Mit Uwe Krüger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig, sprach Günter Herkel.
Sie haben in Ihrer Studie „Meinungsmacht” den Einfluss von Eliten auf einige der wichtigsten Leitmedien in Deutschland untersucht. Was ist Meinungsmacht und wer übt sie hierzulande aus?
UWE KRÜGER: Pauschal kann ich das natürlich nicht beantworten. Der Fokus meiner Studie lag auf dem Verhältnis, das große deutsche Medien zu den politischen und wirtschaftlichen Eliten dieses Landes aufweisen. Sie pflegen viel informellen Umgang mit Eliten aus Politik und Wirtschaft und es gibt da eine gewisse gedankliche Nähe. Das konnte ich zumindest für den Bereich Außenpolitik und transatlantische Beziehungen relativ gut belegen. Führende Journalisten sind hier in ein ziemlich dichtes Kommunikationsnetzwerk eingebunden, affin zur NATO, zu den USA, zur Bundesregierung. Das spiegelt sich auch in ihrem journalistischen Output wieder.
Ausgangspunkt Ihrer Analyse ist ja der Eindruck, dass die Berichterstattung dieser Leitmedien über zentrale Fragen der Sicherheitspolitik – in diesem Fall über die Auslandseinsätze der Bundeswehr – eine massive Schlagseite hin zur Position der Bundesregierung und der NATO aufweist – im Gegensatz zur eher ablehnenden Haltung der Bevölkerung. Wie erklären Sie sich dieses doppelte Meinungsklima?
Es existiert eine Kluft zwischen Elite und Bevölkerung in diesen Fragen, was Sicherheit eigentlich ist und wo und wie man sie verteidigen sollte. Die Bevölkerung ist zumindest gespalten oder sogar mehrheitlich gegen weltweite Bundeswehreinsätze. Demgegenüber haben wir einen Gleichklang von wichtigen Medien, die sich zusammen mit Eliten aus Politik und Wirtschaft für mehr Rüstung und weltweite Bundeswehreinsätze engagieren. Das hängt meiner Auffassung nach damit zusammen, dass die Medien bzw. die Entscheider in den Redaktionen selbst Teil dieses Elitendiskurses sind. Sie tendieren dazu, die Meinung der Bevölkerung als unqualifiziert abzuwerten, den Menschen Ignoranz vorzuwerfen. Das kann man mit kognitiver Vereinnahmung durch das Eliten-Milieu erklären.
Die Mehrzahl der führenden deutschen Journalisten, der so genannten „Alphajournalisten”, ist verbandelt mit den Eliten aus Politik und Wirtschaft. Wie hat man sich das vorzustellen?
Es gibt etwa alljährlich im Februar die Münchner Sicherheitskonferenz, wo 350 Entscheider vor allem aus NATO-Staaten zusammen treffen und über Sicherheits- und Außenpolitik diskutieren. Da sind dann auch die außenpolitischen Ressortleiter der großen überregionalen Blätter wie der FAZ und der Süddeutschen mit von der Partie. Viele dieser Entscheider trifft der FAZ-Redakteur dann später wieder, etwa bei einer Sitzung der Trilateralen Kommission, einem vertraulichen Treff von Eliten aus Nordamerika und Westeuropa und Asien. So gibt es ganz verschiedene Organisationen, viele mit US- oder NATO-Bezug – etwa den American Council on Germany, die Atlantik-Brücke oder die Atlantische Initiative. Da tauchen immer wieder dieselben Personen auf.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel Wolfgang Ischinger, der mal deutscher Botschafter in Washington war und jetzt Chef der Münchner Sicherheitskonferenz ist und übrigens auch noch Cheflobbyist der Allianz. Es existieren beträchtliche personelle Schnittmengen zwischen diesen Organisationen. Einige der wichtigsten meinungsbildenden Journalisten sind über diverse Hintergrundkreise, Stiftungen und Think Tanks mit diesen Eliten verbunden.
Was ist so schlimm daran, wenn Journalisten versuchen, Zugang zu möglichst vielen Quellen zu bekommen? Das ist doch schließlich ihr Job …
Schon. Zum Problem wird es aber, wenn sie keine ausreichende Distanz zu den Akteuren einhalten und deren Perspektive übernehmen. Zumal, wenn es sich um die mächtigsten Akteure des jeweiligen Themenfeldes handelt. Die Münchner Sicherheitskonferenz mag ein Pflichtprogramm für Außenpolitik-Journalisten sein. Aber warum nicht auch mal ein Besuch bei der Gegenveranstaltung „Münchner Friedenskonferenz”? Da geht aber niemand hin. Alternative Diskurse werden in der Regel ignoriert oder marginalisiert.
Einer der Journalisten, deren persönliches Netzwerk Sie untersucht haben, ist Stefan Kornelius, Ressortleiter Außenpolitik der Süddeutschen Zeitung. Er findet es „diskriminierend”, wenn unterstellt werde, dass seine journalistische Unabhängigkeit durch die Mitgliedschaft in Organisationen wie der „Atlantik-Brücke” oder der „Bundesakademie für Sicherheitspolitik” untergraben werde …
Ich habe sehr vorsichtig von einer Korrelation gesprochen, von einer Übereinstimmung zwischen den Positionen, die bestimmte Netzwerke vertreten, und den Inhalten in seinen Artikeln. Ich kann nicht behaupten, dass jemand nicht unabhängig ist. Aber ich erkenne bestimmte Denkmuster, die auch in offiziellen Dokumenten auftauchen. Da werden dann Bedrohungskataloge abgespult, die in Doktrinen und Dokumenten der Bundesregierung, der NATO, der USA auftauchen, und es wird regelrecht Werbung gemacht für eine umfassende Sicherheitspolitik. Mein Ansatz war, zu prüfen, ob es eine Übereinstimmung zwischen einem personellen Milieu gibt und dem Meinungsbild einzelner Journalisten. Diese Übereinstimmung ist beim journalistischen Output der von mir untersuchten Journalisten sehr hoch.
Im Interview mit dem NDR-Medienmagazin Zapp sagt SZ-Redakteur Stefan Kornelius, es handle sich bei den aufgelisteten transatlantischen Organisationen ausschließlich um „ehrenhafte, demokratische und extrem transparente Veranstaltungen”, auf denen über Außenpolitik geredet werde. Er finde es befremdlich, sich für die Teilnahme an solchen Veranstaltungen rechtfertigen zu müssen oder ihm gar zu unterstellen, er übernehme die Sicht dieser Think Tanks. Sie sprechen ja in diesem Zusammenhang das Homophilie-Phänomen an. Was hat es damit auf sich?
Ein Journalist kommt nicht als unbeschriebenes Blatt in so ein Milieu und wird dann umgedreht oder einer Gehirnwäsche unterzogen. Meine These ist eher, dass Journalisten, die schon vorher bestimmte Meinungen, Werte, Einstellungen mit einem Milieu teilen, aufgrund dieser geistigen Nähe überhaupt erst eingeladen werden in solche Elitenzirkel. Und dann nimmt auch die Wahrscheinlichkeit ab, dass sie den Konsens in diesen Zirkeln hinterfragen.
Kornelius hat in Zapp reagiert. Gab es auch Reaktionen der anderen drei Journalisten, deren publizistischen Output Sie untersucht haben? Die anderen: Michael Stürmer, Chefkorrespondent der Welt, Klaus-Dieter Frankenberger, Auslandschef der FAZ, schließlich Zeit-Herausgeber Josef Joffe …
Ich hatte alle vier angemailt, als die Studie fertig war und bevor sie veröffentlicht wurde, und sie gebeten, für den Anhang ihre Sicht der Dinge aufzuschreiben. Ich bekam vier Absagen.
Erstaunlicherweise bildet auch die eher im linken Meinungsspektrum verortete Berliner taz kein Gegengewicht zur Ukraine-Berichterstattung des Mainstreams. Der Russland-Korrespondent der taz forderte im Kontext der Krim-Krise die EU-Staaten sogar zu massiver Aufrüstung auf. Gibt es einen Konformitätsdruck auch da, wo der Einfluss von Eliten vermutlich keine so große Rolle spielt?
Sicher. Auch Journalisten, die nicht so nah dran sind an Eliten, überlegen, was sie eigentlich sagen können, ohne sich sozial zu isolieren. Aber das Meinungsklima in der taz in der Ukraine-Frage ist ja gespalten, und dass Klaus-Helge Donath so Reagan-artig argumentiert, kann auch mit ganz individuellen Sachen zusammenhängen.
Politische Neutralität ist ja bekanntlich eine Schimäre. Aber wann wird der Journalist vom Berichterstatter zum politischen Akteur?
Journalisten sollen natürlich auch kommentieren, sollen sich politisch positionieren. Problematisch wird es aber, wenn Kommentare den Elitendiskurs nur reproduzieren und ihn nicht mit Abstand auch kritisch beleuchten. Auch blinde Flecken sollten angesprochen werden, im Fall der Ukraine-Berichterstattung zum Beispiel die Interessen und Strategien des Westens. Wenn man allerdings in solchen Elitenzirkeln Funktionen übernimmt, wird eine Grenze überschritten. Ein Beispiel: Die Zeit hatte über Jahrzehnte jeweils einen hochrangigen Vertreter bei der Bilderberg-Konferenz, einer jährlichen geheimen Konferenz von Eliten aus Westeuropa und Nordamerika. Bei dieser Veranstaltung gibt es einen Lenkungsausschuss mit ungefähr 20 Leuten, der die Teilnehmer und die Themen der Konferenz festlegt. Die Zeit hatte, früher mit Chefredakteur Theo Sommer, zuletzt bis 2012 mit Matthias Naß als stellvertretendem Chefredakteur dort einen Vertreter, der den informellen Diskurs mit organisierte. Das ist der Rolle des Journalisten als Anwalt der Öffentlichkeit nicht angemessen und ein eindeutiges Überschreiten der Linie, die Hanns-Joachim Friedrichs mal beschrieben hat mit „Überall dabei sein, ohne dazu zu gehören”.
Es gibt ja auch den Fall des Zeit-Redakteurs Jochen Bittner, der in seinem Blatt die von Bundespräsident Gauck auf der letzten „Münchner Sicherheitskonferenz” eingeforderte Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik – neu im Sinne von „mehr Verantwortung übernehmen”, sprich: mehr Auslandseinsätze fahren – gelobt hat. Ohne allerdings zunächst den Lesern zu verraten, dass er selbst an einem Papier über diese Strategie mitgearbeitet hatte. Das ist doch unter berufsethischen Kriterien höchst fragwürdig, oder?
Das finde ich auch. Man kann da zwei Fragen stellen. Einmal: War es überhaupt okay, dass Bittner in diesem Projekt der Stiftung Wissenschaft und Politik und des German Marshall Fund überhaupt mitgemacht, an so einem Konsenspapier über die Ausrichtung der deutschen Außenpolitik mitgewirkt hat? Da wäre ich schon mal sehr skeptisch. Die zweite Frage ist, ob er dann auch noch darüber schreiben sollte. Da erscheint mir das Problembewusstsein für die nötige Trennschärfe zwischen der Rolle eines Reporters und eines Akteurs unzureichend ausgeprägt. Auch die lauwarme Klarstellung in der folgenden Ausgabe der Zeit, die auf Leserproteste hin erschien, fand ich nicht überzeugend.
Welche Konsequenzen sollte man aus solchen Vorgängen ziehen? Reichen Appelle zu mehr Transparenz? Die Risiken und Nebenwirkungen allzu großer Nähe der Journalisten zur Macht sind nicht Bestandteil des Kodex des Deutschen Presserates …
Ich sehe hier tatsächlich Nachbesserungsbedarf beim Pressekodex und auch bei anderen Kodizes in Deutschland. Man sollte darüber in doppelter Hinsicht diskutieren. Wollen wir nur Transparenz? Wenn jemand nahe dran ist, wenn jemand Mitglied ist in Elitenorganisationen zu einem bestimmten Thema, sollte das dann unter dem Artikel drunter stehen? Oder wollen wir vielleicht sogar völlige Abstinenz? Dass Journalisten sich prinzipiell nicht mehr so weit rein begeben in vertrauliche Diskussionen und Politikplanungsprozesse? Da wünsche ich mir eine breitere Debatte der Branche und auch der Zivilgesellschaft – was für einen Journalismus wollen wir haben? „Überall dabei sein, ohne dazuzugehören” – dieser Leitsatz von Hanns-Joachim Friedrichs findet sich bis jetzt in keinem Kodex in Deutschland wieder.
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Uwe Krüger.
Meinungsmacht.
Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse.
Herbert von Halem Verlag, Köln 2013,
380 Seiten, 29,50 Euro