Falsche Metapher

Konstantina Vassiliou-Enz, Geschäftsführerin Neue deutsche Medienmacher, über die Notwendigkeit einer präzisen Sprache in der Einwanderungsgesellschaft

M | Die Neuen deutschen Medienmacher (NDM) haben ein Glossar herausgebracht, mit mehr oder weniger gängigen Begriffen, die im redaktionellen Alltag häufig falsch oder schief eingesetzt werden. Was und wen wollen Sie damit erreichen?

KONSTANTINA VASSILIOU-ENZ | Das Glossar richtet sich an alle KollegInnen, die über Themen der Einwanderungsgesellschaft schreiben und sich darüber informieren wollen.

NDM Geschäftsführerin, Konstantina Vassiliou-Enz moderiert bei Radioeins vom RBB unter anderem am Wochenende den „Schönen Morgen”. Foto: rbb / Jim Rakete
NDM Geschäftsführerin, Konstantina Vassiliou-Enz moderiert bei Radioeins vom RBB unter anderem am Wochenende den
„Schönen Morgen”.
Foto: rbb / Jim Rakete

Bei der Berichterstattung über Migrationsprobleme wird tagtäglich gegen das Gebot einer korrekten und diskriminierungsfreien Sprache und Begrifflichkeit verstoßen. Welches sind nach Ihrer Beobachtung die häufigsten Fehler?

Ganz oft geht es darum, dass nicht sehr präzise formuliert wird oder Begriffe verwendet werden, ohne sie zu hinterfragen. Wenn ich beispielsweise von Migranten spreche, aber Menschen damit meine, die überhaupt nicht selbst migriert sind, dann ist das ein bisschen schief. Oder wenn ganz allgemein von Deutschen die Rede ist, dann sollten auch all diejenigen Deutschen mitgemeint sein, die eingewandert und eingebürgert sind. Das passiert aber nicht immer. Bei der Bezeichnung von Gruppen tauchen immer wieder Ungenauigkeiten auf, es herrscht da viel Unsicherheit.

Asylant zum Beispiel klingt abwertend und ist oft wohl auch so gemeint. Asylbewerber dagegen hat einen freundlicheren Klang. Tatsächlich hat aber auch dieser Begriff seine Tücken, oder?

Der Begriff Asylbewerber ist juristisch korrekt, aber wenn man genauer hinsieht, ist er irreführend. Denn er sagt aus, dass die so Bezeichneten sich um das Recht auf Asyl bewerben. Dieses Recht auf Asyl ist aber ein Grundrecht, und um Grundrechte kann man sich nicht bewerben. Die hat man einfach.

Was wär demnach korrekt? Asylsuchende, Geflüchtete?

Es gibt viele Alternativbegriffe: Asylsuchende, Schutzsuchende, Exilierte, Geflüchtete. Manchmal kommt es darauf an, ob es tatsächlich um Asyl geht oder um Flüchtlingsschutz. Die Menschen, die gerade aus Syrien kommen, sind zum Beispiel Kontingentflüchtlinge. Nur schreiben das die wenigsten KollegInnen, es ist eben ein Fachgebiet, so wie das ganze Thema Einwanderung ein kompliziertes Fachgebiet ist, dass nicht mal so nebenher zu durchdringen ist. Es wird aber trotzdem oft als eine Art Alltagsthema betrachtet und so behandelt, als müsse man da nicht groß recherchieren.

Sehr häufig ist im Kontext der Flüchtlingsbewegung von Flut, Schwemme oder Strömen die Rede. Warum finden Sie das problematisch?

Solche Metaphern suggerieren, die Menschen in Deutschland seien einer Art Naturgewalt ausgesetzt, die von denjenigen, die hier her flüchten, ausgeht. Und weder die Politik noch die Menschen selber können sich dagegen wehren – was will man gegen einen Strom oder gegen eine Flut machen? Dieses Bild finden wir problematisch und finden, es kann hinterfragt werden. Es geht ja nicht um Begriffsverbote, sondern darum, dass die KollegInnen eine reflektierte und informierte Entscheidung treffen. Nach dem Motto: Ich weiß, dass dieser Begriffe wertend aufgefasst werden kann, aber ich entscheide mich trotzdem dafür oder deswegen dagegen.

Einige Medien regieren ja mittlerweile auch mit bestimmten Sprachregelungen für die Redaktionen. Die dpa hat im Sommer die Weisung gegeben, allgemeine Begriffe wie Asylgegner und Asylkritiker nicht mehr zu benutzen. Ein gutes Zeichen, oder?

Ja sicher. So steht es auch in unserem Glossar, weil wir finden, dass es beschönigend ist, wenn Rechtsextreme als Asylkritiker oder Asylgegner bezeichnet werden. Wenn es sich tatsächlich um Rechtsextreme handelt, dann kann man sie auch so nennen.

Die Probleme fangen schon bei Basisbegriffen an: Ausländer, Einwanderer, Migrant – das ist nicht dieselbe Sprachebene?

Das sind unterschiedliche Begriffe für unterschiedliche Gruppen. Ausländer ist jemand, der keinen deutschen Pass hat. Ein Migrant kann, muss aber nicht eingebürgert sein. Auch bei einem Einwanderer kann man nicht sagen, ob er ein Deutscher ist oder nicht. Es gibt im Journalismus immer wieder Fälle, in denen Gruppen pauschal benannt werden müssen, ob uns das nun gefällt oder nicht. Jede Klassifizierung hat Defizite. Aber wir sollten versuchen, möglichst genaue und treffende Begriffe zu verwenden und die Dinge nicht vermischen.

Die Medien nutzen häufig den Terminus „Islamistischer Terror”, zuletzt bei den Anschlägen in Paris. Die NDM argumentieren, Islamismus sei nicht gleichzusetzen mit Extremismus oder Terrorismus. Islamismus meine zunächst nur die Verknüpfung von Islam und Politik und sei nur in Verbindung mit Gewalttaten strafbar. Verlangen Sie da nicht zu viel Differenzierung?

Finde ich nicht. Man kann gar nicht genug Differenzierung verlangen von JournalistInnen, das gehört zu unserem Job. Nach meiner Beobachtung wird sie auch gemacht. Bei den Berichten über die Attentate in Paris sind die KollegInnen meist sehr präzise. Sie schreiben fast ausnahmslos von „Terroristen”. Der Terminus „mutmaßlicher Islamist” dagegen wird nicht verwendet. Islamist zu sein und islamistischer Gesinnung zu sein allein ist nicht verboten. Verboten ist es nur in Verbindung mit Gewalt, in Verbindung mit Propaganda für den IS. Bei den Ereignissen in Paris ist jedem klar, dass es um Terrorismus geht und nicht um Glaubensfragen. Die salafistische Gesinnung kann ein Motiv sein, aber bei den Taten handelt es sich eindeutig um Terror.

Ihr Glossar stößt auch auf Kritik. Am Beispiel des Begriffs Ehrenmord scheiden sich die Geister. Auch dieser Begriff wird nach Ihrer Ansicht oft falsch verwendet. Im Gegenzug wird Ihnen Verharmlosung oder Verschleierung unterstellt, weil Sie in vielen Gewaltverbrechen im islamischen Milieu keinen Ehrenmord erkennen?

Ehrenmord wird meist mit muslimischem Familienhintergrund gleichgesetzt. Das aber stimmt so nicht. Es gibt Ehrenmorde in Südamerika, in Griechenland, in Italien. Viele Berichte setzen Ehrenmord mit einer Bluttat innerhalb einer Familie mit türkischen Wurzeln gleich. Erstaunlicherweise finden solche Verbrechen in der Türkei gar nicht überwiegend in traditionell geprägten, ländlichen Gebieten statt, sondern in Städten. Das zeigt, dass es gar nicht unbedingt was mit traditionellem Glauben zu tun hat, sondern eher mit dem Infragestellen patriarchalischer Strukturen. Das geschieht in einer vermeintlich modernen Umgebung viel mehr als in einem sehr streng gläubigen Umfeld. Der Automatismus: Ehrenmord hat nur mit dem Islam zu tun, stimmt nicht immer. In manchen Fällen würde die gleiche Tat, begangen in einer standarddeutschen Familie, als Eifersuchtsdrama oder Familientragödie bezeichnet. Darauf weisen wir im Glossar hin.

Kritiker werfen Ihnen gelegentlich Zensurabsicht vor, sprechen von „Gesinnungsdiktat” selbsternannter Wortwächter …

Das ist absurd. Wir schreiben niemandem etwas vor. Wir machen Vorschläge und stellen unsere Sicht der Dinge dar. Wir wollen Impulse geben und dazu aufrufen, sich darüber bewusst zu werden, dass es Gewicht hat, welche Begriffe wir als JournalistInnen benutzen und welche nicht. Wir geben unseren Berichten eine Richtung. Das sollte wissentlich geschehen und nicht zufällig. Welche Richtung das dann ist, muss Jeder selbst entscheiden.

Hat die – oftmals ungewollte, auf Unkenntnis beruhende – diskriminierende Berichterstattung über Probleme in der Einwanderungsgesellschaft nicht auch etwas mit der Sozialisierung des journalistischen Personals zu tun?

Es hat eher etwas mit den konkreten Arbeitsbedingungen von JournalistInnen zu tun. In diesem Job wird oft verlangt, in allerkürzester Zeit alle möglichen Themen überblicken, einordnen, einschätzen und darstellen zu können. Wir wollen denjenigen, die unsicher sind oder aus Zeitmangel nicht recherchieren können, mit diesen Formulierungsvorschlägen ein Instrument an die Hand geben. Es geht weder um Charakterbildung noch um Meinungsmache. Es geht eher um Präzision, Qualität und Professionalität im Journalismus.

Das Verhältnis zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und Journalisten mit solchem Hintergrund klafft sehr weit auseinander. Da wäre es doch ein Fortschritt, wenn dieser Anteil gesteigert würde, oder?

Zwar ist nicht jeder, der in einer nicht-standarddeutschen Familie groß geworden ist, automatisch interkulturell kompetent. Aber jeder kann es lernen, jeder kann sich diese Kompetenz aneignen. Es hilft einfach, neue und andere Perspektiven in der Redaktion zu haben und diese auch in Diskussionen innerhalb der Redaktionen einbringen zu können. Die KollegInnen aus Einwandererfamilien haben oft ganz andere Zugänge zu den Zielgruppen. Wenn ich in einer Redaktion arbeite und meine Familie und vielleicht auch ich aus Afghanistan geflohen sind vor vielen Jahren, dann habe ich eine andere Möglichkeit, Menschen, die jetzt geflohen sind, anzusprechen. Die erzählen mir auch andere Geschichten als einem standarddeutschen Kollegen, der da mit einem Übersetzer sitzt.

Wie weit ist die Integration solcher KollegInnen in den Redaktionen?

Bei den privaten Rundfunkanstalten hat man begriffen, dass die jungen Zielgruppen zu immer größeren Anteilen aus Einwandererfamilien stammen. Und die wollen angesprochen werden. Das funktioniert gut mit Menschen, mit denen man sich besser identifizieren kann. Entsprechend sind bei den Privaten ganz viele Köpfe, denen man ansieht, dass sie keine standarddeutsche Familiengeschichte haben. In den öffentlich-rechtlichen Sendern sind es etwas weniger. Und in den Printmedien ist die Entwicklung auch eher langsam. Aber es werden immer mehr, und das freut uns sehr.

Gespräch: Günter Herkel

Mehr Informationen

Hg.: NDM Glossar der Neuen deutschen Medienmacher.
Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland.
Berlin 2015
www.neuemedienmacher.de

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

„Das Problem mit der Leidenschaft“

Lena Hipp ist Professorin für Soziologie an der Universität Potsdam und leitet die Forschungsgruppe „Arbeit und Fürsorge“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Mit M sprach sie über „Gute Arbeit“, Stressoren im Journalismus und weshalb die Trennung von Arbeit und Privatleben für Medienschaffende so wichtig ist.
mehr »

Dreyeckland-Journalist wegen Link angeklagt

Am 18. April beginnt der Prozess gegen den Journalisten Fabian Kienert. Dem Mitarbeiter von Radio Dreyeckland in Freiburg wird die Unterstützung einer verbotenen Vereinigung vorgeworfen, weil er das Archiv eines Onlineportals in einem Artikel verlinkt hat. Das Portal mit Open-Posting-Prinzip war von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) 2017 als kriminelle Vereinigung verboten worden.
mehr »

Die Verantwortung der Redaktionen

Auf die mentale Gesundheit zu achten, ist keine individuelle Aufgabe. Auch Arbeitgeber*innen können und sollten etwas für psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen tun. Wie funktioniert das in einer Branche, die so geprägt ist von Zeit und Leistungsdruck und belastenden Inhalten wie der Journalismus? Wir haben uns in zwei Redaktionen umgehört, die sich dazu Gedanken gemacht haben: das Magazin Neue Narrative und der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag (SHZ).
mehr »

Gewalterfahrung im Lokaljournalismus

In Deutschland hat sich die Zahl der gewalttätigen Übergriffe auf Journalist*innen deutlich erhöht. Viele der Übergriffe finden am Rande von Demonstrationen statt. Der Thüringer Journalist Fabian Klaus recherchiert zu Rechtsextremismus und wird deshalb bedroht. Mit M sprach er über zunehmende Bedrohungslagen im Lokaljournalismus und die Unterstützung aus den Redaktionen.
mehr »