keine Honorarsaetze. Der Boersenverein des Deutschen Buchhandels hat sich bis heute seiner Vertragspflicht entzogen, Verhandlungen mit dem Ziel einer Vereinbarung ueber Regelhonorare aufzunehmen. Die beiden Normvertraege haben sich also einerseits als hilfreich und nuetzlich erwiesen, andererseits aber auch ihre Grenzen aufgezeigt.

? Sollte also die digitale Nutzung der Werke von Freien nicht einzelvertraglich, sondern ueber die Verwertungsgesellschaften geregelt werden?

Schimmel: Das ist sicher eine Moeglichkeit. Die VG Wort nimmt schon seit mehr als elf Jahren die Rechte zur EDV-maessigen Verwertung von Zeitungsartikeln wahr. Bei der VG Bild-Kunst ist die Einbeziehung der elektronischen Bildbearbeitung und -uebermittlung in die Wahrnehmungsvertraege noch in der Diskussion und teils umstritten. Sinnvoll ist es allemal, die Wahrnehmung von Rechten, die sich der Kontrolle durch Urheber entziehen, den Verwertungsgesellschaften zu ueberlassen. Online-Dienste duerften zu einem erheblichen Teil in diese Kategorie von Nutzungen gehoeren. Trotzdem bliebe das zentrale Problem, dass Autorinnen und Autoren irgendwann einmal Vereinbarungen mit dem Verwerter ihrer Arbeiten treffen muessen. Wenn sie dann mit dem Verlag ei- ner Zeitung oder Zeitschrift schlecht verhandeln, ist die Angelegenheit schief gelaufen.

? Also sind zusaetzlich gesetz- liche Regelungen fuer den Schutz des Urhebers notwendig?

Schimmel: Genau das fordert die IG Medien seit lan- gem. Wir brauchen ein verbessertes Urhebervertragsrecht, das vor einer uebervorteilung durch die marktstaerkere und erfahrenere Vertragspartei schuetzt. Die wenigen Bestimmungen im Urheberrecht reichen dazu nicht aus. Gegenwaertig erhalten Freie von vielen Verlagen Geschaeftsbedingungen zugeschickt, in denen alle Nutzungsrechte ohne angemessene Gegenleistung einkassiert werden. Wenn ueberhaupt ein zusaetzliches Honorar zugebilligt wird, dann eher in der Hoehe eines Trinkgeldes. Genau das aber wollte der Gesetzgeber mit der angesprochenen Zweckuebertragungsklausel verhindern. Gewollt war eine vernuenftige Beteiligung der Urheber an dem Ertrag ihres Schaffens. Das wird nun mit spitzfindigen Vertragsklauseln ins Gegenteil verkehrt. Dieser Entwicklung muss der Gesetzgeber gegensteuern, wenn er das Urheberrechtsgesetz noch ernst genommen haben

 

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