Unterwegs bei Wind und Wetter

Wie Verlage eine „Optimierung der Zustellkosten“ vornehmen

Zeitungsverlage sparen. Sie rationalisieren in der Technik, dünnen Redaktionen aus, legen Abteilungen zusammen und lagern aus. Was bleibt? Der Vertrieb. Damit erwischt es auch die Zusteller. Die nachts aufstehen und sich bei Wind und Wetter durch die Dunkelheit schaffen, damit die Zeitung rechtzeitig auf dem Frühstückstisch liegt. Für ein paar Cent pro Stück. Ihnen werden die Löhne gekürzt und die Arbeitsbedingungen verschlechtert. Wie Verlage dabei vorgehen, zeigen die folgenden Beispiele.

Wenn Betriebsratsvorsitzender Jürgen Eskens-Dopichay über seinen Noch-Arbeitgeber, die „Zeitungs-Zustellung Kreis Düren GmbH“, redet, weiß er kaum, wo er anfangen und wo er aufhören soll, so viele Verhandlungen und Querelen mit dem Arbeitgeber liegen hinter ihm. Bereits 2007 kündigte der Zeitungsverlag Aachen, der seine vier Zustellfirmen schon in den 90er Jahren in tariflose Tochtergesellschaften ausgelagert hatte, die „Optimierung der Zustellkosten“ an.

Die 220 Zusteller im Kreis Düren sollten fortan auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Wege- und Fahrlohn sowie sechs Tage Urlaub verzichten. Ein anderes Lohnsystem reduzierte außerdem den Grundlohn. Stammzusteller würden dadurch bis zu 25 Prozent ihres Einkommens verlieren, rechnet ver.di-Gewerkschaftssekretär Franz Blatt aus. ver.di initiiert daraufhin eine Aktion: Leser zeigen dem Verlag die Rote Karte und fordern ihn auf, die Finger von den unsozialen Sparplänen zu lassen.
Der Zeitungsverlag Aachen reagiert prompt: In persönlichen Briefen an die Leser und in Artikeln im eigenen Blatt verteidigt er sein „neues, branchenübliches Lohnmodell“, allerdings ohne den Betriebsrat zu Wort kommen zu lassen. Der Verlust bei den Anzeigenumsätzen mache Kostensenkungen in allen Verlagsbereichen unumgänglich, argumentiert der Zeitungsmonopolist, bei dem die Aachener Zeitung und die Aachener Nachrichten erscheinen. Eine „unabhängige externe Analyse“ habe gezeigt, dass die Zustellkosten rund 25 Prozent über dem marktüblichen Niveau lägen.
Bei der externen Analyse handelt es sich um ein Gutachten der Unternehmensberatung Schickler, die den gesamten Verlag durchforstet und bei den Zustellern Einsparpotenzial entdeckt hatte. Schickler, unter anderem auf Zeitungsverlage spezialisiert, ist bei Betriebsräten und Gewerkschaften als Steigbügelhalter für die Rationalisierer in den Verlagen bekannt. So wirbt die Unternehmensberatung auf ihrer Internetseite mit dem Angebot, Logistik- und Zustellkosten nachhaltig zu senken.
Was die Unternehmensberatung gerechnet und analysiert hat, hält Thomas Meyer-Fries, Wirtschaftssachverständiger der Betriebsräte, für dürftig. Schickler arbeitet wie viele andere Unternehmensberatungen mit Benchmarking. Bei dieser Methode geht es darum, Abläufe, Produkte oder Dienstleistungen zwischen einzelnen Abteilungen, Werken oder Unternehmen zu vergleichen. Ziel ist es, den Primus einzuholen, besser: noch billiger zu sein.
Schickler präsentierte die Zahlen einiger weniger Zustellfirmen, und deren Kosten liegen unter denen in Aachen. Eine willkürliche Auswahl und nicht repräsentativ, kritisiert Meyer-Fries. Schickler-Geschäftsführer Rolf-Dieter Lafrenz verteidigt das Vorgehen: Man verfüge über die Daten von mehr als 30 Verlagen und habe eine Vorsortierung vorgenommen. „Wir ziehen nur vergleichbare Verlage heran.“ Ob es sich ausschließlich um solche Zustellfirmen handelt, bei denen die Verlage die Konzepte zur Kostensenkung der Unternehmensberatung bereits umgesetzt haben, dazu will sich Lafrenz nicht äußern.
Mehr noch: Den Beleg dafür, dass die Kosten um 25 Prozent über dem marktüblichen Niveau lägen, seien Unternehmensberatung und Verlag schuldig geblieben, wirft ihnen Meyer-Fries vor. Er hat eigene Vergleichszahlen herangezogen und kommt zu dem Schluss, dass die Zusteller rund um Aachen nicht – wie behauptet –überdurchschnittlich viel verdienten, sondern im oberen Durchschnitt lägen.
Das plagte den Zeitungsverlag Aachen wenig. „Unser Ziel war es, die Zustellkosten auf ein marktübliches Niveau zu senken“, erklärt Geschäftsführer Andreas Müller. Selbst auf das Kompromissangebot des Betriebsrats – Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld, dafür keine Grundlohnkürzung – ging der Verlag nicht ein und kündigte noch in der Einigungsstelle die Schließung der Zustellfirma im Kreis Düren an. Kurzum: Entweder werden die Löhne gesenkt oder der Betrieb dichtgemacht. Wie bereits in Heinsberg geschehen.
Über fast zwei Jahre ziehen sich die Verhandlungen hin, noch mal geht’s vor die Einigungsstelle, wieder und wieder zieht der Betriebsrat vor Gericht. Am Ende steht fest: Die Zustellfirma wird dichtgemacht, die ersten Kündigungen sind bereits vor Weihnachten verschickt worden, Betriebsratsvorsitzender Jürgen Eskens-Dopichay wird die Firma als einer der Letzten am 31. Juli 2010 verlassen.
Wer möchte, kann sich bei der „Zeitungszustellung Kreis Aachen“ bewerben. Dort hatte der Betriebsrat die Kürzungen widerstandslos hingenommen. Allerdings ist es dem Betriebsrat vom Kreis Düren und ver.di gelungen, für die Zusteller einen guten Sozialplan und ordentliche Abfindungen auszu handeln. Die Gesamtkosten für den Verlag dürften laut Branchenkennern im siebenstelligen Bereich liegen. Trotzdem: „Für uns hat sich das gerechnet“, sagt Andreas Müller. Vielleicht doch nicht. Jetzt hat ver.di die Firma zu Sozialtarifverhandlungen aufgefordert. Die Art und Weise, wie der Zeitungsverlag Aachen vorging, hält Betriebsratsberater Thomas Meyer-Fries für exemplarisch, die Härte, mit der die Auseinandersetzung von Seiten des Arbeitgebers betrieben wurde, allerdings für außergewöhnlich.
Auch in Bremen geht es den Zustellern ans Portmonee, allerdings geschieht das dort schrittweise und schleichend. Die rund 2000 Zusteller, die morgens den Weser-Kurier und die Bremer Nachrichten austeilen, stehen im Branchenvergleich recht gut da: Sie sind Angehörige der Bremer Tageszeitungen AG, haben einen Betriebsrat und einen Tarifvertrag.
Scheidet allerdings ein Zusteller aus, landet der Zustellbezirk in betriebsrats- und tariflosen Dienstleistungsfirmen. Bislang seien rund 300 Bezirke ausgelagert, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Helmut Herrmann. Und wo’s nicht freiwillig geschieht, wird gekündigt.
Für den Betriebsrat ist klar: Die Bremer Tageszeitungen wollen auf lange Sicht die betriebseigene Zustellung aufgeben. Er hat es zwar geschafft, dass bis Ende 2013 weitere betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen sind und der Tarifvertrag weiterhin gilt, aber nicht ohne Zugeständnisse zu machen. Künftig werden die Zusteller auch Briefe verteilen und in jeden Briefkasten Werbematerialien stecken. Nichts gegen zusätzliche Arbeit, sagt Herrmann. Es hapert allerdings an der Entlohnung. 12,5 Cent pro Brief und 2,5 Cent pro Prospekt in der Stadt und 5 Cent auf dem Land, das ist mager. Deshalb hat ver.di vereinbart, dass die Zusteller nicht unter 7,50 Euro pro Stunde rutschen dürfen, erklärt die Landesbezirksfachbereichsleiterin von Niedersachsen-Bremen, Amadore Kobus.
Zusätzliche Arbeit für wenig Geld droht auch den rund 600 Zustellern des Oberbayerischen Volksblatts in Rosenheim. Bislang war dort die Briefzustellung freiwillig. Wer mochte, durfte. Allerdings mochte kaum einer. Briefe müsse man vorsortieren, Briefe veränderten die Tour jeden Tag aufs Neue, Briefe brauchten Zeit, und was Zeit braucht, drückt den Stundenlohn, sagt Betriebsrat Martin Neumayer. Deshalb waren bislang nur wenige Zusteller bereit, auch Post zu verteilen. Jetzt hat die Geschäftsleitung angekündigt, die Zusteller auszulagern und ihnen außer Briefen noch Prospekte in die Taschen zu packen. Schließlich machten das andere Verlage auch.

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Ein Netzwerk für Zusteller

Für die gewerkschaftlich organisierten Zeitungszustellerinnen und -zusteller (und die, die ver.di vielleicht beitreten wollen) gibt es eine sehr interessante Website: https://zeitungszusteller.verdi.de/ Neben vielen anderen Themen geht es aktuell auch um spezielles Material für die anstehenden Betriebsratswahlen in den Zustellbetrieben.

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